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KHM: „So wos hätt's unterm Seipel net geben!“

25.01.2009 | 18:44 | KARL GAULHOFER (Die Presse)

Generaldirektorin Sabine Haag lud zum „Open House“ ins KHM – über 30.000 Menschen kamen ins Kunsthistorische Museum.

Ein prächtiger Rahmen, aber nichts dahinter: Kein Bild im Kunsthistorischen Museum interessiert die Besucher am Tag der offenen Tür mehr als das eine, das gar nicht da ist. Es soll den Kentauren Chiron zeigen, der den kleinen Achill im Bogenschießen trainiert. Giuseppe Maria Crespi hat es gemalt.

Aber jetzt ist es fort. Wo ist es bloß? Ein junger Mann im giftgrünen Trainingsanzug beugt sich über die Sicherheitskordel und inspiziert den Rahmen. Hat jemand die Leinwand rausgeschnitten? Frech gestohlen wie das Salzfass der Nation? Der Diebstahl der Saliera – das ist es, was das breite Publikum zuletzt am hehren Kunsttempel KHM wirklich spannend fand. 70 Prozent der Museumsgäste sind Touristen, die Besucherzahlen gehen zurück. Stolze Preise, düstere Säle, reichlich Marmor und Plüsch – ein prächtiger Rahmen, aber für die meisten nichts dahinter. Das soll sich ändern, und zwar rasch. So will es die neue Chefin Sabine Haag, die mit Jahreswechsel den Patriarchen Wilfried Seipel beerbte. Ihr erster Streich: Den traditionellen Neujahrsempfang für die Hochkulturschickeria schaffte sie ab. Stattdessen lud sie Krethi und Plethi am Samstag an ihre Wirkungsstätte – gratis, zum ersten „Open House“ in der Geschichte des Hauses. Und die Wiener kamen, trotz Vorfrühlingseinbruch, in Scharen zu „Der Kunst ein Fest“. Über 30.000 waren es.

Noch bevor sich die schweren Pforten öffnen, bilden sich lange Schlangen, und kurz vor 10 Uhr stürmen sie das Vestibül – alt und jung, Bobos und Bildungsbürger, Neugierige aller Arten. Es wird einiges geboten: 170Führungen, ein Blick hinter die Kulissen der Restaurierwerkstätten und Labore, ein gruseliger Ausflug in die Mumiensammlung. Tombolalose und Backstage-Pässe gehen bald aus. Aber in den vielen Vorträgen, etwa über die „Erotik im Münzbild“, ist ja noch Platz. Empfangen werden die Massen von gut gelaunten KHM-Mitarbeitern, vom Kurator bis zum Controller, vom Portier bis zur Restauratorin. Es macht ihnen sichtlich Spaß, Gastgeber zu sein, und das, obwohl sie in ihren orangen Signalwesten wie Bauarbeiter aussehen. Selbst Frau Direktor ist sich nicht zu schade für die wenig kleidsame Kluft. Geduldig beantwortet sie jede Frage, auch die nach einer sanitären Einrichtungen. „So wos hätt's unterm Seipel net geben“, staunt ein Beobachter. Nur die Kellnerinnen im Kaffeehaus verfallen nicht in den Servicerausch: Sie bleiben grantig und schroff. Im Kinderatelier basteln Kinder, Eltern und ein brasilianisches Liebespaar mit einiger Mühe an Kaiserkronen aus Pappe.

„Kunst ist schön, aber macht viel Arbeit“, wusste schon Karl Valentin. Ein älterer Herr aus Salzburg verlangt nach einer fixfertigen Krone und weigert sich, dafür im SouvenirShop zwei Euro zu zahlen – wenn schon gratis, dann bitte alles. Rund um die Saliera bilden sich Menschentrauben. Mit Ausrufen wie „Hearst, i hätt net docht, dass des so a Riesending is“ schließen sich Bildungslücken. Kein Grund zur Häme: Dass sich in der filigranen Apparatur auch Pfeffer versteckt und König Francois das Riesending auf Kugellagern über seinen Esstisch rollte, wussten wir doch alle nicht. Crespis Kentaur wurde im Übrigen nicht gestohlen, er wird einer „technologischen Prüfung“ unterzogen. Wenn er die so bravourös besteht wie Sabine Haag ihren ersten Imagetest, hängt er sicher wieder bald an seinem Platz.


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