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Nachrichten : Kultur
18.04.2001

 
Saskia Bos im Gespräch
 
Braucht Berlins Kunst die Biennale?
 
Die niederländische Ausstellungsmacherin über ihr Konzept
 
Saskia Bos (48) ist eine der international renommiertesten Ausstellungsmacherinnen. In Deutschland gab die gebürtige Holländerin vor zwanzig Jahren als Assistentin der documenta 7 in Kassel ihr erstes Gastspiel. Seitdem ist sie hierzulande gefragt - ob als Jury-Mitglied des DAAD oder zuletzt als Sprecherin der Findungskommission für den künstlerischen Leiter der Documenta XI. 1984 gründete Saskia Bos die Amsterdamer De Appel Foundation für zeitgenössische Kunst, mit der auch die Berliner "Kunstwerke" zusammenarbeiten. Von dort aus wurde sie als Kuratorin der Berlin-Biennale berufen.

In den letzten Jahren sind Kunst-Biennalen in Sao Paolo, Johannisburg und Istanbul gegründet worden, um den auf Westeuropa und die USA konzentrierten Kunstbetrieb auch dorthin zu locken. Warum hat Berlin eine Biennale nötig?

Berlin verdient besondere Aufmerksamkeit, denn hier ist noch immer alles im Aufbruch mit all den Galerien, die sich neu ansiedeln, und den Künstlern, die gerade hierherziehen. Sie alle brauchen den internationalen Kontext, auch wenn er auf Museumsniveau, sprich: im Hamburger Bahnhof, schon vorhanden ist. Gleichzeitig bringt eine Biennale Energie in die Stadt. Künstler aus aller Welt streben hierher; dafür stellt eine solche Schau eine hervorragende Plattform dar. Gerade jungen Künstlern, die noch in keiner großen Sammlungen vertreten sind, gibt diese Ausstellungsform eine besondere Chance. Dabei ist es egal, wie man das Ganze nennt: ob Biennale, was im Moment im Trend liegt, oder "Die neue Kunst von Heute". Wichtig ist der Werkstattcharakter und die Chance für die Künstler, auf die Stadt zu reagieren. Zwar gibt es hier schon die großen thematischen Ausstellungen wie "After the Wall", aber die werden eingeflogen und entstehen nicht aus dem Kontext der Stadt.

Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Berlin-Biennale zu einem Marketing-Produkt für die Stadtwerbung wird?

So groß ist unser Budget von insgesamt drei Millionen Mark auch wieder nicht, dass wir eine so außergewöhnliche Ausstrahlung haben könnten. Natürlich ist Stadtmarketing dabei, wenn etwas Berlin-Biennale heißt. Aber in erster Linie ist es hoffentlich ein Marketing guter Kunst. Der Berlin-Stempel wird die Kunst nicht verdrängen. Nehmen Sie die Show "Greater New York" in P. S. 1 in Brooklyn, eine wirklich eindrucksvolle Ausstellung. Warum sollte es verkehrt sein, sie nach der Stadt zu benennen?

Ist die Stadt überhaupt bereit, Geld zu geben?

Wir erhalten insgesamt 1,5 Millionen Mark, allerdings aus dem Hauptstadtkulturfonds des Bundes; der Rest kommt über private Sponsoren und Einnahmen etwa aus dem Katalogverkauf. Das ist kein großer Etat, wenn man bedenkt, dass wir die Häuser auch noch mieten müssen, die bei anderen Biennalen schon zur Verfügung stehen. Neben den "Kunstwerken" in der Auguststraße und dem Postfuhramt werden es in diesem Jahr zum ersten Mal die S-Bahn-Bögen an der Jannowitzbrücke sein, so dass der Ausstellungsparcour die Stadt mehr einbezieht. Zwar klingt das wieder nach City-Marketing, aber es gibt wirklich Schlimmeres, wenn ich etwa an meine Heimatstadt Amsterdam denke, die als Stadt des 17. Jahrhunderts und als Mekka der siebziger Jahre für Hippies beworben wird. Amsterdam hat da ein echtes Imageproblem. Ich wäre froh, wenn man bei der Stadt eher moderne Kunst assoziieren würde.

Bei der letzten Berlin-Biennale meinten einige Kritiker, die Kunst sähe ja aus wie ein unaufgeräumtes Jugendzimmer. Wurde damit nicht zugleich die damalige Verfassung der Berliner Kunstszene charakterisiert?

Wohl eher die des Postfuhramts, in dem noch nicht alles so schön verputzt war, wie es jetzt zunehmend in Mitte der Fall ist. Insofern hat dieses Statement eher die Gesamt-Berliner Situation beschrieben. Bezogen war es wohl auf die Arbeiten von Jonathan Meese oder John Bock, die danach übrigens große internationale Aufmerksamkeit genossen. Mindestens ebenso wichtig waren jedoch Dominique Gonzales Förster oder Olafur Eliasson, die nun gar nichts mit unaufgeräumten Kinderzimmern zu tun haben. Eine flotte Formulierung ist schnell gefunden, aber man kann damit nicht hundert Künstlern ein Logo aufdrücken.

Und was wird für Ihre Biennale charakteristisch sein?

Meine Ausstellung wird sicher anders aussehen - allein dadurch, dass die "Kunstwerke" in der Auguststraße als "White Cube" saniert sind und mehr Räume im Postfuhramt zur Verfügung stehen. Mit diesem Kontrast werden wir arbeiten. Hinzu kommen größere Installationen in den S-Bahn-Bögen. So schaffen wir verschiedene Atmosphären. Das ist eine schwierige Aufgabe, denn die Künstler müssen die vorgegebenen Räume akzeptieren, da wir ohne Stellwände arbeiten. Hinterher wird man sehen, ob relevante Beziehungen zwischen den Arbeiten zustande gekommen sind und wie das Klima der Ausstellung ist.

