Salzburger Nachrichten am 09. November 2004 - Bereich: kultur
Der Standpunkt: "Krise" fördert die Kreativität MARTIN BEHR
Kreative Lebenszeichen nach den großen Festen: Nach Jahren, in denen in
erster Linie der Repräsentationskunst gehuldigt wurde, und nach dem
kostspieligen Ganzjahres-VIP-Treff "Graz 2003 - Kulturhauptstadt Europas"
setzte der "steirische herbst" heuer wieder künstlerische Akzente.
Besonders erfreulich: Die Uraufführungen von Stücken der jungen
Schriftstellerinnen Gerhild Steinbuch und Kathrin Röggla sind weithin
gelungen, mit einer szenischen Lesung hat auch der Nachwuchsautor Johannes
Schrettle eine Talentprobe abgelegt. In einem Jahr mit stark gekürztem
Budget richtete der "herbst" den Blick auf den heimischen Nachwuchs und
fuhr gut damit. Die Stärke des österreichischen Gegenwartskunstfestivals mit Sitz in
Graz war und ist das Vertrauen auf das Neue, das Unerprobte, das - aus
welchen Gründen auch immer - Un- oder das Zu wenig Beachtete. Intendant Peter Oswald hat aus den Fehlern der ersten Jahre
Konsequenzen gezogen; in der Endphase seiner Intendanz nimmt das teilweise
schon leck gewordene Avantgarde-Schiff seinen Kurs wieder auf. Erstmals
seit Jahren wurde heuer auch in der Bildenden Kunst durchwegs hohe
Qualität geboten. Die Highlights: die Ausstellungen "Bewegliche Teile" im
Kunsthaus, "Bleiben oder gehen" in der Camera Austria, "Gelegenheit und
Reue" im Grazer Kunstverein sowie die Personalen von Peter Weibel und
Cameron Jamie (Neue Galerie), "Nothingness" in der Galerie Eugen
Lendl. Probebühne, nicht Prosecco-Treff, Sprungbrett statt Weiheort: Gerade im
Jahr, als das Motto "Krise ist immer" lautete, zog sich der "steirische
herbst" aus selbstverschuldeten Strudeln. Mit seiner glühenden
Begeisterungsfähigkeit, seiner mitunter etwas blauäugigen Euphorie war
Peter Oswald in der Vergangenheit über das Ziel hinaus geschossen. Jetzt
wirkt er lockerer, abgeklärt und ganz auf den Endzweck - die Kunst -
orientiert. |