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Was heißt es, EuropäerIn zu sein? Bedeutet es immer
noch - ungeachtet aller innereuropäischen Fissuren -, eine kulturell
dominante, majoritäre, vor allem auch weiße Position innezuhaben?
Oder müssten nicht gerade die historischen Gewalt- und
Abgrenzungsakte, die in dieser Zuschreibung enthalten sind,
verstärkt zum Vorschein gebracht werden - vor allem wenn es darum
gehen soll, eine umfassende, über-nationale Einheit zu suggerieren?
Schon früh hat sich Paul Gilroy mit solch spezifischen europäischen
Ausschließungsprozessen befasst, in seinem Buch »There Ain't No
Black in the Union Jack« (197) etwa, in dem er die wechselseitigen
Abgrenzungen von »Blackness« und »Britishness« untersuchte. Oder in
der einflussreichen Studie über den »Schwarzen Atlantik« (1993), in
dem er eine maßgebliche Kehrseite der europäischen Moderne in der
schwarzen, transatlantischen Gegenkultur aufzeigte. Gilroys neuestes
Projekt geht noch einen Schritt darüber hinaus und versucht ein
postkoloniales Gegenprogramm zum historisch in Europa verankerten
»Rassendenken« zu entwerfen. Ausgehend vom Nationalsozialismus,
seinem nachhaltigen Bildrepertoire, seinen weltweiten Resonanzen in
separatistischen Bewegungen und schließlich seinem unentrinnbaren
Vermächtnis soll ein utopischer Sprung gelingen: hin zu einem
langsam erkennbaren Ende alter rassistischer Trennungen; hin zu
einem Europa, das sich seiner barbarischen Geschichte ebenso wenig
verschließt wie seinen nicht-majoritären Rändern.
Christian Höller: Ihr neues Buch »Between Camps«[1]
versucht einen politisch brisanten Übergang zu beschreiben: von dem,
was Sie als gegenwärtige Krise des »Rassendenkens« diagnostizieren,
hin zur erhofften Schlussfolgerung, dass dadurch ein neuer,
planetarischer Humanismus - ein »wurzelloser Kosmopolitismus« - im
Entstehen sei. In Bezug auf die Prämisse des Buches - die Krise des
»Rassendenkens« - möchte ich Sie zunächst fragen, in welchen
Bereichen und an welchen Beispielen Sie die Symptome dieser Krise
genau festmachen?
Paul Gilroy: Stimmt, mein neues Buch
widmet sich der Krise desjenigen Wissens, das die virtuelle Realität
von »Rasse« überhaupt erst ins Leben ruft. Ich beziehe mich dabei
auf Frantz Fanons Projekt eines neuen Humanismus, aber weniger im
Sinne eines »wurzellosen Kosmopolitismus« - diese Phrase ist nur
insofern interessant, als sie von den Nazis als Schimpfwort
verwendet wurde. Vielmehr geht es mir um einen Kosmopolitismus in
seiner verzweigten (»routed«) planetarischen Ausformung.
Die
Krise des »Rassendenkens« zeigt sich meiner Ansicht nach zunächst in
den Auswirkungen der biotechnologischen Revolution. Es ist absolut
unklar, ob die alten Definitionen von »Rasse« die dadurch
ausgelösten Verschiebungen schadlos überstehen werden. Sollte die
Biotechnologie eine neue Form von Körperpolitik nach sich ziehen, so
wird darin die Idee der »Rasse« keinen besonders komfortablen Platz
haben. Was aber natürlich nicht heißt, dass sich damit alles zum
Besseren wendet. Nur, dass die Entwicklung dann nicht mehr auf
dieselbe Weise rassistisch sein wird, wie wir dies aus der
Vergangenheit kennen. Um einen zweiten Bereich anzusprechen: Die
USA-spezifische Definition von »Blackness« als etwas Niedriges und
Verächtliches ist mittlerweile stark ins Wanken gekommen, da heute
viele schwarze US-AmerikanerInnen höchst attraktive »Software« für
den globalen Markt produzieren. Ich will damit natürlich nicht
behaupten, dass diese Entwicklung das Problem des Rassismus löst,
sondern vielmehr, dass wir der neuen Muster, die dadurch entstehen,
Rechnung tragen müssen. Drittens gibt es heute - insbesondere in der
überentwickelten Welt - ganze Horden dissidenter junger Menschen,
für die die Idee der »Rasse« absolut keine Bedeutung mehr hat und
für die die Hybridisierung von Kulturen zu einer völlig gewöhnlichen
Routineangelegenheit geworden ist. Außerdem sind in den
postkolonialen Städten auf der ganzen Welt neue Lebens- und
Beziehungsformen entstanden, in denen die Rassenhierarchien der
alten kolonialen Epoche unhaltbar geworden sind. Und - als letzter
Punkt - formieren sich gerade ökologische und anti-korporative
Bewegungen, die sich den Widersprüchen der Globalisierung widmen,
ebenso wie eine translokale Kultur von Menschenrechten, für die
»Rasse« in die Kategorie »Narzissmus der minimalen Unterschiede«
gehört.
