Quer durch Galerien
Warum Modeschöpfer Äpfel essen
Von Claudia Aigner Wilhelm Tell erschoss ein minimalistisches
Früchtestillleben (einen Apfel). Der böse Wolf wiederum hat das arglose
Rotkäppchen mit einem Blumenstillleben abgelenkt, während er sich
einstweilen selber bei der Großmutter zum Essen einlud. Mit einem
Blumenstillleben? Ja, er schickte doch das Rotkäppchen immer tiefer in die
Natur hinein, damit es dort ein solches, ein Blumenstillleben, für die Oma
pflücken möge (Floristen würden ja statt Blumenstillleben Blumenstrauß
sagen).
Der berüchtigte Fressfeind von Großmüttern,
Rotkäppchen und sieben Geißlein hatte dann, nachdem er die Großmutter
ungekaut verschluckt hatte, bekanntlich sogar noch genügend Zeit übrig, um
sich für den zweiten Gang umzuziehen, der ja bald mit Blümchen und einem
Präsentkorb voller Kuchen und Wein zur Tür hereinspazieren sollte.
Übrigens: Indem der Wolf, der freilich an dem Tag insgesamt kein guter
Futterverwerter gewesen ist, weil ihm der Jäger dann obendrein das Essen
wieder abspenstig gemacht hat (durch Magenraub, was die Steigerungsform
von "Mundraub" ist), indem der Wolf also das großmütterliche Nachthemd
angezogen hat, hat er sowohl sein Geschlecht als auch seine Spezies
gewechselt und war somit nicht bloß ein Transvestit, sondern auch ein
"Transspezieller" (nein, das muss doch irgendwie anders heißen). Was
ich eigentlich sagen will, ist: Die Geschichte vom Rotkäppchen ist um zwei
klassische Stillleben herum aufgebaut. Na ja, zumindest könnte sie einen
Stilllebenmaler zu zwei Bildern inspirieren: zu einer überquellenden
Blumenvase mit dem moralisierenden Bildtitel: "Während der Wolf die
Großmutter fraß, trieb sich Rotkäppchen bei den Bienchen und Blümchen
herum", oder zum Opus "Ein Gugelhupf und eine Flasche Wein warten, dass
die Großmutter Hunger und Durst aus dem Wolfsbauch mitbringt". Und wie
war das doch gleich mit dem Zappelphilipp, diesem Antipoden von jeglichem
Stillleben und Stillsitzen? Der hat ja auch nicht in Wahrheit den Trick
mit der Tischdecke versucht (dem Essen mit einem Ruck das Tischtuch unterm
Geschirr wegzuziehen). Hat er nicht vielmehr mit einem kulinarischen
Stillleben kurzen Prozess gemacht, mit der bourgeoisen Beschaulichkeit der
gut bürgerlichen Küche? Und hätten Rembrandt und Dürer ihre
Sündenfallbilder auch nennen können: "Adam und Eva betrachten ein
Apfelstillleben" (beziehungsweise den ersten Baustein für eine malerische
Obstschüssel, basteln sich dann aber doch kein Früchtestillleben, sondern
beißen lieber rein und erfinden die Mode, weshalb Modeschöpfer, die auf
der Suche nach Eingebung sind, Äpfel essen sollten)? Der Begriff
"Stillleben" ist folglich sehr dehnbar. Doch ist er gleich so elastisch
wie in der Fotogalerie (Währinger Straße 59) derzeit, die nach zwei
vergleichsweise orthodoxen Ausstellungen zum Stilllebenschwerpunkt im
dritten Teil (Untertitel: "Objekt") sehr weit abseits von Obst- und
Vanitas-Arrangements "parkt"?
