Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte
Kunst im Radio – Radio als Kunst: Akustische Vermittlung von Kunst und Kunst für die akustische Vermittlung

Ohrenblicke und Katzenjammer

Katzen-Musik-Partitur: Terry Fox komponierte aus dem Schnurren von 
elf Katzen ein Radio-Kunstwerk. Foto: fotolia/Carola Schubbel

Katzen-Musik-Partitur: Terry Fox komponierte aus dem Schnurren von elf Katzen ein Radio-Kunstwerk. Foto: fotolia/Carola Schubbel

Von Manisha Jothady

Aufzählung Kunstvermittlung im Radio ist Beschreibung von Kunst.
Aufzählung Die Suggestionskraft des Wortes vermittelt den Inhalt des Werks.
Aufzählung Pioniertaten von Kunst für das Radio stießen auch auf Unverständnis.

Wien. Bildern eilt der Ruf voraus, eine objektive Wahrheit zu vermitteln. Jeder, der fernsieht, kann nachvollziehen, wie sich das, was man sieht, nur allzu gerne als unhinterfragte Tatsache in unser Gedächtnis einschreibt. Was aber sehen wir, wenn wir nur hören? Welche Vorstellungen erzeugt unser Gehirn aufgrund akustischer Signale? Wie blau ist Blau als gesprochenes Wort? Und welche inneren Bilder generieren wir, wenn von frei schwebenden, undefinierbaren Gipsobjekten die Rede ist?

Radiosendungen über bildende Kunst regen zu Fragen wie diesen an. Sie sind wie Ausstellungen im Kopf, die wohl jeder Hörer mit individuellen Werken füllt. Mehr als bei allen anderen Inhalten, die der Hörfunk rund um die Uhr sendet, klebt das Thema Kunst am Sichtbaren fest. Ähnlich wie bei einer Fußball-Life-Übertragung, bei der man wissen will, ob der Ball flach oder halbhoch ins Tor geschossen wurde, möchte man sich als kunstinteressierter Hörer buchstäblich ein Bild vom Berichteten machen.

"Kunst im Radio ist wie ein erzähltes Mittagessen", schreibt Susanne Kaufmann in der letzten Maiausgabe der "Kunstzeitung". Die Kulturredakteurin des SWR-Hörfunk räumt dem Radio für die Kunstberichterstattung einen besonders hohen Stellenwert ein, da es weitaus mehr Sendefläche biete als das Fernsehen.

Hörfunkkompatible Kunst

Aber welche Kriterien sind entscheidend dafür, ob ein Thema für einen Radiobericht geeignet ist? Wie hörfunkkompatibel muss bildende Kunst sein, um sich in die Gehörgänge zu robben? Grundsätzlich sei jede Form von bildender Kunst fürs Radio geeignet, meint Dorothee Frank. Schließlich könne man unterschiedliche akustische Elementen integrieren wie etwa den Sound einer Videoarbeit, das Geräusch der Menschenmenge bei einer Vernissage oder Gesprächsauszüge mit Künstlern und Kuratoren, unabhängig davon, wie redegewandt diese seien. All das erzeuge Atmosphäre, sei aber nicht notwendige Voraussetzung für einen gelungenen Beitrag, sagt die Ö1-Kulturjournalistin. Im Laufe ihrer Tätigkeit ist sie immer wieder gefragt worden, ob sich manche Inhalte nicht besser im Fernsehen vermitteln ließen. "Wenn ich mich selbst als Nachrichtenkonsumentin betrachte", so Frank, "dann fällt mir bei Fernsehsendungen über Kunst immer wieder auf, dass die Werke vor allem bei kurzen Berichten nur flashartig gezeigt werden und ich nachher oft gar nicht mehr weiß, was ich da gesehen habe. TV, vor allem in seiner kommerzielleren Ausprägung, hat ja die Eigenschaft, das Gezeigte auszulöschen. Medientheoretische Ansätze wie etwa die von Peter Weibel weisen auf diesen Effekt auch hin. Man müsste die Bilder wohl so lange zeigen, dass sich der Zuschauer wie bei einem Ausstellungsbesuch darin vertiefen kann. Aufgrund der kurzen Sendezeiten ist das natürlich kaum möglich."

Das Radio würde da etwas ganz anderes leisten, meint Frank. Durch eine bestimmte Art des Erzählens könne man hier zumindest Vorstellungen suggerieren, die dem verwandt sind, was die Arbeit inhaltlich ausmacht. Ein Kunstgriff bestünde dabei gerade darin, etwas nicht im Detail zu beschreiben. Wie der Autor eines Romans bei der Beschreibung des Gesichts auf bestimmte markante Eigenschaften fokussiere, so versuche auch sie sich während eines Berichts auf einzelne optische Charakteristika, etwa auf die dominierende Farben oder Formen eines Gemäldes, zu konzentrieren, um Bilder in den Köpfen der Hörer zu erzeugen.