Sieht man all diese Aspekte im Zusammenhang der
tiefgreifenden Veränderungen, denen Nationalstaaten, nationale
Regierungen und Kulturen ausgesetzt sind, so ändert sich auch die
Sichtweise, aus der die Politik von »Rasse« und Rassismus heute
angegangen werden sollte. Keine dieser Entwicklungen alleine
garantiert ein positives Ergebnis. Aber alle zusammen tragen zu
einem geänderten Klima bei, in dem wir ein neues Verhältnis zu uns
selbst kultivieren können. Ich möchte aber auch hinzufügen, dass der
Antirassismus eine neue moralische Basis braucht, eine moralische
Transfusion. Deshalb hat das Buch auch ein ausgesprochen utopisches
Flair. Wir haben uns so daran gewöhnt zu sagen, wogegen wir
auftreten, dass wir gar nicht mehr sagen können, wofür genau wir
eintreten. Auch das muss sich ändern.
Höller: Um noch
einmal auf die Krise des »Rassendenkens« zurückzukommen: Findet
gegenwärtig nicht - intuitiv gesprochen - eher so etwas wie das
genaue Gegenteil davon statt, nämlich ein Wiederaufleben ethnischer
Konflikte in unterschiedlichsten kulturellen und politischen
Kontexten? Man braucht nur an die letzten Februar vollzogene
österreichische Regierungsbildung zu denken, an der eine offen
rassistische Partei mit 27 Prozent Stimmenanteil beteiligt ist. Oder
an die ungebrochene weiße Vormachtstellung überall in Europa - laut
einer EU-Umfrage halten sich beispielsweise 4 Prozent aller
Franzosen selbst für »ziemlich« bis »sehr rassistisch«.Taucht nicht
die Idee der »Rasse« - auch wenn sie offiziell verabschiedet wurde -
auf ganz alltäglicher Ebene überall wieder auf, und sei es unter dem
Deckmantel unüberbrückbarer kultureller Differenz?
Gilroy: Dieser schreckliche Befund stimmt natürlich, und ich
möchte auch überhaupt nicht abstreiten, dass allseits Rassismen
existieren, dass sie bösartig sind und dass Ultra-Nationalismen
verschiedenster Sorte ein immenses Hindernis für Demokratie und
Gerechtigkeit darstellen. Ich meine, wir sollten dies zur Kenntnis
nehmen und auf systematisch vergleichende und trans-nationale Weise
eine kritischen Annäherung daran versuchen. All diese Prozesse
müssen im anhaltenden historischen Schatten des Kampfes gegen den
Faschismus betrachtet werden. Ebenso muss die Geschichte dieser
Epoche überdacht und neu geschrieben werden, sodass EuropäerIn-Sein
nicht länger mit Weiß-Sein gleichgesetzt wird.
