Quer durch Galerien
Ein Kaugummi macht Sprechblasen
Von Claudia Aigner
Die Zielgruppe für bildende Kunst: Menschen mit
Augen im Kopf. Mindestens. Aber eigentlich mit allem, was sonst noch in so
einen Kopf hineinpasst, egal durch welche Öffnung es sich Zutritt
verschafft haben mag (ins Gedächtnis). Drum kann es auch nicht schaden,
die Ohren vielleicht ab und zu statt mit einem Wattestäbchen, das
schließlich nicht unfehlbar ist, zum Beispiel mit Klängen der Gruppe
Nirvana auszuputzen, damit man genauer hinhören kann bei Liedertexten, die
etwa der AC/DC-Fan bei sich daheim auflegt oder - im Musikantenstadl - der
"DJ Moik". Denn alles könnte einem früher oder später auf so einer
Malerleinwand wieder begegnen. (Ein Warnhinweis: Bei der Optimierung der
Ohren den Lautstärkenregler der Stereoanlage nicht auf "Eier ausblasen"
stellen, also auf jene Stufe, die gleich nach der "Tinnitus"-Stufe kommt
und bei der ein rohes Ei, das Löcher an beiden Enden hat und das vor eine
der Lautsprecherboxen gehalten wird, sich augenblicklich entleeren würde!)
Und nicht umsonst trainiere ich hart und schlitze regelmäßig meinen
Teebeutel auf. Weil ich als koffeinempfindliche Person nun einmal nicht
meinen Kaffeesatz dazu befragen kann, was mir so mancher Künstler denn
bloß sagen will mit seiner Kunst. Vor die sehr bunten und sehr vollen
Bilder von Christoph Schirmer (bis 5. Oktober beim Exner, Rauhensteingasse
12) sollte sowieso nur ein Kunsthistoriker mit zumindest Nirvana-Erfahrung
hintreten, der auch noch seinen Morgenkaffee versteht, sprich: kein
Kaffeesatz-Analphabet ist (oder meinetwegen seine Dose mit dem Energydrink
umkippt und aus dem Lackerl orakelt), kurz: ein "Uomo universale". Denn
Schirmer vergräbt in seinen kunterbunten Bildwelten einen üppigen
Zitatenschatz. Aus E und U, Kunst und Leben. Und er hat mich zu (von
ihm vermutlich gar nicht intendierten) Fragen inspiriert wie die
folgenden, ohne dass mir mein seriöses Intellektuellen-Pokerface dabei
verrutscht ist: Wenn die Biene Maja schon während der Genesis erschaffen
worden wäre, wäre das dann bereits am fünften oder erst am sechsten Tag
gewesen, wäre sie also mit den Vögeln herbeigesummt, die ja einfach die
Abkürzung sein könnten für "alles, was fleucht", oder doch zusammen mit
den Würmern gekommen, die ja immerhin gewisse anatomische Ähnlichkeiten
mit den Bienenlarven aufweisen? Und wurde Columbus (nein, nicht der, aber
vielleicht irgendwelche "echten" Spanier) in der Neuen Welt womöglich von
einer Rezeptionistin empfangen, die einen minzigen Mundgeruch hatte, als
hätte ihn ihr die Firma Wrigley persönlich verabreicht? Haben die
Amerikaner also schon damals amerikanisch "gesprochen", nämlich
Kaugummiblasen gemacht? Und haben die spanischen Eroberer lediglich diese
Kaugummiblasen als Sprechblasen missverstanden? Hier drückte mein Hirn
endlich die Escape-Taste.
