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Kunstberichte
Austellungen: "Nouveau Realisme", "Daniel Spoerri. Ein Augenblick für eine Ewigkeit", "Twelve O’Clock in London"

Die Abfallarchäologie als ein Kunstelixier

Daniel Spoerris "Se 
mettre le doigt dans l’oeil, Wortfalle 1966". Foto: Joachim 
Fliegner/VBK Wien

Daniel Spoerris "Se mettre le doigt dans l’oeil, Wortfalle 1966". Foto: Joachim Fliegner/VBK Wien

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Statt zu malen oder Plastiken zu formen, holten die Nouveau Réalistes lieber abgerissene Plakatwände ins Atelier und Museum oder gingen zum Schrottplatz, um Fundstücke für ihre Relief-Collagen und freistehenden Objekte zu sammeln. Oder erhoben schon in den sechziger Jahren das Kochen zur Kunst.
César ging zum Autofriedhof und ließ sich Kompressionen aus Karosserieteilen herstellen. Jean Tinguelys Maschinenkonstrukte warteten mit Selbstvernichtung auf, Niki de Saint Phalle schoss auf ihre Bildobjekte. Die künstlerische Handschrift schrieb das Leben und der Zufall, das Transformieren eines Konzepts wurde Kunst. Ihre Vorbilder waren die Dadaisten und ihr Ahnvater Marcel Duchamp.

Die Kunsthalle Krems widmet zurzeit den vielen ungemalten Objekten, diesem spontan auf Sockel oder die Wände platzierten Abfall, den vielen Assemblagen und Decollagen aus Gegenständen vom Flohmarkt, eine Ausstellung. Sie thematisiert den radikalen Blickwechsel in der Kunst nach 1945. Immer wenn Alltagsgegenstände Ikonen werden, die Aura des Künstlerischen angeblich zerstört ist, taucht die Ästhetik anders wieder auf. Hier aus Spiel, Humor und als Erinnerungskult bis zum Sentimentalen. Bei Yves Klein kommen sogar das alchemistische Spiel mit kosmischem Blau und das Malen mit Feuer oder Körpern statt Pinseln dazu, zu sehen in einem eigenen Weiheraum.

Wut auf Nachkriegsmalerei

Die Gruppe Nouveau Réalistes existierte zwar nur von 1960 bis 1963, aber Vertreter wie Arman, Martial Raysse, Raymond Hains, Jacques Villeglé, Mimmo Rotella oder Christo wirken bis heute. Mit den 120 Werken aus der "ahlers collection" können auch Besucher ins "40 Dadagrade warme Bad" springen, das auf dem Manifest propagiert wird in der Wut auf die informelle Nachkriegsmalerei. Eines der Gründungsmitglieder war vor 50 Jahren 30, heute lebt der 80-jährige Daniel Spoerri in Wien und Niederösterreich. Seinem Frühwerk ist die andere Hälfte der Ausstellung gewidmet, eine Fortsetzung ins Spätwerk im nahen Museum Stein und in Hadersdorf bietet sich an.

Spoerris Verballhornungen

Seine Facetten der Weltaneignung beginnen mit der Selbstbeschreibung "Handlanger des Zufalls" und zu Objekten gewandelten Verballhornungen – ein Kuhhorn auf Metallkugel von 1964 verbildlicht Poesie wie Wortfalle. "Fallenbilder", die abgegessen fixierten Gastmähler des Künstlers mit anderen oder auch an einsamen Geburtstagen, in die Vertikale der Wand gedrehte Tischplatten, müssen heute zuweilen unter schützendes Plexiglas. Sie hängen neben den frühen "Morduntersuchungen" und so manchem Objektwald des manischen Sammlers wie den "Geschworenen". Der Sprachakrobat und Spurensucher gibt auch Brot, Heilwasser oder künstlichen Gebissen einen Kunstwert. Der Skandal der Antikunst ist verraucht, gültig bleiben die Rezepte wie "Klapperschlangen-Ragout".

Zur Realität der Wetterballone, einem globalen Konzept, gibt Gegenwartskünstlerin Nin Brudermann in der zentralen Halle mit der Installation "Twelve O’Clock in London" eine weitere Möglichkeit in die Gefilde des Himmels abzuheben – auf andere Art wie die wilden Erzähler im oberen Bereich.

Aufzählung Ausstellung

"Nouveau Realisme" und "Daniel Spoerri. Ein Augenblick für eine Ewigkeit"
bis 20. Februar
"Twelve O’Clock in London"
bis 13. Februar
Kunsthalle Krems



Printausgabe vom Donnerstag, 25. November 2010
Online seit: Mittwoch, 24. November 2010 19:26:00

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