Aber die
Tatsache, dass Rassismen und Nationalismen allgegenwärtig und
gewalttätig sind, bedeutet nicht automatisch, dass auch das
»Rassendenken« historisch neu aufflammt. Ihre Präsenz könnte auch
darauf zurückzuführen sein, dass sich die historischen Codes dieses
Denkens gerade aufzulösen beginnen. Wir könnten die erwähnten
Ereignisse also auch als Symptome eines solchen Zerfalls deuten, als
Niedergang, der dadurch ausgelöst wird, dass eine absolut gesetzte
Identität der Last nicht gewachsen ist, die ihr von den
gegenwärtigen politischen Interessen aufgebürdet wird. Im Zuge der
Globalisierung beginnen die Menschen, ihre ontologischen und
ethnischen Ängste in Identitätspolitik zu kanalisieren, und ihre
Identitätsängste in Ethnizitäts- und Nationalitätspolitik. Wir
müssen mehr darüber herausfinden, warum das so attraktive und
gangbare Optionen sind. Dazu sollten wir auch nationale Identitäten
auf ganz unterschiedlichen Ebenen neu begreifen lernen und die
Integrität der Europa-Idee in Frage stellen, sodass deren koloniale
Muster wieder sichtbar werden. Die EuropäerInnen kennen ihre
Geschichte nicht. Deshalb widme ich mich in meinem Buch auch der
Rolle, die schwarze - koloniale und amerikanische - Soldaten im
Krieg gegen Hitler spielten, wie auch den Verbindungen zwischen
dieser politischen Moral und den Imperativen, die später während des
Kalten Krieges in den Entkolonialisierungsbewegungen auftauchten.
Höller: Sie gehen davon aus, dass wir gerade das Ende der
Trennung nach Hautfarben erleben würden - oder zumindest nahe daran
sind. Als kleine Episode möchte ich erwähnen, dass es bei den
Protesten gegen die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds
letzten April in Washington[2]
so schien, als befänden sich auf der einen Seite ausschließlich
weiße Protestierende, während auf der anderen Seite überwiegend
schwarze Polizisten standen. Wie schätzen sie solche »Trennlinien«
im Hinblick auf Ihren Ansatz ein?
Gilroy: Es ist
interessant, sich aus all den Geschichten, die über die Washingtoner
Proteste erzählt werden könnten, ausgerechnet diese herauszupicken.
Es handelt sich dabei sicherlich um eine ur-amerikanische Geschichte
- die Geschichte der amerikanischen Apartheid. Sie suggeriert, dass
die Bedeutung der Proteste in dieser »lokalen« Trennung zu suchen
sei. Ich hingegen finde, dass in der Konfrontation in Washington
ganz andere Dinge zum Ausdruck kommen: Aspekte eines planetarischen
Bewusstseins etwa, Fragen der Verantwortlichkeit, translokale
Solidarität und politisches Handeln auf globaler Basis - gegen ein
ungerechtes und nicht aufrechtzuerhaltendes System, das den
amerikanischen Wohlstand um den Preis sichert, dass die Mehrzahl der
Weltbevölkerung zu Zwangsarbeit und Hunger verurteilt ist.
Für mich ist die Polizei in dieser Auseinandersetzung
schlicht und einfach die amerikanische Polizei, die von der
Regierung dazu eingesetzt ist, einen bestimmten gewalttätigen Job
auszuüben. Ich denke, es wäre ein großer Fehler, die amerikanische
Geschichte der Rassentrennung in diese Auseindersetzung
hineinzulesen. Das wäre eine Niederlage, was die politische
Dimension des Ereignisses betrifft. Natürlich war den Leuten, die
diese Trennung in den US-Medien groß herausstrichen, die Dynamik des
»Teilen und Herrschens« bewusst. Wir sollten aber auch eines nicht
vergessen: Nur weil man schwarz ist, heißt das nicht automatisch,
dass man radikal, antikapitalistisch oder irgendetwas in der
Richtung sein muss. Die Cops sind in vielerlei Hinsicht einfach
Durchschnittsamerikaner, die ihrem Job nachgehen.
Lagerdenken und Hybridität
Höller: Ich
möchte jetzt gerne darauf zu sprechen kommen, was Sie als die
»Lagermentalität« des modernen Nationalstaates und der modernen
Regierungsformen bezeichnen. »Lager« bezieht sich ja nicht nur auf
das moderne politische Denken, sondern auch auf die tatsächliche
Barbarei in den Nazi-Lagern wie auch im kolonialen Kontext. Wie der
Titel der britischen - im Gegensatz zur amerikanischen[3]
- Buchausgabe nahelegt, favorisieren Sie eine Position »zwischen«
den Lagern. Meine Frage lautet: Sollte man sich nicht gänzlich von
jeder Form von Lager-Diskurs zu verabschieden versuchen? Oder worin
besteht der Vorteil, für eine Position »zwischen den Lagern«
einzutreten, wodurch ja die Legitimität dieses Begriffes bekräftigt
wird?