Galerie Exner: Wie ein Fisch ohne
Klingel am Fahrrad
Es soll ja eine Bildgeschichte sein. Der
Text, der in der Galerie zur Orientierung aufliegt, führt freilich noch
mehr in die Irre. Alle suchen da einen ominös zwielichtigen Frank und
fallen schon ziemlich am Anfang ihrer aberwitzigen, hirnverknotenden Reise
alle gleichzeitig ins Koma (eventuell ist das Wir aber bloß der
majestätische Plural des Christoph Schirmer). Und begegnen dort Gott. Der
sieht aus, als hätte er den Vornamen Karel. Aha: wieder einmal die
kostengünstigste Lösung (auch wenn sich Karel Gott, ansonsten kein
"Datenzwilling" des Herrn, ja wirklich dementsprechend "anbiedert": "Fang
das Licht" - die Schlagerversion von "Es werde Licht"?). Und irgendwann
schließlich radeln sie alle mit Frank durch den Dschungel von Haiti und
anscheinend gleich nach Amerika weiter. Mit Amphibienfahrradln? Gut, sogar
die Fische sollen bekanntlich Fahrräder haben. Wie heißt doch dieser
feministische Ausspruch: Ein Mann ohne Y-Chromosom ist wie ein Fisch, der
keine Klingel an seinem Fahrrad hat? Nein, anders: Eine Eva ohne
Adamsapfel ist wie ein Fisch ohne Klingelton in seinem Handy. Ach,
wurscht. Jedenfalls ist praktisch nichts von alledem auf den
ausgestellten Bildern. Stattdessen gibt es eine Ankunft mit dem
Segelschiff, eine Rezeptionistin, die in einer Art Architektur gewordenem
Erdbeerland Pfefferminzmundgeruch hat, und auf Zimmer 219 in diesem
Strawberry-Hotel ist - wie ja das Paradies die WG von Adam und Eva war -
die WG von Chris Burden (dem ehemaligen Brachialaktionisten mit hoher
Schmerzgrenze) "und Kurti". (Kurt Cobain ist gemeint, der Sänger von
Nirvana, der sich selbstmörderisch ins Nirwana oder nächste Erdenleben
geschossen hat.) Ich sage ja gar nicht, dass es schlecht ist. Nur
vielleicht ein bisschen zu viel des Guten. Gar sehr viel Dichte, Ornament
und "Inhalt". (Billige Pointen, Effekthascherei, Bildungsexhibitionismus -
woher kenn' ich das bloß? Ach ja: von mir.) Aurelia Gratzer zitiert ja
ebenfalls mitunter komplex, wenn etwa Barhocker die Muster von alten
Kacheln aus Delft haben, aber im Stil der österreichischen Bauernmalerei
vorgetragen. Nur bremst sie eben in ihren grellpoppigen, streng
zentralperspektivischen Räumen ihre Lust aufs Ornament und aufs Zitat
immer rechtzeitig ein. Und spielt unpersönlich glatte Flächen und
malerische, manchmal launisch patzige raffiniert gegeneinander aus.
Galerie Lindner: Seine Bilder sind extrem
sichtbar
Es ist im Grunde wie bei den Fruchtsirupen, aus denen
erst dann, wenn sie der Wasserhahn ordentlich "ankräht", Saft wird: Die
Farben von Peter Willen (bis 15. Oktober beim Lindner, Schmalzhofgasse 13)
sind dermaßen konzentriert, dass man sie verdünnen müsste, um ein
herkömmliches Blau oder Rot zu erhalten. Sein Orange ist hochgradig
Orange, sein Blau ein K. o.-Blau, das einen einfach umhaut. Und sogar sein
Grau ist grauer als das der andern. Konsequentes Arbeiten und immense
Selbst- und Farbbeherrschung machen den "Minimalismus" dieses
Farbalchimisten so reich, so maximal. Und machen diese monochromen Bilder,
die darunter freilich eine Menge allerbuntester, andersfarbigster
Schichten haben, so unglaublich satt.
Galerie Wolfrum: Der
Unterkiefer klappt herunter
Man kann förmlich fühlen, wie der
Schuh drückt, durch Empathie Blasen kriegen, als hätte man sich selber in
Aschenputtels Schuhgröße gezwängt. Natürlich bin ich mir nicht sicher, ob
diese Aquarelle von der "Extremnaturalistin" Alina Kunitsyna, die im Leder
auch noch jedes einzelne Gehfältchen porträtiert, mehr sind als technische
Bravourstückln. Aber was soll's: Vor ehrfürchtigem Staunen ist mir
trotzdem der Unterkiefer heruntergeklappt. Und Lena Knilli hat eine
ziemliche Sicherheit im dekorativen Organisieren einer Bildfläche. Bis 10.
Oktober bei Wolfrum (Augustinerstraße 10).
Erschienen am: 24.09.2004 |
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