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30.05.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Die Sehnsucht nach der Sehnsucht
VON JOHANNA DI BLASI
Romantisch wandeln in den Ruinen der 68er-Träume: Über die Ausstellung "Wunschwelten" in der Frankfurter Schirn Kunsthalle.

Kunstmessenbesuchern konnte es nicht mehr verborgen bleiben: Sujets wie nebelverhangene Waldtäler, glitzernde Felsenschluchten und einsam der erhabenen Natur überantwortete Subjekte sind auf breiter Front wiedergekehrt. Auch im Kino und bei Computerspielen halten die Fantasywelle und Tendenzen der Weltflüchtigkeit an. Die künstlerische (oder religiöse) Sehnsucht nach dem Imaginären muss aber nicht notwendig eskapistisch sein. Vielleicht ist es an der Zeit, das Imaginäre wieder als integralen Bestandteil des Menschen zu bejahen.

In der Schirn Kunsthalle wird die neu erblühte Sehnsucht nach Idylle als zeitgemäße Anknüpfung an die komplexe Ästhetik der historischen Romantik mit den Mitteln der Postmoderne gefeiert. Max Hollein, Schirn-Direktor, bald zusätzlich Städel-Leiter und Kommissär des Österreichpavillons auf der diesjährigen Venedig-Biennale, ist sich sicher, damit eine "aktuelle Gegenwartströmung" im Keim zu erfassen.

Als Gewährsmann hat er Malerstar Peter Doig herangezogen. Doig hat sich in den frühen 90ern antizyklisch zur damals vorherrschenden Diskurskunst imaginären Fluchtpunkten zugewandt. Vier seiner betörenden Gemälde bilden das Herzstück der Schau. Darunter auch eine einsam im Ruderboot an der Grenze zur Selbstauflösung treibende Figur - Doigs Markenzeichen. Bei den Newcomern fiel Holleins Blick schwerpunktmäßig auf Aussteiger-Szenarien. Die Kinder der 68er nehmen vor dem Hintergrund schwindender Berufsaussichten und wankender Sozialsysteme die Jugendideale ihrer Hippie-Eltern sehnsuchtsvoll in den Blick, verleiben ihren Bildern allerdings das melancholische Wissen um das Scheitern von Utopien ein: In den Ruinen der 68er-Träume zu wandeln ist extrem romantisch.

Die junge Schottin Kaye Donachie zieht das visuelle Material für ihre psychedelisch glühenden Malereien aus Super-8-Filmen und anderen Dokumentationen von Aussteigergruppen und ihren nonkonformistischen Ritualen. Die in ihrer Heimat zum Star avancierte, bei uns noch zu entdeckende New Yorkerin Justine Kurland bricht in ihrer Hochglanzfotografie Woodstock-Kultur und weltflüchtige Nudisten-Camps mit Konformismuszwang und Horrorelementen.

Das Innere, aus dem die 13 versammelten Neoromantiker schöpfen, ist ein Echoraum für Pop, Esoterik und Kunstgeschichte. Sie sampeln daraus eine Grammatik, die vor allem eine Sehnsucht nach der Sehnsucht ist. So weit entfernt von der historischen Romantik ist das nicht. Die Romantik hat postmoderne Mittel wie offenes Kunstwerk, Fragmentierung, Zeichenhaftigkeit, Überschreitungswunsch, Selbstverzauberung, Ironie und Distanz vorweggenommen.

Ob die aktuelle Meta-Romantik tatsächlich die von Hollein postulierte Kehrtwende "nach den harten Jahren der bis zur Selbstauflösung von Kunst gehenden dekonstruktivistischen, diskursanalytischen Untersuchungen der 1980er und 1990er Jahre" ist, bleibt indes fraglich. Dass es so schnell kein Entkommen gibt, wird einem bereits nebenan im Frankfurter Kunstverein klar. Dort läuft die in vier europäischen Städten parallel veranstaltete "Populism"-Ausstellung.

In der demonstrationsartigen Schau sind Positionen von Künstlern versammelt, auch sie Kinder der 68er, die den moralisierenden Zeigefinger der Eltern internalisiert haben. Sie bieten anstrengende Diskurskunst und Versuche, die Krisenberichterstattungsrealität zu berühren. Die Resultate sind so politisch korrekt wie vorhersehbar. Gegen Kunst nach akademischen Strickmustern haben sich einst die Romantiker gewendet - die Neoromantiker folgen ihnen darin nach.

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