Gilroy: Der Titel meines Buches lautet richtig
»Between Camps«. Der amerikanische Verlag hat dies ohne meine
Zustimmung geändert. Ich gehe davon aus, dass diese Phrase unsere
politische und historische Position umschreibt. Hier befinden wir
uns, und von hier aus müssen wir auch eine neue moralische und
politische Orientierung in dieser schwierigen Zeit finden. Natürlich
habe ich auch versucht, der Erfahrung und der Kategorie des
»Dazwischen-Seins« einen eigenen Wert zu verleihen, um dadurch zu
verdeutlichen, dass IRGENDWO dieser Ort existieren muss, von dem aus
kritische Beobachtungen und Interventionen möglich werden. Dieser
Ausgangspunkt gewinnt noch an Tragfähigkeit, wenn er direkt mit dem
Begriff der Diaspora und einer dezidiert anti-nationalen Einstellung
verknüpft wird, welche die Sensibilität der Diaspora ja
üblicherwiese auszeichnet. Damit möchte ich aber keineswegs die
Dislozierung romantisieren, sondern deutlich machen, dass mit diesem
Prozess sowohl neue Einsichten als auch Verlust und Leiden
einhergehen.
Höller: Dies verweist bereits auf aktuelle
Formen der kulturellen und politischen Zugehörigkeit. In dieser
Hinsicht lautet Ihr berühmtes Argument ja, dass Identität in
diasporischen Kontexten stets vorläufig, relational, in anhaltende
Konflikte verwickelt sei und keine fixen »Wurzeln« habe. Das Modell
dazu haben sie in Ihrem Buch »The Black Atlantic«[4]
dargelegt - ein sehr einflussreicher Ansatz, der auf den Begriffen
Vermischung, Synkretismus und konstanter Neu-Anpassung beruht.
Glauben Sie, dass diese Art von hybrider Identität - oder diese Form
der Identitätsbildung - alle Dislozierten kennzeichnet, ungeachtet
ihres sozialen oder bildungsmäßigen Status? Anders gefragt: Sind
diese Identitäten auf einer grundlegend »populären« Ebene verfügbar
oder sind sie realistischerweise eher der kulturellen Elite
vorbehalten?
Gilroy: Nein, ich bin strikt gegen die
Idee, dass Hybridität nur für jene verfügbar ist, die »links
abbiegen«, wenn sie ein Flugzeug besteigen. Das ist mir zu
pessimistisch, und außerdem wird diese Kritik an meiner Position oft
in böser Absicht geäußert. Michael Ignatieff, Jonathan Friedman und
all die anderen Conaisseure von Differenz, die sich hier als
Polizisten aufspielen, scheinen der Ansicht zu sein, sie wären die
einzigen, die sich frei in der Welt bewegen dürfen. Die Probleme
setzen ein, wenn all die lärmenden Schwarzen antanzen und die
Pensionisten zu ärgern beginnen, deren Ablehnung von Fremden und
»AusländerInnen« dann auch noch als legitim betrachtet wird. Diese
Kritiker waren meiner Meinung nach überhaupt nie Antirassisten. Sie
haben nie die Würde und Integrität verstanden, die es braucht, um
Gerechtigkeit und Demokratie mittels eines Antirassismus zu testen,
der jede liberale politische Kultur auszeichnen sollte.
