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27.08.2005 - Kultur&Medien / Kultur News
Symposium: Amerika ist nicht das Maß der Dinge
VON DANIELA TOMASOVSKY
Ernst Ulrich von Weizsäcker sprach zur Eröffnung der "GlobArt Academy" über das Wiederfinden der Demokratie.

"Das weit verbreitete Gefühl der Ohnmacht verbinde ich mit dem Verfall der Demokratie und der Sitten" - so eröffnete Ernst Ulrich von Weizsäcker Donnerstagabend seinen Festvortrag bei der "GlobArt Academy" in Pernegg. Dieser Verfall habe nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eingesetzt. "Vor 1990 war es massiv im Interesse von Staat, Kapitalbesitzern und Wirtschaft, die Demokratie zu hofieren. Man wollte zeigen, dass freiheitliche Marktwirtschaft und Demokratie das bessere System ist als der Kommunismus. Seit diese Beweispflicht weg ist, geht es der Demokratie schlecht."

Mit einer historischen Analyse untermauerte Weizsäcker seine These. "Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Kommunismus eine Bedrohung. Es gab zwei Welten: Die westliche und die östliche. Ein großer Teil des politischen Handelns bestand darin, dass erste und zweite Welt im Wettstreit um die dritte Welt waren. Die soziale Marktwirtschaft war als Kampfansage gegen den Kommunismus gemeint." In den 70er Jahren habe die Demokratie ihre goldene Zeit gehabt. "Da kamen Themen wie Umweltschutz, Frieden, Bildung oder soziale Gerechtigkeit auf. Man konnte sich engagieren, wie ich damals für die Ökologie."

Zum Bruch sei es Mitte der 70er mit der Ölkrise gekommen. "Man versuchte, dem Crash mit dem Keynesianismus beizukommen, indem sich der Staat verschuldet und Arbeitsplätze schafft. Das funktionierte nicht, es kam zur Stagflation und zu einer massiven Delegitimierung des Staates. Die Chicago School gewann an Einfluss: Nicht zu viel Staat, die Wirtschaft soll sich ohne große Belastung durch Sozialleistungen entwickeln können. Der Washington-Konsens kam auf: Die, die sich nicht selber helfen, denen soll man auch nicht helfen." Es folgte eine Dominanzumkehr: "In der Nachkriegszeit hatte der Staat das Sagen, heute tun die Staaten das, was die Kapitalmärkte vorgeben."

Die Gründe für die Entwicklung seien auch in der Aufklärung zu finden. "In Kontinentaleuropa waren Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit die neu gewonnenen Werte. In Großbritannien kam noch die Befreiung des Marktes von Fürstenhöfen und anderen autoritären Strukturen dazu. 200 Jahre lang gab es eine Interessensharmonie der kontinentaleuropäischen und der angelsächsischen Aufklärung. 1990 ist diese auseinander gebrochen. Heute sind Markt und Demokratie Feinde. Und der Markt ist eindeutiger Sieger dieses Duells."

Um der Vorherrschaft des Marktes entgegenzusteuern, müssten die Kontinentaleuropäer auf ihren demokratischen Werten bestehen. "Aber es gibt Kräfte, die das verhindern wollen. Wenn Bush sagt, er wolle Demokratie in den Irak bringen, meint er auch, er wolle Exxon und Halliburton in den Irak bringen."

Zwei Punkte seien wichtig, um aus der Krise der Demokratie herauszukommen. "Erstens, globale Regeln setzen. Denn die Strategie des Marktes ist es, diejenigen Plätze aufzusuchen, in denen die Regeln nicht gelten. Schon Hayek sagte: Die Demokratie ist ökonomisch ineffizient. Wir brauchen globale Regeln zum Schutz von Kindern, Menschenrechten, Umwelt, Mitbestimmung." Zweitens brauche es einen Schulterschluss zwischen Zivilgesellschaft und Demokratie. "Es muss in der Gesellschaft Kräfte geben, die sich für edle Motive einsetzen."

Weizsäckers Fazit: "Jeremy Rifkin hat ein Buch geschrieben: ,Der europäische Traum'. Er vermisst in Amerika Werte wie Frieden, regionale Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit. Wir sollten uns darauf besinnen, dass das unsere Stärken sind, statt uns immer mehr an die Chicago-Schule anpassen zu wollen."

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