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Köb: "Die Kirche war für mich ein Ort der Kunst"

02.10.2010 | 18:12 | von Bettina Steiner (Die Presse)

Zehn Jahre lang leitete er das MuMoK, nun hieß es Koffer packen. Mit der "Presse am Sonntag" sprach Edelbert Köb über Fälschungen und die Unvergänglichkeit eines wahren Kunstwerks.

Es geht das Gerücht um, dass manche Menschen Sie lieber nicht zu sich nach Hause einladen, weil sie befürchten müssen, ihr heiß geliebter Schiele an der Wand könnte von Ihnen als schnöde Fälschung enttarnt werden.

Edelbert Köb: Und nicht nur ihr Schiele! Fälschungen fallen mir aber nur dann sofort ins Auge, wenn ich mich mit einem Künstler wirklich beschäftigt habe, zumindest jene, die so plump sind, dass es nachgerade einer Beleidigung des Künstlers gleichkommt. Da haben sich die Besitzer einfach nur einen Namen an die Wand gehängt, eine Marke, ohne sich mit dem Werk des Künstlers zu beschäftigen. Das tut natürlich weh, wenn man sein Leben lang versucht hat, die Qualität von Kunst zu vermitteln. Aber sind wir froh, dass jetzt auch in Wien, der Theater- und Musikstadt, die bildende Kunst boomt, man zu Events geht, wenn auch mehr zu den populären, wozu die zeitgenössische Kunstproduktion eher nicht zählt. Am liebsten hat man die klassische Moderne, was in Bezug auf Modernität in etwa so ist, als hätte man sich zu Zeiten des Kubismus mit dem Klassizismus oder der Romantik beschäftigt. Man muss aufpassen, dass Wien nicht zu einem Museum verkommt, wie Venedig.

 

Wir sitzen im Museumsquartier, das sind immerhin Neubauten.

Ja, Neubauten, die man hinter barocken Mauern versteckt! Völlig isoliert! Wenn ich mich erinnere, was es für radikale Konzepte vor der Öffnung des Quartiers gegeben hat! Zuletzt wurde nur noch die Frage gestellt: Was ragt hinaus? Darf überhaupt etwas hinausragen? Kirchtürme! Imperiale Gebäude! Und in neuerer Zeit die Türme von Banken und Versicherungen. Also das, was jeweils in einer Gesellschaft wichtig war. Aber ein Bücherturm durfte nicht hinausragen.

Dabei hat Wien, gerade was die Architektur betrifft, in den letzten Jahren enorm gewonnen.

Das denke ich auch. Endlich bauen nicht nur renommierte österreichische Architekten, sondern auch internationale Kapazitäten. Es gibt gute Ansätze, gerade auf der Ebene der Bezirke, im kommunalen Wohnbau, bei der Gestaltung kleiner Plätze und Ruhezonen et cetera. Was komplett fehlt, ist ein stadtplanerisches Konzept in größerem Ausmaß: Das sieht man bei Entwicklungsschwerpunkten wie dem auf der Donauplatte.

Wenn man das Museumsquartier betrachtet, dann funktioniert es ein bisschen wie ein Dorfplatz. Mittendrin sind die Museen. Sind das die Kirchen der Neuzeit?

In dem Sinn, dass sich die Kunst mit den wichtigen Fragen der Existenz beschäftigt, wie das auch die Religion und die Philosophie tun.

 

Aber so eine Kirche hat ja auch ihre Rituale, ihre Zwänge. Man muss leise sein, man hat andächtig zu sein, konzentriert.

Naja, es gibt natürlich das Diktum der Kuratoren und Kunstexperten. Das könnte man auch als repressiv bezeichnen. Aber sonst sind die Museen sehr demokratische Räume. Da kann man herumstehen, sich unterhalten, seinen Sekt trinken und ein Brötchen essen – und man muss nicht einmal so tun, als würde man sich ein Bild ansehen.

 

Und die spirituelle Dimension in der Kunst?

Das ist nur eine Dimension von Kunst, die ja in ihren Ursprüngen säkular ist und bis heute einem Entsäkularisierungs- Rationalisierungs und Entmystifizierungsprozess unterworfen ist – von den Äpfeln Cézannes bis zu den grauen Monochromien Gerhard Richters. Ich habe diesbezüglich eigentlich keine Vorlieben.

 

Ist Kunstkennerschaft eine Frage von Talent, Instinkt?

Kunst überhaupt empfinden zu können, ist eine Gnade, nüchterner: eine Anlage. Ich empfinde beispielsweise wenig bei Musik, leider! So gibt es auch Menschen, die wenig oder nichts für bildende Kunst empfinden. Auch sonst intelligente und sensible Menschen, auch solche, die regelmäßig Museen besuchen und „schöne“ Bilder schätzen, haben oft keinen wirklichen Kunstverstand.