Zunächst war die Debatte um Hybridität im Kern immer eine
Auseinandersetzung über die Erfahrung von ImmigrantInnen und ihren
Kindern, die selbst keine MigrantInnen mehr sind. Der Punkt ist der,
dass die Position der sogenannten »ImmigrantInnen der zweiten
Generation« eine Absurdität darstellt. Die lautesten Stimmen gegen
meinen Ansatz mystifizieren und verschleiern diesen Punkt. Wenn man
sich darüber hinaus das Leben in den postkolonialen Weltstädten
ansieht, so sieht man nicht nur, dass »Kultur etwas Gewöhnliches
ist«, wie Raymond Williams gesagt hat, sondern auch, dass Hybridität
etwas ganz Gewöhnliches ist. Sie ist zu einer Routine geworden, zu
einem banalen Element innerhalb des Alltagslebens. Hier ist die
Utopie nicht das Zeichen der Ortlosigkeit, sondern die Bezeichnung
des »guten Ortes«, der »guten Stadt«. Ich gehe davon aus, dass die
Globalisierung die Spaltung in jene, die sich frei bewegen können,
und jene, die gefangen sind, befördert. Aber selbst jene, sie sich
nicht frei bewegen können, begreifen ihre Identität, ihre Erfahrung,
ihr In-der-Welt-Sein über translokale Prozesse verschiedenster Art,
nicht zuletzt über die translokalen »Mediascapes«[5]
des Info-Unterhaltungssektors.
Schwarze Populärkultur
Höller: Das bringt mich zu einem wichtigen Übergang, den
Sie in ihrem Buch beschreiben und der zentral ist für ein adäquates
Verständnis der Rolle, die Ethnizität in der aktuellen Populärkultur
spielt. In Bezug auf die schwarze Popkultur - die verzweigte
Gegenkultur des »Black Atlantic« - registrieren Sie einen wichtigen
historischen Wandel: von einem identitätspolitischen Ansatz, der
etwa im Siebzigerjahre-Soul und -Funk, beispielsweise George
Clintons »Free your mind and your ass will follow«[6],
noch deutlich spürbar war, hin zu einer Art »rassifizierter
Biopolitik«, wie sie in vielen Formen von HipHop, im Gangsta Rap und
vor allem auch im Sport zum Ausdruck kommt. Einerseits führt diese
körperzentrierte Biopolitik über die alten ethnisierenden Diskurse -
vom Schwarzen als inferiorer Existenz - hinaus, andererseits
produziert sie selbst eine Menge neuer Stereotypen, etwa jene vom
schwarzen Superathleten. Sehen Sie irgendeine Chance, wie sich diese
Ambivalenz politisch produktiv verwerten lässt? Oder ist diese
Entwicklung insgesamt zum politischen Scheitern verurteilt?
Gilroy: Ich bin mir nicht sicher, wie sich die moralische
Energie und die politische Kritik der Siebzigerjahre-Bewegung wieder
zum Leben erwecken lässt. Der entscheidende Konflikt besteht meiner
Ansicht nach zwischen einer Kultur der Privatisierung und der von
ihr hochgehaltenen Körperlichkeit auf der einen Seite und einer eher
altmodischen Kultur des öffentlichen Interesses auf der anderen. Es
gibt im HipHop ein paar residuale Momente, in denen das politische
Vokabular dieser Zeit widerhallt. Mir gefällt etwa die Idee, dass
man immer noch darum bemüht ist, den Körper aus der Welt der Arbeit,
des Geldverdienens etc. zurückzureklamieren. Es gibt eben auch
andere Formen der Freiheit und Erfahrung der eigenen Macht als jene,
die die konzerngesteuerte Multikultur verordnet. Die Club- und
Rave-Szenen etwa sind stark und lebendig, weil dort trotz allem
Eindrücke eines Lebens jenseits einer ausschließlich vom Markt
diktierten Kultur erfahrbar werden. Vielleicht sollten wir
ebensoviel Einbildungskraft darauf verwenden, uns das Ende des
Kapitalismus vorzustellen, wie wir in Vorstellungen vom Ende der
Welt investieren.
