Video Still(leben)

"...und außerdem möchte ich noch gerne meine Familie grüßen lassen."


Fast jeder sieht fern. Künstler genauso. Viele bildende Künstler nehmen das Fernsehen sogar sehr bewusst wahr, weil ja ein wichtiger Teil unserer visuellen Welt im Fernsehen stattfindet. Die Bilder aus der Glotze sind so mächtig und steuern so sehr die Wirklichkeit, dass sich Künstler seit Jahrzehnten intensiv mit diesen Bildern beschäftigen. Das Thema "Fernsehen" ist ein Kunstgenre geworden wie in der Alten Kunst zum Beispiel das Stillleben, stellt der Kurator der Ausstellung, Joshua Decter, fest.

Ausstellungsarchitektur

Wenn man die Kunsthalle betritt, hat man das Gefühl, dass der Saal mit der gewölbten Decke selbst zu einem begehbaren Fernseher geworden ist. Trennwände aus aufblasbarem, halbtransparenten Kunststoffteilen, mit bildschirmförmigen Durchblicken strukturieren den Raum. Die raffinierte Ausstellungsarchitektur von dem Team veech.media.architecture ist mit Videoarbeiten, Installationen, Fotografien und gemalten Bildern bestückt.

Ashley Bickerton: The Patron, 1997
Ashley Bickerton: The Patron, 1997

Beispiele

Die kanadische Gruppe General idea hat riesige Wandtafeln aus lauter rechteckigen Porzellantellern zusammengesetzt - diese Teller sind bunt gestreift in den Farben des Fernseh-Testbilds. Teller für das TV-Dinner - Fernsehen als Entsprechung zur US-amerikanischen Fastfood-Kultur. Auf einem Bild von Keith Haring türmen Strichmännchen Fernsehapparate zu einer Pyramide, um die zwei riesige nackte Mayagötter tanzen. Fernsehen als moderner Kult.

Jan Dibbets: TV as a Fireplace, 1969
Jan Dibbets: TV as a Fireplace, 1969

Kritisch, aber nicht zu sehr

In der Ausstellung geht es bei weitem nicht nur um Kritik am Fernsehen als manipulierendes oder verblödendes Medium. "Kunst sieht fern" soll möglichst viele Aspekte des Themas auffächern. Selbstvergessen fernsehende Menschen in ihrem intimen, häuslichen Bereich, fotografiert von Paul Graham. Ein ausgestopfter Esel, dem Maurizio Cattelan ein altes Fernsehgerät auf den Rücken gepackt hat.

Thomas Demand: Studio, 1997
Thomas Demand: Studio, 1997

11. September am TV

Wie sich Fernsehen zur Realität verhält, das hat der Kurator Joshua Decter am 11. September auf makabre Art selbst testen können. Von seinem Balkon sah er aus nächster Nähe die Terroranschläge auf das World Trade Center - parallel dazu beobachtete er das Ganze im Fernsehen. Was er mit eigenen Augen sah, wollte er nicht glauben - aber auf dem Bildschirm glaubte er es doch. Der Schock führte zu einer Verdrehung der Wahrnehmung.

Tipp

Der Katalog zur Austellung Kunst sieht fern in der Kunsthalle Wien ist übrigens als Videokassette verpackt.

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