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25.08.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Die Wurzeln des naiven Overkill
VON ALMUTH SPIEGLER
Albertina. Joseph Führichs wieder entdeckte Kreuzweg-Kartons für St. Nepomuk.

G
leich nach der Beichte wurden sie immer verteilt, diese kleinen Bild chen mit Szenen aus dem Neuen Testament. Als kleiner süßlicher Trost sozusagen. Dieses pudrige Rosa, gnadenlose Himmelblau und Wiesengrün, diese verklärten Blicke, wallenden Gewänder und dramatischen Posen - exzessiv lieblich, frömmlerisch, kitschig. Nein, die Nazarener, diese religiösen Romantiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, haben es nicht leicht heute. Dutzende Nachahmungstäter und schlechte Repliken popularisierten ihre Utopie - die im Klassizismus erstarrte Kunst durch Rückgriffe auf Spätmittelalter und Renaissance zu erneuern - derart, dass es schwer fällt, dieser Phase mehr Qualität als die eines interessanten Zeitdokuments zuzubilligen. Doch die Nazarener hatten es auch schon einmal bedeutend schwerer.

Ausstellungen wie dieses Jahr in der "Schirn Kunsthalle Frankfurt" versuchen die "Lukasbrüder" (der Evangelist ist Patron der Maler) zu rehabilitieren. Ein Unterfangen, das vor dem Hintergrund einer grassierenden neo-romantischen Malerei und einer gewissen zeitgeistigen Spiritualität sicher mehr Aussicht auf Erfolg hat als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In von Retro-Wellen umspülten Zeiten wirkt eben auch die Renaissance der Renaissance der Renaissance nicht abgeschmackt. Es ist also ein gutes Datum für die Albertina, Joseph Führichs Kartons zum Kreuzweg in der Wiener Nepomuk-Kirche zu präsentieren. Schließlich war der Künstler der jüngste und später wohl erfolgreichste Nazarener.

Bis ins Jahr 2000 lagerten die großformatigen 1:1-Vorlagen unbemerkt im MAK. Nach ihrer Wiederentdeckung schenkten sie Führichs Erben der Albertina, wo die 14, in schwarzer Kohle und Kreide auf graublauem Papier ausgeführten Zeichnungen von 1843/44 drei Jahre lang restauriert wurden. Jetzt dürfen sie in der Pfeilerhalle in gediegenem Dämmerlicht ihre Wucht unter Beweis stellen. Und diese vermag auch dank des direkt möglichen Vergleichs mit Führichs ursprünglich als Vorlage gedachtem, zehn Jahre zuvor entworfenen Kreuzweg für die Kirche am Prager Laurenziberg wirklich zu beeindrucken: Hier noch verhaltener und stärker von Dürer beeinflusst, übertreffen die Wiener Kartons an Dramatik, Monumentalität und Klarheit sogar das Endergebnis, die 1844-46 ausgeführten Fresken in der Nepomuk-Kirche auf der Praterstraße.

Die reduzierte Farbigkeit und die technische Perfektion von Schraffur, psychologischem Mienenspiel und Lichtdunkel-Effekten machen die stark von Michelangelo geprägten Muskelspiele und Körpermodellierungen um einiges verdaulicher. In der Kirche selbst haben die Kreuzweg-Stationen wohl durch schlechte Restaurierungen vor allem in ihrer farblichen Qualität stark gelitten. Sie wirken platter, manch Detail ist überhaupt verschwunden. Es wundert also nicht, dass der Zyklus gerade als Druckgrafik einen wahren Siegeszug antrat.

Auch wenn als Führichs Hauptwerk gemeinhin die Ausstattung der Altlerchenfelderkirche gilt, ist also wohl hier, bei den Prager und Wiener Kreuzwegen, die Wurzel des Overkill an naivem Pathos zu finden. Markieren schließlich gerade die Stiche nach diesen Motiven "den Beginn der Reproduktionsgrafik nach nazarenischen Vorlagen im großen Stil", so Cornelia Reiter, die wissenschaftliche Bearbeiterin, im Katalog.

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