Höller: Im Hinblick auf die
konzerngesteuerte Multikultur - man denke nur an die Vermarktung von
ausgeflippten schwarzen Körpern oder SupersportlerInnen, etwas, was
Sie im übrigen scharf vom politischen Projekt des Multikulturalismus
trennen - bringen Sie eine interessante Genealogie ins Spiel. Diese
geht auf die zentrale Stellung zurück, welche das Bild und
Visualität im allgemeinen (etwa auch Logos) im politischen Projekt
der Nazis einzunehmen begannen. Das ganze Buch hindurch tauchen auch
immer wieder erhellende Parallen zwischen dem Nationalsozialismus
und diversen schwarzen Separatismen auf. Glauben Sie, dass diese
Genealogie - in Form eines speziellen »faschistischen Glamours« -
wirklich so weit in die Gegenwart heraufreicht, dass sie die
Dominanz des Visuellen in der aktuellen Massenkultur bestimmt?
Gilroy: Was die konzerngesteuerte Multikultur betrifft, so
müssen wir uns tatsächlich mit dem Vermächtnis von Leni Riefenstahl
auseinandersetzen, das die postmodernen Gesundheits- und
Fitnesskulturen durchzieht. Dieses Vermächtnis existiert innerhalb
und außerhalb der Demokratie. 1936 sind da unglaublich dauerhafte
Muster entstanden, die seither in den Traumlandschaften des
Kapitalismus ständig wieder auftauchen. Wie viele
Sportartikelwerbungen etwa greifen Elemente aus Riefenstahls Films
»Olympia« auf? Warum sind diese speziellen Symbole und Kodierungen
des Körpers so mächtig geworden? Wie kann ein besseres Verständnis
davon dazu beitragen, eine Grenzlinie zwischen einer faschistischen
Moderne und vermeintlichen gesünderen Versionen zu ziehen? Ich
möchte in diesem Zusammenhang auf Robert Proctors Buch »The Nazi War
on Cancer«[7]
verweisen, der ein ähnliches Argument in einem anderen Kontext
verfolgt und ähnliche Fragen in Bezug auf verschiedene Versionen der
Moderne stellt.
Höller: Wie gesagt, ist es sehr
verblüffend, welche Parallelen Sie zwischen dem Nationalsozialismus,
seiner Suche nach Reinheit und nationaler Erneuerung, und der
»fraternalistischen«, maskulinen Reinheitssuche schwarzer
Unabhängigkeitsbewegungen entdecken. Aber würden Sie wirklich so
weit gehen zu sagen, dass es eine Art universales faschistisches
Muster in all diesen unterschiedlichen historischen Kontexten gibt?
Wenn Marcus Garvey etwa von »afrikanischem Lebensraum« spricht -
lässt sich das selbst nicht wieder als eine Art globaler
Synkretismus betrachten, nämlich dort, wo man ihn am wenigsten
erwartet?
Gilroy: Es wäre ein Fehler zu glauben,
Schwarze müssten sich permanent in einem gänzlich anderen
moralischen Universum bewegen als andere Menschen. Opfer von
Rassismus gewesen zu sein, bedeutet nicht, in der Folge stets
Antirassist geschweige denn Demokrat zu sein. In unserem Hunger nach
unschuldigen Identitäten übersehen wir, dass man schnell einmal
etwas falsch macht. Die brüderliche Allianz der Reinheitsfanatiker
beweist nur, dass sich das, was Primo Levi die »stille
Nazi-Diaspora« genannt hat, über die ganze Welt ausgebreitet hat.
Diese Situation verkompliziert sich noch, sobald wir erkennen, dass
es Nachahmer, Faschisten und Neofaschisten gibt - lauter
unterschiedliche Positionen, die dennoch miteinander in Zusammenhang
stehen.
Höller: Jedenfalls halten Sie dem das Bild eines
positiv besetzten Multikulturalismus entgegen, der auf dem Modell
der »Black Atlantik«-Gegenkultur beruht und der sich seit dem
achtzehnten Jahrhundert zu verbreiten behonnen hat, mit
SchriftstellerInnen wie Phillis Wheatley oder Olaudah Equiano. Diese
Gegenkultur hat ihre signifikantesten Momente im musikalischen
Bereich entwickelt ? der unter anderem mit ethnisch gemischten
amerikanischen Militärmusikkapellen einsetzte, die nach dem Ersten
Weltkrieg nach Europa kamen. Warum war es gerade die Musik, die zu
einer derart wichtigen Stütze dieser alternativen Moderne und
gegenkulturellen Diaspora wurde - mehr als irgendeine Entwicklung in
der bildenden Kunst etwa?
