Modernes aus dem Reich der Mitte
Uli Sigg präsentiert in Bern zum ersten Mal zeitgenössische Kunst aus China

Er ist ein Mann, der aussieht, als sei er einem der Bilder entstiegen, die er selbst seit Jahren sammelt: Uli Sigg, ein Wanderer zwischen den Welten. Seine umfassende Ausstellung zeitgenössischer chinesischer Kunst lockt das Publikum seit der Weltpremiere am 12. Juni gleich reihenweise ins Berner Kunstmuseum. Noch ist Gegenwartskunst aus dem Reich der Mitte für die meisten Besucher ein Schritt in künstlerisches Neuland. Noch hat sie sich nicht dem globalen Mainstream angepasst. Doch das scheint sich zu ändern.

Die erste Ausstellung dieser Art setzt einen Meilenstein - auch für Uli Sigg selbst, der bekennt: "Ich freue mich natürlich, dass der Tag nun Realität ist, und man die Dinge sehen kann. Es war mir ein Anliegen, zunächst in der Schweiz auszustellen. Aber mein Ziel ist irgendwann China." Denn dort kenne man die meisten der Werke noch nicht. "Es wird ein großer Tag sein, wenn eine solche Ausstellung dort präsentiert wird", ist der Kunstsammler überzeugt.

Themen teils noch zu kritisch für China

Mao Tse Tung zum Beispiel bleibt ein Thema für die jungen Künstler in China. Die meisten setzen noch immer auf figurative Darstellungen. Dazu gehören auch die Vorgänge 1989 bei der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen Platz. In China werden solche Werke vorläufig nicht ausgestellt. "Es gibt zum Teil Themen, die noch zu kritisch sind, die heute - jedenfalls in der Form - nicht gezeigt werden können", weiß Sigg, doch er sieht, dass die Situation sich rasch ändere und die Öffnung "auch die Kultur und die Bildende Kunst" erreiche.

In Zukunft sind vielleicht auch in Peking oder Shanghai Bilder zu sehen, die sich mit Folter und Schinderei im modernen China auseinander setzen. Das Eingebundensein in die Gesellschaft und das Vorspielen der guten Miene dazu, das Uniforme im Alltag - auch das sind Themen für chinesische Künstler. Ai Weiwei etwa ist mittlerweile einer der bekanntesten von ihnen und erzählt über Uli Sigg: "Wenn Künstler über ihn sprechen, spürt man, dass sie ihn als Teil der Familie ansehen. Sie sehen aber auch einen Lehrmeister in ihm. Er leitet uns. Denn seine Art, Kunst auszuwählen, ist sehr persönlich."

Einflussreicher Mäzen

Seit rund 30 Jahren ist Uli Sigg unterwegs auf Einkaufstour, wie beispielsweise bei Li Songsong in Peking. Mehr als tausend Künstler hat Sigg im Laufe der Zeit in ihren Ateliers besucht. Die rasante Entwicklung des Landes nimmt Einfluss auf Kunst und Künstler. Sigg hat viele von ihnen auf ihrem Weg begleitet und durch seine Sammlertätigkeit auch beeinflusst. Manche wurden seine Freunde - so auch Ai Weiwei. Seine Passion für chinesische Kunst kostet Sigg viel Zeit und Energie. Er gesteht: " Es braucht wahrscheinlich diese abartige Persönlichkeitsstruktur, niemals aufzugeben, um das durchzustehen." Chinesische Künstler - wie zum Beispiel Wang Guangyi - leben heute zumeist in einem urbanen Umfeld wie ihre Kollegen in Paris, London oder New York. Sie haben Zugang zu Internet und anderen Medien. Mit den Lebensverhältnissen hat sich auch der Themenbereich der Künstler verändert.

Botschafter chinesischer Kunst im Westen

Auf Schloss Mauensee in der Innerschweiz lebt Sigg heute inmitten seiner Kunstschätze. Im Kontrast zum Schweizer Schloss gewinnen die Werke ganz besonders an Reiz. In den ersten Jahren seiner Sammlertätigkeit hatte er sie noch ganz nach persönlichem Geschmack ausgwählt. Doch irgendwann im Laufe der 90er "habe ich dann realisiert, dass niemand systematisch zeitgenössische chinesische Kunst sammelt - weder eine Institution, noch ein Individuum, weder in China, noch im Ausland", erklärt er seinen Sinneswandel. "So habe ich mich entschieden, diese Lücke zu schließen und eben das ganze Spektrum der Kunstproduktion von China in einer Sammlung abzubilden."

Damit ist Uli Sigg, der ehemalige Schweizer Botschafter in Peking, zum Botschafter für chinesische Kunst im Westen geworden. In der Berner Ausstellung ist zu sehen, wie chinesische Künstler sich bei ihrem Mäzen revanchieren, indem sie ihn auf verschiedene Arten als Kunstwerk wiedergeben. Sigg selbst bleibt weiterhin von seiner Passion getrieben. Er geht eigene Wege auf der Suche nach zeitgenössischer chinesischer Kunst.


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[3] http://www.3sat.de/kulturzeit/tips/77066/index.html (Die Rückkehr der Schönheit - Ausste[...]Berliner Haus der Kulturen der Welt)

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14.06.2005 / Annette Freitag für Kulturzeit / se /3sat