Blendung durch Obst
Karin Kneffel, 1957 geboren, gehört zu den erfolgreichen Künstlern
Deutschlands. Ihre Sammler, heißt es, warten ungeduldig auf die
Fertigstellung neuer Werke und wer versucht, ihr per Internet
nachzuspüren, erhält ob der dort angebotenen "Kneffel"-Poster den
Eindruck, dass diese Bilder ein breiter gestreutes Publikum erreichen, als
es Gegenwartskunst in der Regel passiert. Ein Grund hierfür mag ihre
Schönheit sein. Und - in den meisten Epochen ein Hit - ihr
trompe-l'oeuil-Charakter, also eine ungemein realistische Malweise, die so
kunstfertig und mit solcher Präzision, mit scharfer Optik ausgeführt ist,
dass Betrachter in erster Reaktion vor allem staunen, sich wundern und das
vermeintlich Abgebildete mit seinem Pendant in der "Wirklichkeit"
vergleichen.
Ein Effekt, den Karin Kneffel noch
unterstützt, indem sie die sichtbare Pinselstruktur aufs Äußerste
reduziert. Und auch Sujets verwendet, die leicht verführen,
interessieren - wie üppiges Obst zwischen grünem Laub, Landschaften,
Stoffe, Teppiche, Tiere. |
Ein Effekt, den Karin Kneffel noch unterstützt, indem sie die sichtbare
Pinselstruktur aufs Äußerste reduziert. Und auch Sujets verwendet, die
leicht verführen, interessieren - wie üppiges Obst zwischen grünem Laub,
Landschaften, Stoffe, Teppiche, Tiere. Aber: "Ceci n'est pas une pipe"
- schrieb schon Magritte unter das Bild einer Pfeife: ein gemaltes Ding
ist in erster Linie: ein Bild - also die mehr oder minder realistisch
gelungene Abbildung einer Vorstellung von einem Gegenstand. Was
keinesfalls mit der realen Sache verwechselt werden sollte. Ein
wesentliches Thema im bisherigen Werk von Karin Kneffel sind ihre
"Früchte"-Bilder, in Serien entstanden, titellos. Überdimensionierte
Äpfel, Pfirsiche, Trauben, Pflaumen, Kirschen . . . nicht selten
kombiniert mit einer Landschaft im Hintergrund. Das Obst, immer je eine
Sorte, ist oft makellos, zu makellos gemalt. Die Aura von Luxus, Reife,
Sinnlichkeit, Sommer, quasi "Reichtum der Natur" (mit entsprechenden
symbolischen Implikationen), den das Motiv vermittelt - auch in Anklang an
die Stillleben der europäischen Kunstgeschichte - verbindet sich mit dem
Unbehagen unserer Tage: Der Wunsch nach üppigem Genuss "der Natur" klebt
für uns an der Unmöglichkeit, deren Künstlichkeit zu vergessen. Was so
sehr leuchtet und glänzt, als reale Frucht - das muss auf Chemie beruhen,
oder Gentechnologie, Manipulation . . . Aber dies sind bloß erste
Assoziationen. Beides, Lust und Unbehagen wird im Weiter-Betrachten
vergrößert. So, wie die hypertrophen Früchte manchem bedrohlich nahe
rücken mögen. Wer Dinge vergrößert, verkleinert Menschen. Obst, wie für
die Tafel eines modernen Gargantua, demgegenüber man sich auf Kindgröße
geschrumpft sieht. Das Obst blendet, verstellt uns den Blick. Der so gern
ins Ferne schweifte. Was offenbar wird, wo Karin Kneffel die Früchte mit
Landschaften kombiniert, und das Körpergefühl, die Ruhe, also Gewohnheit
der Betrachter empfindlich irritiert. Zu sehen ist etwa - auf dem 1996
entstandenen Bild "F.XIX", zwei mal zwei Meter groß - ein Ausschnitt eines
übermäßig mit flaumigen, samtig roten, reifen, weichen, saftigen
Pfirsichen beladenen Astes; zwischen den Früchten: ein paar wie geputzt
glänzende, grüne Blätter.
Das Obst nimmt, von schräg links
oben nach rechts unten reichend, den Mittelpunkt ein. Aus nächster
Nähe zugleich Fragment eines ebenso überladenen Baumes voll
unglaublicher Früchte, jede groß wie ein Kopf vielleicht. Allein in
den Ecken und an einigen luftigen Stellen zwischen den Früchten
erhält man Ausblick auf eine dahinter liegende, bis fast zum oberen
Bildrand ansteigende Landschaft. |
Das Obst nimmt, von schräg links oben nach rechts unten reichend, den
Mittelpunkt ein. Aus nächster Nähe zugleich Fragment eines ebenso
überladenen Baumes voll unglaublicher Früchte, jede groß wie ein Kopf
vielleicht. Allein in den Ecken und an einigen luftigen Stellen zwischen
den Früchten erhält man Ausblick auf eine dahinter liegende, bis fast zum
oberen Bildrand ansteigende Landschaft. Eine entfernte, kultivierte
Landschaft voller Bäume (Obstbäume vielleicht), sichtbar als lose
geordnetes Muster kleiner, grüner Laub-"Bällchen". Beide Perspektiven
passen nicht zusammen: Die Früchte zu nah, die Landschaft zu fern. Die
Nähe des einen lässt Betrachter sich kleiner fühlen, die Distanz des
anderen größer. So springt man blickend zwischen zwei unvereinbaren
Positionen (Proportionen) hin und her, zurück und vor, konzentriert sich
mal auf das Obst und wird von der Landschaft dahinter hinaus gezogen. Oder
konzentriert sich auf die Landschaft und wird zurückgestoßen, behindert,
geblendet von den Früchten. Vollführt schauend quasi abrupte Blick-Sprünge
zwischen Vorder- und Hintergrund . . . Bis man beginnt, von beidem
abzusehen. Und die gemalten Motive nicht als Pfirsiche, Blätter und
Landschaft begreift, sondern als Farbe, Form und Muster erkennt. Der
"Realismus" von Karin Kneffel ist auch eine gut durchdachte, mit der
Sinnlichkeit der Malerei operierende Methode, uns sehen zu machen - was
auch bedeutet: sehen, wie wir wahrnehmen. Wobei unsere Vorstellungen wie
festgelegte Bilder, Bild-Ideen, tradierte Muster, ins Wanken gebracht
werden. Die Lust des Betrachtens führt letztlich zur Infragestellung des
gewohnten Weltbilds. Der Blick auf Früchte zur Malerei, zur Wirklichkeit.
Zur Malerei.
Erschienen am: 20.09.2002 |
. |
Sie sind eingeloggt! 763 User insgesamt auf dem Server angemeldet. Logout
Mit unseren Suchseiten können Sie in der Zeitung
und im Internet
recherchieren. Nutzen Sie die Link-Sammlungen, um EDV-Unternehmen und
Software zu finden.
|
. |