Gilroy: Die amerikanischen
Militärkapellen, die nach dem Ersten Weltkrieg nach Europa kamen,
waren nicht ethnisch gemischt. Das waren ausschließlich schwarze
Bands, deren Mitglieder zu einem Großteil in der französischen Armee
(und nicht in der amerikanischen) gegen den Kaiser gekämpft hatten.
Diese Geschichte ist nicht nur deshalb interessant, weil sie ein
neues Licht auf Adornos Beurteilung von Jazz als militaristisch und
faschistisch wirft, sondern auch, weil sie auf die Wichtigkeit der
schwarzen Musik für den europäischen Modernismus verweist. Die Musik
hat deshalb eine so große Bedeutung erlangt, weil sie als dezidiert
nicht-repräsentierende Kunstform schwer zu disziplinieren ist und
weil sie die Autorität der Reinheitsfanatiker unterläuft, indem sie
proteisch und leicht erlernbar ist. Heute hingegen kann sie zur
Untermalung jeder beliebigen Werbung eingesetzt werden - wodurch
eine Umkehrung ihrer historischen Rolle und ihrer translokalen
Übersetzbarkeit erfolgt.
Planetarischer Humanismus
Höller: »Between Camps« schließt mit einem Ausblick auf
einen »planetarischen Humanismus«, in dem - mit Frantz Fanon
gesprochen - »die Hautfarbe keine größere Bedeutung als die
Augenfarbe haben soll«. Dabei handelt es sich um eine ausgesprochen
utopische Konzeption, und ich frage mich, wie dies mit einer Reihe
von Kontexten zusammengeht, in denen einer bestimmten Hautfarbe ein
affirmativer Status zugestanden werden muss - sei es in Form von
Minderheitenrechten, Entschädigungsansprüchen, Rehabilitation für
erlittenes Unrecht etc. Anders gefragt: Sollte Differenz nicht auch
auf gewisse Weise »geschützt« werden - etwa, um sie dann im
anhaltenden Prozess kultureller Übersetzung zur Geltung bringen zu
können?
Gilroy: »Between Camps« ist ein bescheidender
Beitrag zu einem neuen Humanismus. Die Neuheit liegt in der
systematischen Desillusionierung, die entsteht, wenn man sich den
schädlichen Einfluss von »Rasse« auf die Humanismen der
Vergangenheit ansieht. Dieser Umweg über moderne Geschichten des
Leidens muss obligat werden, denn nur so lassen sich ethische und
politische Prinzipien entwickeln, die den Aufbau gerechter und
egalitärer Sozialbeziehungen leiten können. Ich meine damit nicht
jenen Antirassismus, der sagt, wir müssen Differenz lieben und
schätzen lernen, dürfen keine Angst mehr vor ihr haben. Ich denke
vielmehr an ein neues Projekt, das bereit ist, gänzlich mit der Idee
zu brechen, ethnische Differenz sei eine unverrückbare Tatsache des
politischen Lebens. Dieses Projekt lehnt es ab, die Ordnung von
Diffferenzen als irgendwie notwendige Stabilitätsgrundlage unserer
konfliktreichen Welt zu sehen. Diese Verdinglichung von »Rasse« muss
in Frage gestellt werden, und der Narzissmus der kleinen
Unterschiede muss als besonders verheerende Kraft erkannt werden.
Das Blatt muss sich gegen die Reinheitsfanatiker - wer immer diese
sind - wenden, die endlich Rechenschaft ablegen sollen über ihre
Phobie gegen Andersheit und ihre Feindseligkeit. Der Ausdruck »die
menschliche Rasse« sollte wieder jene aufwiegelnde, revolutionäre
Kraft bekommen, welche sie in früheren Phasen der Moderne hatte.