Fotogalerie: Bei den gefallenen
Wespen
Natürlich ist die zermürbende Wiederholung des Gleichen
zur Not auch so etwas wie ein Stillleben, weil das Leben nicht vom Fleck
kommt. Eine Zahnpastatube fällt unentwegt im selben freien Fall, eine
Gruppe von Gendarmen macht immer dieselben maximal eineinhalb Schritte und
ein Pilot fliegt immer wieder durch dieselben zwei Sekunden hindurch und
wird dabei von Ameisen überblendet, die zwar keine gefallenen Engel sind,
aber immerhin gefallene Wespen, von der Evolution zu einem bodennahen
Dasein verdammt. Aber was wollen diese Videoloops des Walter Mirtl von
uns? Und ja, es hat Tradition, dass ein Stillleben ein Vorwand fürs
Schwelgen in Oberflächenreizen ist. (Der Apfel in der Hand der Eva ist ein
Anlass für erotische Hautstudien und für Erkundungen von Rundungen,
Apfelrundungen zum Beispiel, auch wenn ein singulärer Vitaminspender noch
keine Obstorgie ist.) So gesehen ist Judith Huemer im sinnlichsten Sinne
"oberflächlich", näht sich selbst hauteng in flauschig kitschige Decken
ein und klont sich nachher am Computer zum opulenten Schmusedeckengefilde,
wobei die Körperformen in den saftigen Mustern oft ein anatomisches Rätsel
bleiben. Und Geert Saman versteht es wirklich, die alltägliche
Stofflichkeit von Textilien mit "Mysterium" anzuhauchen, dem schaulustigen
Betrachter etwa eine Teppichlandschaft mit einer geheimnisvollen "Narbe"
vorzulegen oder ihm ein Leintuch mit unergründlichen Spuren in den Blick
zu hängen. Schlichte Raffinesse. Bei Wolfgang Reichmann sind die
Hüllen zu Boden gefallen wie die Blätter im Herbst. Kleidungsstücke in
dynamischen Posen. Und weil er so geduldig war und seinem Fotogramm fast
die Belichtungszeit eines altmeisterlichen Gemäldes gegönnt hat (bis zu
drei Wochen), ist die Wäsche dementsprechend gut ausgebrütet und
röntgenartig durchstrahlt: Leuchtsocken, geisterhafte Hemden,
Geisterslips. Das Irritierende und die Reduktion (auch im Falle der
Lichtkreise in der undurchdringlichen Weltraumschwärze von Tamara Horáková
und Ewald Maurer) ist das, was die Schau so interessant beunruhigend und
zugleich so unhektisch macht. Zur Finissage am 25. Jänner um 19 Uhr wird
auch der alljährliche Katalog präsentiert.
Galerie Lindner:
Wenn Malerinnen fiedeln
Sicher, mit einer Rakel wird man
höchstens in Ausnahmefällen Geige spielen und mit einem Geigenbogen wird
man nur in einem Anfall von Exzentrik Farbmasse durch ein Sieb pressen
(beim Siebdruck). Aber streichen kann man mit beiden Werkzeugen. Und weil
es Virtuosinnen mit dem Geigenbogen gibt, existieren klarerweise auch
sol-che mit der Rakel. Martina Aigner (bis 21. Jänner beim Lindner,
Schmalzhofgasse 13) rumort mit dieser Gummileiste höchst konzentriert in
der unbunten Farbe und kriegt die unglaublichsten räumlichen Illusionen
hin. Dichte abstrakte Strukturen, ein dynamisches Kreuz und Quer und Über-
und Durcheinander. Und immer wieder kommen unerwartet malerische Bilder
heraus. Pittoreske Wolkenkratzerfluchten etwa. Da "fiedelt" sie äußerst
effektvoll.
Galerie Sur: Der Trost im
Hinterzimmer
Wieso um alles in der Welt hat der Wolfgang
Daborer (oder die Galerie Sur, Seilerstätte 7) bloß diese Bilder
aufgehängt? Und versteckt die wirklich guten Sachen, die farblich und
technisch sensiblen Grafiken, im Hinterzimmer in einer Mappe? Also nicht
abschrecken lassen (von den collagehaft aufgebrachten Farb- und
Papierhäuten, die im appetitlichsten, nämlich zwischendurch ja
erfreulichen Fall mit uns kokettieren wie die Haut auf dem Kakao)! Einfach
nach hinten durchgehen und nach "der Mappe" fragen. Bis 21. Jänner.
Erschienen am: 14.01.2005 |
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