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23.06.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
"Postkoloniales Museum"
VON ANNE-CATHERINE SIMON
Restitutionen drohen: Viele Objekte stammen aus Plünderungen.

"Vielleicht das einzige positive Vermächtnis, das Herr Chirac uns hinterlässt", kommentierte die Zeitung "Le Monde". Kurz vor Ablauf seiner Amtszeit hat sich der französische Präsident doch noch in alter Landestradition ein museales Monument gesetzt. Aber nicht deswegen ist das Projekt seit den ersten Plänen vor zehn Jahren ein unerhörtes Politikum. Es signalisiert eine Zeitenwende, ähnlich jener, die in Österreich mit der Affäre Waldheim begann, nur dass sie hier die Kolonialvergangenheit betrifft.

Die fehlende Aufarbeitung ist nicht zuletzt deswegen ein Problem, weil sie mit den heutigen sozialen und kulturellen Problemen verknüpft ist: Ein Großteil der arbeitslosen, randalierenden Jugendlichen in den Vororten sind Nachfahren von Einwanderern aus ehemaligen Kolonialländern. Durch die Unruhen brach die jahrzehntelang unterdrückte Debatte endgültig auf - obwohl die Regierung noch vor einem Jahr ein Schulgesetz herausgab, in dem es heißt: Im Lehrplan müsse "besonders die positive Rolle der französischen Präsenz in Übersee, speziell in Nordafrika" vermittelt werden.

Von links bis rechts begrüßen Frankreichs Medien das "postkoloniale Museum", das "durch sein Prinzip die ausgestellten Objekte von ihrer fragwürdigen Herkunft reinigt" ("La Liberation"). Dem war nicht immer so: Heftige Polemik begleitete die zehn Jahre dauernde Realisierung, ebenso wie schon die Öffnung des Louvre im Jahr 2001 für außereuropäische, bis vor kurzem "art primitif" - also "primitiv" - genannte Kunst. Museumsdirektoren ereiferten sich damals über die Nachbarschaft der Mona Lisa oder der Venus von Milo zu "Negerfetischen". Auch mit dem Musée du Quai Branly ist die Vergangenheit noch lang nicht bereinigt, allein schon wegen der Herkunftsgeschichte der Objekte: Die meisten verdanken sich mehr oder weniger legalisierten Plünderungen durch französische Besatzungskräfte in den vergangenen 200 Jahren. 2000 wurde Museumschef Stéphane Martin übrigens beim Kauf dreier illegal aus Nigeria ausgeführten Tonfiguren überrascht.

Noch eine Parallele zu Österreich: Experten prophezeien für die nächsten Jahrzehnte große Probleme mit Restitutionsforderungen. Was im Übrigen nicht nur für Frankreich gilt - über 90 Prozent ethnologischer Objekte aus Afrika lagern in europäischen und amerikanischen Sammlungen.

Vorerst aber ist das Museum Werbeträger für ein neues französisches Selbstverständnis: gegen Ethnozentrismus, für die Vielfalt der Kulturen. In diesem Bekenntnis finden sich kurioserweise alle politischen Lager: Seit den rechten Verteidigern französischer Identität bewusst wurde, dass ein neuer "Kolonialismus der Globalisierung" heute ihre eigene Kultur bedroht.

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