Wenn ein Sonderstatus für ethnische Differenz heißen soll,
dass sie das Recht auf Anerkennung nach der Hegelschen Formel des
gastfreundlichen Liberalismus genießen soll, so bin ich etwas
skeptisch. Natürlich sollte überall dort, wo ehemalige Sklaven leben
und es eine Geschichte des Leidens oder des Genozids gibt, die
politische Ordnung gewisse Verpflichtungen enthalten. Aber diese
sollten eher in Begriffen der Gerechtigkeit als in jenen der
Ethnizität gefasst werden. Darüber hinaus schwebt mir ein Ansatz
vor, der sich weniger mit der Dynamik der Anerkennung beschäftigt
als mit der Gerechtigkeit gegenüber Diskriminierung. Adäquate
»antirassistische Statuten« sollten eher in diesen Begriffen
formuliert werden.
Höller: Um diesen letzten Punkt
weiterzuverfolgen, möchte ich kurz ein tristes und negatives
Szenario skizzieren: Die österreichischen Reinheitsfanatiker lehnen
natürlich die Äquivalenz unterschiedlicher kultureller Kontexte ab.
Differenz betrachten sie als unüberbrückbare Angelegenheit. Was
ihnen aber noch viel wichtiger ist, ist eine voll privatisierte und
deregulierte Ökonomie, die jede nur erdenkliche Differenz - nicht
nur kulturelle oder ethnische - auszubeuten versteht. Müsste es
daher nicht Vorrang haben - um ihre rassistische Haltung anzugreifen
- zunächst ihr ökonomisches Programm in Frage zu stellen?
Gilroy: Natürlich sollten die österreichischen
Reinheitsfanatiker auf ökonomischer Ebene in Frage gestellt werden.
Man sollte sich ihnen auf jeder erdenklichen Ebene entgegenstellen.
Ich behaupte nur, dass ihre Suche nach Reinheit einer ganz anderen
und unerwarteteren Logik gehorcht als jenen Prozessen, von denen wir
glauben, dass sie ihrem Handeln zugrunde liegen müssen. Der
»Rassendiskurs« hat von Chamberlain bis heute überhaupt kein Problem
damit gehabt, okkultistische und wissenschaftliche Ansätze
miteinander in Einklang zu bringen. Heutzutage lassen die
Spin-Doktoren und PR-Leute die PolitikerInnen alles mögliche
erklären, wenn es darum geht, ihre Position und ihre Initiativen zu
retten. Auch das ist ein Vermächtnis der faschistischen
Kommunikations- und Informationsrevolution - die Ikonisierung und
Theatralisierung des politischen Prozesses.
Höller:
Abschließend möchte ich noch kurz auf den von Ihnen favorisierten
strategischen Universalismus zu sprechen kommen. Dieser zeichnet
sich vor allem durch eine stark zukunftsorientierte Seite aus -
etwas, was Sie genealogisch mit kulturellen Beispielen von Sun Ra
und George Clintons »Mothership Connection« bis hin zu Afrika
Bambaataas »Planet Rock« und sogar Filmen wie »Men in Black«
belegen. Wie lassen sich diese teils bereits historischen Futurismen
in das soziale Leben rückübersetzen? Anders gefragt: Wie können
diese techno-wissenschaftlichen Fantasien auf einen »empirischen«
Kosmopolitismus rückbezogen werden - einen Kosmopolitismus, der auf
den konkreten Erfahrungen diasporischer Subjekte beruht?
Gilroy: Ich denke, wir müssen insgesamt zukunftsorientierter
werden, wenn wir eine Moral für die von uns favorisierte Ordnung
finden wollen. Der Utopie, die dem Moment der Globalisierung
entspricht, Fleisch und Substanz zu geben, stellt eine hohe
philosophische Anforderung dar. Wir wissen mittlerweile, was die
ökonomische Dimension der Globalisierung alles beinhaltet. Wir
kennen auch ihre kulturellen Dynamiken bereits ganz gut. Jetzt
brauchen wir nur noch die entsprechenden politischen Formen zu
entwickeln. Wie könnten diese aussehen, und an welchem Punkt sollen
sie die Frage der ethnischen Differenz aufgreifen? Meine Antwort
darauf lautet, dass der Umweg über die Geschichte der
»Rassendiskurse« hier zu einem unverzichtbaren Moment wird. Nur wenn
wir diesen weiten Umweg gegangen sind, können wir etwas
selbstsicherer auf das unschätzbare Ziel zurückkommen, das Fanon als
neuen Humanismus beschrieben hat.
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