Soll dieses Klima eine Atmosphäre reflektieren, die auch in der Stadt zu spüren ist?

Ich hoffe nicht nur eine, denn ich versuche, keine bestimmte Stimmung zu treffen. Trotzdem habe ich bestimmte Ausgangsideen, die mit den Begriffen "connectedness", "concern", "contribution" zu beschreiben wären, die in der Kunst an Bedeutung gewinnen. Dennoch wird die Berlin-Biennale keine thematische Schau. Ich muss den Künstlern schon eigene Reaktionen zugestehen. Von mir haben sie einen langen Brief als Einladung erhalten. Aber wenn Sie genau anders als erwartet reagieren, kann das genauso interessant sein.

Jetzt haben Sie ja doch Kernbegriffe genannt, wie Empathie und Anteilnahme an der Welt.

Alle diese Künstler verbindet, dass sie heute nicht mehr auf sich selbst fixiert sind. Es geht nicht mehr ums Tagebuch, die Expression, das Ego. Diese Künstler sind vielmehr auf die Außenwelt fokussiert. Damit meine ich nicht die Schaffung von interaktiven Situationen mit kleinen Spielchen, sondern hier kann sich der Betrachter mit dem Künstler identifizieren und mit seiner Hilfe aus einem neuen Fenster herausschauen.

Vielleicht treffen Sie mit einer solchen Standortbestimmung der Kunst dann doch eine bestimmte Stimmung in der Stadt.

Vielleicht. Die erste Biennale war sehr auf Berlin bezogen, hat die Architektur thematisiert und Künstler vorgestellt, die hier wohnen oder ihre Galerie haben. Das wollte ich nicht wiederholen, denn wir leben in einer Zeit, wo man überall in Europa weltoffen zu sein versucht. Ich hatte zwar kein Team und keine drei Jahre Vorbereitungszeit wie unsere Freunde in Kassel, aber durch meine internationale Kuratorentätigkeit als Leiterin der De Appel Foundation bewege ich mich ohnehin in einem globalen Rahmen. Wenn man die Biennale-Liste daraufhin durchschaut, wo die Teilnehmer geboren sind und wo sie heute wohnen, kann man sehen, dass viele Künstler von anderen Kontinenten längst hier leben und Teil einer größeren Kunstwelt geworden sind. Sie sind nicht wegen ihres exotischen Charakters eingeladen, sondern weil sie eine kritische Distanz zu uns haben und unseren Blick auf uns selbst zu problematisieren vermögen.

Warum haben Sie dann die Teilnehmerzahl um über die Hälfte reduziert?

Ich wollte nicht nur ein Bild, eine kleine Skulptur oder ein Foto von jedem hinhängen, also ein buntes Gemisch, sondern eine seriöse Präsentation mit Atem schaffen. Gleichzeitig werden rund zwanzig neue Arbeiten produziert, wofür der Etat gerade reicht. Außerdem ist es teuer, wenn man Künstler aus der ganzen Welt holt.

Sie waren Sprecherin des Findungskomitees für den künstlerischen Leiter der Documenta XI. Gibt es Berührungspunkte zwischen Ihrer Arbeit und der des jetzigen Documenta-Chefs Okwui Enwezor?

Uns verbindet die Distanz zum Markt, zur Kunst als "global fashion". Wir beide wollen nicht nur etwas Schönes aufhängen, sondern wir wollen, dass die Kunst etwas reflektiert. Das kann durchaus humorvoll geschehen. Allerdings möchte ich nicht übertheoretisch sein.

Diesen Eindruck könnte man von der kommenden Documenta durchaus gewinnen, zumal sie in Wien in Form eines Diskussionsforums an den Start gegangen ist.

Also, da spekuliere ich nicht mit. Ich bin allergisch Leuten gegenüber, die schon ein Jahr vorher alles wissen. In Wien ging es um Demokratie und wie sich die Kunst in den sozialen Kontext einschreiben kann. Ich persönlich schaue immer erst einmal, womit sich die Künstler gerade beschäftigen. Und wenn ein Künstler die Welt in Gestalt eines Dokumentarfilms festhält, dann ist eben das die Verbindung zur Realität. Ein Künstler ist weder Anthropologe noch Journalist; er ermöglicht uns dafür einen anderen Blick auf die tagtäglichen Probleme, ohne sie gleich lösen zu wollen. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten sollen genau solche Fragen evozieren. Aber erst kommt die Kunst und dann das Theoretisieren.

Als Biennale-Kuratorin kristallisieren Sie bestimmte Momente der aktuellen Kunstproduktion heraus. Wo sehen Sie heute die Position der Kunst?

Für mich ist Kunst nicht Dekoration über dem Sofa oder ein schönes Designobjekt, sondern das Produkt eines geistigen Austauschs zwischen Menschen, durch das Freiräume für neue Vorschläge, utopische Gedanken geschaffen werden.

Aber haben es Künstler nicht heutzutage zunehmend schwerer, sich zu legitimieren?

Die nichtdekorative Kunst hat es immer schon schwer gehabt und wurde als zu intensiv, als zu problematisierend beiseite geschoben. Ich werde mit der Berlin-Biennale eine große Komposition versuchen. Und es wird Interventionen geben, durch die ganze Positionen wieder kippen.
 
Das Gespräch führte Nicola Kuhn.
 
 
 
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