Im Jahr 1999 ist der 1930 geborene Schweizer
Hyperrealist Franz Gertsch bereits auf der Biennale in Venedig für die
Kunstwelt wiederauferstanden, letztes Jahr waren ihm zum 75. Geburtstag
mehrere Retrospektiven in namhaften Museen Europas gewidmet.
Im Doppelpack wird er nun in Wien
präsentiert: Das Mumok zeigt eine Retrospektive seiner frühen Malerei
von 1965 bis 1986, die Albertina schließt mit den Holzschnitten und
späten Bildern ab 1995 in der Basteihalle unter dem Titel
"Natur-Porträts" an.
Selbst Gertsch’ Holzschnitte sind in ihren Ausmaßen derart
monumental, dass die oberen Ausstellungshallen der Albertina zu niedrig
wären. Sechs bis acht Meter Breite und annähernd vier Meter Höhe machen
aus den ohne Glas an Leinwänden fixierten Japanpapieren eigentlich in
die Architektur eingreifende Dekorationsflächen.
Begonnen hat der von Ferdinand Hodler und Paul Klee begeisterte
Absolvent zweier privater Malschulen in Bern mit kleinen bis mittleren
Formaten als poetischer Realist, da schimmert auch Phantastisches
typischer Pubertätsbilder durch. Kurator Edelbert Köb tut aber gut
daran, selbst diese Phase neben den Großformaten auf Ebene 4 des Mumok
zu zeigen.
Punkte und Tupfen
Als im Zuge der Pop-Art das Malen nach Fotografie mittels
Diaprojektor Mode wurde und – von Amerika mit dem Hauptmeister Chuck
Close ausgehend – auch in Europa Furore machte, wandte sich Gertsch
diesen meditativen Abbilden der Natur zu. Mittels technischer Geräte
entstanden in pointillistischer Tupfarbeit unter ungeheurem Zeitaufwand
Malereien nach selbst aufgenommenen Fotos. Auch auf den Holzschnitten
geht es dabei meist nur um seine unmittelbare Umgebung.
Das Sammlerehepaar Ludwig wurde schon früh auf den Künstler
aufmerksam – sie kauften das monumentale Bild "Medici" und borgten es
in den Achtzigerjahren zur Eröffnung des modernen Museums im Palais
Liechtenstein für ein Jahrzehnt nach Wien. Die leicht gelangweilt an
einer Planke vor dem Luzerner Kunstmuseum lehnenden fünf männlichen
Jugendlichen lösten in ihrer doppelten Lebensgrößer eine Diskussion auf
der Documenta 5 im Jahr 1972 aus.
Die Debatte drehte sich damals auch um den Realismus an sich, der ja
vor allem in den Ländern des Ostblocks gefeiert wurde. Doch der
Hyperrealismus von Gertsch folgte nur den Heroen der ihn umgebenden
Hippiekultur und war außer mit deren Hinweisen auf den Vietnamkrieg
niemals politisch.
Baufirma Medici
Selbst der Name Medici war der einer Baufirma, nicht der des
Florentiner Herrscherhauses – auf der rotweißen Planke, an der Luciano
Castelli und Freunde lehnen, prangt er als auf den Kopf gestelltes
Logo. Die Ludwigs fühlten sich dennoch als neue Medici angesprochen.
Ähnlich Alex Katz porträtierte Franz Gertsch neben seiner Familie
Prominente wie die Rocksängerin Patti Smith oder die Verlegertochter
Johanna Dichand aus Wien. Nachdem die Natur aber auch immer schon
Anreiz für seine Kunst war, wurden ab den späten Achtzigerjahren Bäche,
Gräser und Waldwege – alles unspektakuläre Motive seiner Umgebung –
neuromantische Inhalte. Auch im Holzschnitt geht er punktend mit dem
Stichel vor – die Poesie von Pestwurz und schwarzen Wassern wird durch
das Aufblasen zum Riesenformat ins Dramatische verschoben, was einen
nicht unwesentlichen Teil des elitären Aspekts seiner Kunst ausmacht.
Franz Gertsch
Albertina und Mumok
Kuratoren: E.Köb, A.Gnann
K.-A.Schröder
Bis 7. Jänner (Albertina)
Bis 11. Februar (Mumok)
Monumental real.
Mittwoch, 18. Oktober 2006