So betrachtet, mutet Radio wie ein Zwittermedium zwischen Literarischem und Audiovisuellem an: Stimme, Tonfall und sprachliches Lokalkolorit einer interviewten Persönlichkeit wirken hier viel authentischer als in einem gedruckten Text. Anders als Fernsehen lässt Radiohören der Phantasie jedoch freien Lauf. Denn Radio ist wie Kino im Kopf, bei dem auch die Imagination des Hörers Regie führen darf. Für die bildende Kunst, die von vielen als etwas vom Alltag Abgehobenes angesehen wird, hat die Berichterstattung im Hörfunk verglichen mit jener in anderen Medien noch einen anderen Vorteil: Als "Nebenbei-Medium" überrascht es sein Publikum gerade mit jenen Informationen, mit denen zu befassen man sich bei der Zeitungslektüre nicht die Zeit nehmen würde. Auch das wahllose Zappen durch die Kanäle bietet es nicht.

Dass Hörfunksendungen über Kunst zudem weit mehr sein können als kulturpolitische Berichterstattung, akustischer Ausstellungsrundgang und auditives Künstlerporträt, beweisen Sendungen, die der radiophonen Kunst gewidmet sind. Die Tradition der eigens fürs Radio produzierten Werke reicht in Mitteleuropa bis in die dreißiger Jahre zurück, wobei es zunächst vor allem Komponisten und Literaten waren, die erste Werke im Sinne einer akustischen Kunst schufen. Mit dem Aufkommen experimenteller Tendenzen wie dem Fluxus trugen ab den 1960ern schließlich auch bildende Künstler zur Entfaltung einer ars acustica bei, die bis heute ihre Anregungen aus sämtlichen Künsten bezieht. Dem Radio kommt so jedenfalls die Funktion einer Klanginstallation im Alltag zu, wenngleich meist zu Sendezeiten, die nur ein speziell interessiertes Publikum wahrnimmt.

Katzen schnurren Musik

In Österreich öffnete Heidi Grundmann den Ö1-Hörern die Ohren. Die mittlerweile pensionierte Kunstredakteurin leitete von 1976 bis 1984 die Sendung "Kunst heute", der 1984 das wöchentliche "Kunstradio" erwuchs, das seit 1987 als "Kunstradio – Radiokunst" firmiert. Mit ungewohnten akustischen Erfahrungen konfrontierte Grundmann ihre Hörer von Beginn an. 1977 stellte sie eine Komposition des Amerikaners Terry Fox vor, die aus dem Schnurren von elf Katzen bestand. Wenige Jahre zuvor wurde das 90-minütige Stück von einem kalifornischen Sender erstausgestrahlt. Nach 45 Minuten musste die Sendung aufgrund der vielen irritierten Höreranrufe abgebrochen werden. Eine Katzen-Schnurr-Partitur war auch dem österreichischen Publikum völlig fremd. "Vor allem aber im ORF selbst war das ein riesiger Schock," erinnert sich Grundmann. "Ich hatte verabsäumt, die Technik darauf vorzubereiten, was da kommt. Der Messdienst am Kahlenberg wusste überhaupt nicht, was er tun sollte. Es gab einen furchtbaren Aufruhr, die haben so etwas ja noch nie gehört. Heute könnte man vermutlich eine ganze Sendung mit Katzenschnurren füllen und einige Menschen würden das sehr schön finden." Gegen Widerstände hatte Grundmann später immer wieder anzukämpfen. Eine Ausstrahlung der Toncollage "Coca-Cola" des Österreichers Helmut Mark hätte der Sendung "Kunstradio – Radiokunst" 1988 beinahe den Kopf gekostet, erzählt sie. Der Künstler griff dafür auf Berichterstattungen über das 1981 missglückte Attentat auf Präsident Reagan zurück, um über den Realitätsgehalt des Mediums Radios zu reflektieren.

Die Arbeit von Sendungsgestaltern und Radiokünstlern gerät glücklicherweise längst nicht mehr so heftig in die Kritik, wie das einst der Fall gewesen ist. Dennoch bedarf es gerade für Formate, die kein breites Publikum ansprechen, des besonderen Engagements der redaktionell Beteiligten. Dabei liefert gerade Radiokunst akustische Phänomene zur Rehabilitation des Hörens, indem sie Gegenentwürfe zu den uns alltäglich umgebenden Klangkulissen schafft. Vorausgesetzt, dass Hörfunkanstalten weiterhin Freiräume für Künstler bieten und entsprechende Redaktionen unterhalten.

Buchtipp: "Re-Inventing Radio. Aspects of Radio as Art", Hg. v. Heidi Grundmann, Elisabeth Zimmermann u.a., Revolver, Frankfurt a. Main 2008.



Printausgabe vom Mittwoch, 27. Oktober 2010
Online seit: Dienstag, 26. Oktober 2010 17:15:00

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*
H-DMZN08 Bitte geben sie den Sicherheitscode aus dem grünen Feld hier ein. Der Code besteht aus 6 Zeichen.


* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Feedback-Regeln.

Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at