Salzburger Nachrichten am 03. Jänner 2003 - Bereich: kultur
Kultur an allen Orten

Weg mit dem Paravent: Die "Kulturhauptstadt" Graz will sich 2003 als ein Ort präsentieren, an dem Kultur immer dazugehört. 103 Projekte sollen dies belegen.

MARTIN BEHR

Wer auf der Autobahn aus Wien kommend nach Graz reist, wird knapp vor der "Abfahrt Ost" mit einer ebenso bunten wie eindringlichen Aufforderung konfrontiert: "Love the Kulturhauptstadt." Die Installation des Architekturbüros "Love" weist den Weg in eine Stadt, in der wenige Tage vor dem Eröffnungswochenende (9. bis 12. Jänner) Baufahrzeuge und Kräne das Bild prägen. Graz wurde der Titel "Kulturhauptstadt Europas" zuerkannt und es will sich in den kommenden Monaten als Kulturbastion von europäischem Format präsentieren. Zukunftsglaube statt Provinzdepression. "Wir rücken ein schiefes Bild zurecht. Viel zu lange hat die Stadt ihre Qualitäten hinter einem Paravent versteckt", sagt "Graz 2003"-Intendant Wolfgang Lorenz.

Was mit Beat Furrers Musiktheater-Premiere "Begehren" in der neuen Helmut-List-Halle, einer Henning-Mankell-Uraufführung ("Butterfly Blues"), der Eröffnung der von US-Stararchitekt Vito Acconci geplanten Murinsel, der Vernissage der Großausstellung "Mars - Kunst und Krieg" und einem üppigen Ausstellungsreigen sowie einem Innenstadtfest inklusive Großfeuerwerk beginnt, soll in der Folge den Nachweis erbringen, was eine "Stadtgemeinschaft unter größter Kraftanstrengung zu leisten im Stande ist".

103 Projekte wurden vom Programmbeirat ausgewählt, Projekte, die mit dazu beitragen sollen, dass Graz neues Selbstvertrauen erhält und einen vor allem in Richtung Wien wirksamen Minderwertigkeitskomplex ablegt. Rund 57 Millionen Euro standen für das Kernprogramm zur Verfügung.

Auf einen der Höhepunkte im "Graz 2003"-Programm wird man noch einige Zeit warten müssen: Die Eröffnung des vom Architektenduo Peter Cook und Colin Fournier geplanten Kunsthauses ist erst für September geplant. Schon jetzt zeichnen sich aber die blasenartigen Umrisse des Aufsehen erregenden Gebäudes, das als "Friendly Alien" tituliert wird, ab: ein neues architektonisches Wahrzeichen für die zweitgrößte Stadt Österreichs.

Einige weitere Highlights aus dem vorliegenden, auf 512 Seiten zusammengefassten Programm: In Graz erinnert man sich an Joze Plecnik (1872-1957), den in Ljubljana geborenen Otto-Wagner-Schüler, sowie an den Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895), der in Graz gelebt hat und mit "Venus im Pelz" sowie "Psychopathia sexualis" zwei Klassiker der Sexualliteratur geschaffen hat. Ein von Peter Weibel kuratiertes Sacher-Masoch-Festival trägt den beziehungsreichen Titel "Phantom der Lust".

Ein neuer Krimi, eine neue Oper

Ein neuer Wolf-Haas-Krimi spielt im Grazer Bezirk Puntigam, der Uhrturm erhält einen von Markus Wilfling konzipierten Schatten, die "Homeless Streetsoccer"-Weltmeisterschaften werden über die Bühne gehen. Fixpunkte wie das Musikfestival "styriarte", das Filmfestival "Diagonale" oder der "steirische herbst" finden erweitert statt oder bieten Besonderes wie etwa die Oper "Lost Highway" von Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek.

Die Geschichte der (Literatur-) Avantgarde in Graz ist passe`, was kommt danach? Aussagen von Lorenz, es sei wichtig gewesen, den Platzhirschen die Stadt wegzunehmen, haben in der von Alfred Kolleritsch, Wolfgang Bauer, Gerhard Roth und Günter Brus repräsentierten Generation, die nicht sehr prominent in "Graz 2003" vertreten ist, jüngst für Aufregung gesorgt. Es sei auch Aufgabe einer Kulturhauptstadt, Leistungen aus der Vergangenheit zu würdigen, so der Tenor jener, die Graz einst international bekannt gemacht haben.