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Gegen den Zeitgeist

Die Biennale von Venedig: Der Deutsche Thomas Schütte erhält "Goldenen Löwen"

von Christiane Hoffmans

Als sich am Freitag nachmittag in den Pavillons von Venedig herumsprach, die Jury habe beschlossen, den großen Preis der Biennale an den Düsseldorfer Bildhauer und Grafiker Thomas Schütte zu vergeben, war die Überraschung groß. Auch wenn sein Raum in der von Maria De Corrall und Rosa Martínez kuratierten Gruppenausstellung "The Experience of Art" durchaus freundlich aufgenommen wurde - als Favoriten für den "Goldenen Löwen" wurden andere gehandelt. Und doch schien ein großer Teil des anwesenden Kunst-Jet-Sets fast erleichtert zu sein, daß mit Schütte ein Künstler geehrt wurde, der weder Teil des allumfassenden Malereibooms ist noch mit marktschreierisch vorgetragener Originalität zu punkten versucht.

Daß seine Kunst dennoch auf ein geteiltes Echo stößt, liegt daran, daß Thomas Schütte zeit seiner bisherigen Karriere unberechenbar geblieben ist.

Mal arbeitet er figurativ, dann wieder gegenstandslos, mal fotografiert er, dann zeichnet er wieder. Auch wechselt er häufig die Materialien. Seine Skulpturen entstehen aus Plastik, Fimo oder Bronze. Wie die großformatigen "Geister", die sich freundlich im Raum zu bewegen scheinen, oder seine voluminösen Frauenfiguren, die sich lasziv auf rostigen Gestellen rekeln. Als archaisch, klassisch, expressiv werden seine Skulpturen beschrieben - und für diese hat die Jury Schütte jetzt ausgezeichnet.

Doch so sehr sein Werk in der Tradition der klassischen Moderne zu stehen scheint, so hermetisch wirkt es bisweilen - verschlossen wie der Künstler selbst. Der 1954 geborene Bildhauer als Einzelgänger: Er begann seine Laufbahn an der Düsseldorfer Kunstakademie als Schüler Fritz Schweglers und Gerhard Richters. Bald schon stellte Schütte fest: "In Richters Klasse kann man nicht malen." Er wandte sich der Skulptur zu. Mit Architekturmodellen für "Ferienhäuser für Terroristen" machte er auf sich aufmerksam. Doch seine erste Einzelausstellung in Krefeld 1986 wurde von der Presse verrissen, der Künstler als "Heimwerker" abgestempelt. Schütte redet gern über die Auswüchse der Kunstszene, schimpft über schlechte Kuratoren, die nicht mehr den Weg in Ateliers finden. Dafür finden in den letzten Jahren immer mehr Sammler den Weg in sein Atelier - Schüttes Arbeiten sind unter anderem in der Sammlung Flick vertreten. Die Entscheidung der Biennale-Jury ist eine Entscheidung für einen intellektuellen Bildhauer, der sein Werk konsequent gegen den Zeitgeist entwickelt.

Die anderen wichtigen Preise waren nicht minder überraschend: Frankreich erhält den Preis für den besten Länderpavillon - unter dem Titel "Casino" zeigt dort Annette Messager mehrere raumgreifende Installationen. Den Preis für den besten Nachwuchskünstler hat die Jury dem wohl skandalösesten Beitrag zugesprochen: Regina José Galindo aus Guatemala zeigt in einem ihrer Videos, wie sie sich ihr Jungfernhäutchen operativ wiederherstellen läßt.

Artikel erschienen am 12. Juni 2005

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