08.09.2002 20:02
Wahnsinn und andere Architekturen
Architekturbiennale in Venedig: Einige starke heimische Beiträge zum
nationalen und internationalen Architekturgeschehen
Österreich ist nicht nur in seinem Pavillon auf der
Architekturbiennale in Venedig gut vertreten. Auch die Hauptschau zeigt einige
starke heimische Beiträge zum nationalen und internationalen
Architekturgeschehen, die sich sehen lassen können.
Eigentlich hätte alles noch viel toller werden sollen in Sachen
Österreicher auf der Architekturbiennale. Eigentlich hätte Heidulf Gerngross die
Lagunenstadt gerne quasi mit Architektur überschwemmt gesehen, mit einer aus
Containern aufgestapelten Kapelle vor dem Arsenal, einer sich selbst tragenden,
durch die Energien der Sonneneinstrahlung aufschwebenden Kunststoffkugel vor dem
Bahnhof, und das alles neben seinem ohnehin offiziellen Beitrag im
traditionellen Hoffmann-Pavillon.
Das Veto der lokalen Denkmalschützer
machte Gerngrossens Pläne bedauerlicherweise zunichte, und damit seinen halben
Auftritt sozusagen virtuell.
Auch Rainer Köberl hätte alles noch toller
getrieben, wenn man ihn gnädigst gelassen hätte. Seine Pläne sahen - sozusagen
in reziprokem Pas de deux zum Kollegen Gerngross - einige gravierende Abrisse
der bestehenden Österreich-Pavillon-Architektur vor, nämlich der dahinter
gelegenen Hofmauer und dem Bürokämmerchen daneben. Wie schade, dass er nicht
durfte, was dem ohnehin entlegenen Haus zur Zier gereicht und dem Giardini-Areal
einen prominenten zweiten Ein-und Ausgang, ein weiteres Tor zur Stadt beschert
hätte. Doch Architektur ist nicht immer nur das, was der Fall ist, sondern auch
das, was der Fall sein könnte, und deshalb steht Österreich mit seinen
vielfältigen Beiträgen zur großen Architekturschau wacker da.
Ob sich die
im Pavillon eingehängte Loftwohnung von Gerngross sowie der überflutete Raum
Köberls samt umlaufender Inschriften den hastigen Biennale-Betrachtern wirklich
in ihrer Gesamtheit und Tiefe erschließen, bleibt allerdings
fraglich.
Blasse Präsentation
Ebenso lebt die
intensive, faszinierende Persönlichkeit Jan Turnovskys nicht wirklich wieder auf
in einem Raum, der mit seinen klugen, witzigen, originellen Überlegungen zur
Architektur austapeziert ist. Trotzdem gut, dass er dabei ist, der 1995
freiwillig aus dem Leben Gegangene, der einer der wichtigsten, weil
subversivsten und irritierendsten Architekturlehrer der damaligen Zeit in Wien
war.
Und Nelo Auer? Ihr mit bunten Pölstern befüllter Kuschelraum wurde
von Anfang an ganz gut vom sich des Schuhwerks entledigenden Publikum
angenommen. Doch was mehr als barfüßige Kissenbenutzer auf Teppichboden ist
eigentlich in diesem Beitrag zu sehen?
"Integrazione - Denn der Wahnsinn
braucht Methode" hat Dietmar Steiner getitelt. Gerngross hat diesen Wahn
durchaus ausgelebt, Unternehmen zur Mitarbeit gewonnen, mit dem
"Archiquant"-Teilchen, das er erfand, einen neuen Architekturmarketing-Kosmos
vom Damenring bis zum Barhocker erfunden. Den anderen hätte ein bisschen mehr
Wahnsinn vielleicht noch besser getan.
Auch die heuer ganz furchtbar
ernste, würdige, in Kapitel geteilte Hauptschau ist mit Österreichischem gut
durchzogen: "Housing" bringt die geplanten City-Lofts samt Wohnhochhaus am
Wienerberg von den jungen Wiener Shootingstars Delugan-Meissl, die zu den ganz
wenigen hier in Venedig Gezeigten mit sozialem Anspruch gehören. Zwischen den
entzückenden filigranen Modellchen in "Museums" erregt eine lilablaue Skulptur
größerer Dimension Aufsehen, die in Originalgröße veranschaulicht, wie die Haut
des von Cook und Fournier geplanten Kunsthauses in Graz demnächst ausschauen
wird.
"Communication" eröffnet mit der Gruppe Baumschlager, Eberle,
Gartenmann, Raab GmbH und der Flughafenerweiterung in Schwechat, sowie mit Boris
Podreccas Praterstern-Projekt für Wien. Podrecca mischt auch ordentlich im
italienischen Pavillon mit, wo er etwa mit städtebaulichen Projekten wie Triest
prominent vertreten ist.
Türme für Wien
Doch zurück
zur Hauptschau: "Towers" ist hier unter anderem gespickt mit Hans Holleins
Porr-Turm am geplanten Monte Laa in Wien. Und "Shopping" präsentiert Coop
Himmelb(l)au mit ihrer BMW-Welt in München. Die Wiener sind auch noch in der
Städtebauabteilung "Masterplans" mit ihrem Beitrag für das JVC Cultural Centre
in Guadalajara zu sehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.9.2002)