Das Verhältnis von Kunst und Theorie

Lebende Menschen hinter Glas zu sehen, daran haben wir uns noch nicht gewöhnt. Das ruft noch immer Unbehagen hervor.


Peter Greenaway zeigte vor einigen Jahren in seiner Zusammenstellung "100 Objects to Represent the World" zwei unbekleidete Menschen, Mann und Frau an sich, Adam und Eva. Ihre Nacktheit verschärfte noch ihr Bloßgestelltsein. Die Mehrzahl der Besucherreaktionen schwankte zwischen irritiertem Vorbeihuschen und verstohlenen Blicken aus der Distanz. Nur wenige verfielen in betont lässiges, jeden Anflug von Prüderie von sich weisendes Betrachten.

Kuratoren als Exponate

"dis-positiv" stellt einmal jene in die Vitrine, die sonst bestimmen, was in diese hinein kommt. Hier sind jene Personen öffentlich gemacht, die durch ihr Urteil und ihre Auswahl festsetzen, was ausstellenswert, was Kunst ist.

Kunst.Theorie

Glasnost im Kunstbetrieb sozusagen. Aber das greift zu kurz. Es ist mehr als eine Umkehrung der Blickrichtung, mehr als ein Verweis auf Machtstrukturen des Kunstbetriebs. Die ausgestellten cultural workers - Dieter Bogner, Gerald Matt, Burghart Schmidt, Lioba Reddeker oder Wolfgang Zinggl stehen jeweils für bestimmte Formen der Auseinandersetzung im Kunstgeschehen. Auseinandersetzungen, die die Kunstproduktion beeinflussen.

Richard Jochum
Richard Jochum
Initiator Richard Jochum versteht seine Arbeit als künstlerisches Statement und als Skulptur. Ausgehend von dem Befund, dass Kunst und Kunsttheorie in den letzten Jahren ein inniges Verhältnis eingegangen sind, fragt Jochum nach ihrer beider Zukunft. Was für einen Sinn hat es, Kunstobjekte herzustellen, die zum Verständnis eines ganzen Apparates von Kunstinstituten, Zeitschriften und Ausbildungslehrgängen bedürfen? Überlagern die Erläuterungen nicht bereits das Kunstwerk? Gibt es bald eine Kunsttheorie, die ohne Kunst auskommt?

Mögliche Antworten werden die lebenden Ausstellungsexponate geben, aber - erwartungsgemäß - auch geschriebene Texte (die man auf der Homepage von dis-positiv nachlesen kann). Hier nehmen die gezeigten Kuratoren und Theoretiker, aber auch Künstler Stellung. Der Musiker Didi Bruckmayr verfasste eine pointierte Polemik zur vielbeschworenen Professionalisierung im Kulturbetrieb. Eva Blimlinger listet in einem amüsanten Begriffslexikon auf, woher sich die wichtigsten Modeausdrücke des Kunstbetriebs wie Diskurs, Kurator und Dispositiv ableiten lassen. Eigene Deutungen kann man im chat-room der Website deponieren. Der "Diskurs" ist eröffnet.

Tipp:

Ausstellung: "dis-positiv. Zur Produktivität von Kunst und Diskurs". 3. bis 8. Mai 2000. Eröffnung: 2. Mai 2000, 18.30 Uhr, Semperdepot, Lehargasse 6, 1060 Wien.
Sonderveranstaltung: 6. Mai 2000, 12 bis 15 Uhr, Brunch mit Diskussion.

In jeweils lokal adaptierter Form wird "dis-positiv" auch in Berlin und nochmals in Österreich zu sehen sein.

Radio …sterreich 1