Wie sind Sie zur Kunst gekommen?

Über die Religion. Dazu muss man sagen, dass meine Familie sehr katholisch ist. Wenn ich bei meiner Großmutter war, bin ich zweimal am Tag in die Kirche mitgenommen worden: Einmal in die Frühmesse und einmal in die Abendandacht – und dazwischen habe ich noch reichlich Weihwasser auf die Stirne bekommen. Ich habe es aber geliebt. Die Kirche war für mich ein Ort der Kunst: der einzige, den ich damals kannte! Ich saß in der Kirchenbank und habe die geschnitzten Ornamente studiert oder die Kirchenfenster, die Malereien, die Skulpturen. Aber auch die röhrenden Hirsche im Haus meines jagenden Großvaters haben mir gefallen. Alle Bilder! Als ich dann ins Gymnasium in Bludenz gekommen bin, habe ich regelmäßig meinen Onkel, einen Dekan, im gotischen Pfarrhof besucht. Der war ein Reich der Kunst, voll von Märchen und unglaublichen Schätzen. Allein die Bibliothek! Dagegen gab es zu Hause nur zweckmäßige Möbel, das, was halt notwendig war, ärmlich und ohne jede Gestaltung.

 

Haben Sie damals schon überlegt, sich später einmal beruflich mit Kunst auseinanderzusetzen?

Nein! Das war völlig undenkbar, jenseits des Vorstellbaren. Ich habe niemanden gekannt, der einen künstlerischen Beruf ausgeübt hätte.

 

Wie kam es dann dazu?

Über Umwege. Ich bin ein Jahr lang an der Militärakademie gewesen, des Sports wegen. Vielleicht habe ich als Bub außerdem zu viel Karl May gelesen und zu viel Indianer gespielt. Die Perspektive „Beamter in Uniform“ hat sich aber schnell als keine erwiesen, also habe ich nach einer anderen gesucht. Als äußerst mäßiger Schüler, aber guter Zeichner, habe ich mich für Architektur entschieden, die Professoren haben mich aber sehr rasch in die Kunstklasse gesteckt, weil sie gemeint haben, meine Stärken lägen nicht im sozialen und technischen Bereich. Was nicht richtig war. Weil mich heute noch die Schnittpunkte zwischen Gesellschaft und Kunst besonders interessieren, also Architektur und Design.

 

Kann man Kunst verstehen, ohne Vorkenntnisse zu haben?

Nicht die Kunst ab ca. 1900. Da gab es einen Bruch in den gesellschaftlichen und künstlerischen Entwicklungen. Die Fotografie übernahm die traditionelle Funktion der Abbildung, der Film die Funktion der Narration. Die Kunst begann, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und hat ein sehr stark selbstreflexives System entwickelt — Kunst über Kunst. Das versteht man nur, wenn man sich damit intensiv auseinandersetzt.

Wie wichtig ist es, das Original vor sich zu haben?

Unglaublich wichtig! Fälschungen erkenne ich kaum, wenn ich nur ein Foto vor mir habe. Wenn ich das Bild sehe, ist die Sache sofort klar. Ich finde, man kann gar nicht pingelig genug mit dem Originalbegriff umgehen. Ein Faksimile wird immer nur ein Abglanz sein, es hat nicht die gleiche Aura. Natürlich gibt es das Argument, dass jede Ausstellung dem Kunstwerk schadet. Man nimmt eine Abnutzung in Kauf. Aber wenn es wirkliche Kunstwerke sind, dann werden sie ihre Strahlkraft und Energie behalten – wie man in einer alten Frau ja oft noch das junge Mädchen sieht. Die Substanz bleibt in jedem Stadium des Verfalls vorhanden, ob verdunkelt oder beschädigt.

 

Das ist ein schwieriges Thema: Aber wo läuft die moderne Kunst sich tot?

Zum Beispiel dort, wo die Relation von Ergebnis und Aufwand nicht stimmt. Ich mag gerne Ironie, ich mag sogar Witze. Aber was ich nicht mag ist ein Witz, zwei Meter hoch in Bronze gegossen und poliert. Aber moderne Kunst läuft sich auch im oft rein Dokumentarischen und Soziologischen tot.

 

Was würden Sie anders machen, wenn Sie die Möglichkeit hätten?

Anders eigentlich nicht viel. So, wie die Vorgeschichte und die Architektur des MuMoK beschaffen sind und die Museumslandschaft in Wien strukturiert ist, finde ich es auch jetzt noch richtig, das Programm zu machen, das Sie kennen: immer wieder neue Fokusse auf unsere Sammlung zu richten und die Ausstellungsschwerpunke vor allem auf die sonst eher vernachlässigte diskursive, konzeptionelle und medienbasierte Kunst zu legen. Man hätte die Arbeit besser kommunizieren müssen.


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