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23.06.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung | ![]() |
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Musée du Quai Branly: Chirac und die "Blüten der Differenz" | ![]() |
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VON JENS E. SENNEWALD | ![]() |
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Paris. Das Musée du Quai Branly: ein Denkmal für außereuropäische Kunst - und Frankreichs Präsidenten. | ![]() |
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Ein Land bleibt lebendig", so lautet die Inschrift im Portikus eines Kabu ler Museums, "wenn seine Kultur am Leben bleibt." Koïchiro Matsuura, Generaldirektor der UNESCO, machte mit diesem Zitat im September 2002 klar: Ökonomische Entwicklung allein reicht nicht für nachhaltige Entwicklung der Weltgesellschaften aus, die Vielfalt des kulturellen Erbes muss geschützt werden. Inzwischen gibt es ein "Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen". Vom Pariser Sitz der Unesco am Place de Fontenoy, wo es 2005 beschlossen wurde, sind es nur wenige Schritte übers Marsfeld zum Eiffelturm. Daneben soll nun am linken Seine-Ufer ein neues Museum
zum Erhalt der materiellen kulturellen Vielfalt beitragen. Staatspräsident
Jacques Chirac widmete es zur Eröffnung gemeinsam mit UNO-Generalsekretär
Kofi Annan "jenen Völkern, denen in der Geschichte Gewalt angetan wurde,
die zu oft an den Rand gedrängt, verfolgt, unterdrückt wurden". Gemeint
waren die "nicht-okzidentalen Völker", so der politisch korrekte Begriff
für jene Kulturen, die aus Europa-Perspektive lange als "primitiv" galten.
Elf Jahre Entwicklung brauchte das Museum, das erstmals
die Künste Afrikas, Asiens, Ozeaniens und Amerikas eigenständig darstellen
soll. Ein Riesenprojekt: Das ursprüngliche Budget von 167,68 Millionen
Euro (1998) wurde um 38 Prozent überstiegen: 232,5 Millionen kostete das
Chirac-Monument. Ein Staatsakt, wie man ihn seit Mitterrands
Groß-Bauprojekten (Neue Nationalbibliothek, Opéra Bastille) in Paris
bereits gewöhnt ist. Gegen Widerstand aller Verantwortlichen wurde das
Museum der Kunst Afrikas und Ozeaniens leer geräumt sowie ein Großteil der
Sammlung des Musée de l'homme verlegt. Deren Werke füllen nun die 40.600 Quadratmeter Gebäude,
die Stararchitekt Jean Nouvel errichtet hat. 3500 Stück werden auf
10.000 m2 Ausstellungsfläche gezeigt, zwei Drittel davon als Dauer-,
ein Drittel als temporäre Ausstellung. 2500 m2 Terrasse bieten ein
atemberaubendes Paris-Panorama. Ein wabenähnliches Restaurant ermöglicht
auch außerhalb der Museumsöffnungszeiten sinnlichen Genuss kultureller
Vielfalt. Darunter: Ein Nouvel-Gesamtkunstwerk mit vielen witzigen
Wendungen - und Selbstzitaten. Die große Glaswand zur Straße hin und eine
mit Pflanzen bewachsene Fassade des Biologen Patrick Blanc bot schon
Nouvels Bau für die Fondation Cartier am Boulevard Raspail. Am Quai Branly
ist Blanc ein Meisterwerk aus 150 Pflanzenarten gelungen, das auf den
800 m2 Wand der Verwaltungsgebäude gedeiht. Im Hauptgebäude erinnert die Rampe zum Hauptsaal an Frank
Lloyd Wrights Guggenheim-Schnecke, die Kabinett-Architektur um den
Hauptausstellungsraum wirkt wie aus dem Holzbaukasten. Im Erdgeschoß lässt
sich das große Amphitheater "Claude Lévi-Strauss" durch verschiebbare
Glasfronten auf einen Teil des 18.000 m2 großen Gartens öffnen. Der
heute 98-jährige Anthropologe Lévi-Strauss ist Ehrenpräsident der von
Chirac für die Umsetzung seines Projekts gegründeten Kommission.
Gartenarchitekt Gilles Clément hat einen öffentlichen Park geschaffen,
schon jetzt Oase am stark befahrenen Quai. Kopf-Skulpturen von den
Osterinseln geben hier ein Aperçu der Sammlung. Ein Teil des Gebäudes
steht auf verschieden breiten, asymmetrischen Säulen, die Fassetten-Decke
gleicht einem Tangram-Puzzle. Das Publikum soll spielerisch außereuropäische Kulturen
entdecken. Eine "Volksuniversität" bietet gratis Seminare und Vorträge.
Ein zweites Centre Pompidou ist das Völkermuseum allerdings nicht. Die
Eröffnungsausstellungen über die Arbeit des Ethnologen Georges Condominas
in Vietnam, über die Ciwara, Helm-Zierat der malinesischen Bamana und zur
anthropologischen Frage "Was ist ein Körper?" verlangen eine gewisse
Kennerschaft, um anziehend zu sein. Transparenz ist gleichwohl Leitmotiv:
Über alle drei Etagen gibt ein Glasturm den Blick auf einen Teil des
Lagers mit 300.000 Objekten frei, Videoschirme zeigen den Gebrauch der
Objekte, Musik dringt durch die Scheiben. Die Mediathek umfasst 700.000
Fotografien. Über die Web-Site des Museums sind alle Werke der Sammlung
zugänglich. Auch die zeitgenössische Kunst hat ihren Ort: Die
Innenraum-Gestaltung wurde von Aborigine-Künstlern umgesetzt. Paris hat ein neues Museum zum "Schutz jener
zerbrechlichen Blüten der Differenz", so Chirac, Lévi-Strauss zitierend.
Die Vielfalt der Kulturen in Frankreich selbst bleibt dennoch gefährdet,
es mangelt an klarer Einwanderungspolitik, die Integrationspolitik ist
gescheitert. Bei der Einweihung war das freilich kein Thema. Die Buben aus
der Vorstadt verirren sich selten ins noble 17. Arrondissement. Dafür hat
das kulturelle Leben in Paris eine Superlative mehr. |
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