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Kunstberichte

Secession: Großflächige Präsentation der Ausstellung "Lunch Break" von US-Künstlerin Sharon Lockhart

Alltagsroutine statt Arbeiter-Romantik

Individualität im Moloch der Massenarbeit: Sharon Lockhart seziert in der Wiener Secession das Ritual der Mittagspause einer amerikanischen Schiffswerft. Foto: S. Lockhart

Individualität im Moloch der Massenarbeit: Sharon Lockhart seziert in der Wiener Secession das Ritual der Mittagspause einer amerikanischen Schiffswerft. Foto: S. Lockhart

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Mit dem heißen Thema Arbeit beschäftigt sich Sharon Lockhart – und nicht nur, weil die 1964 in Massachusetts geborene Künstlerin aus einer Arbeiterfamilie stammt. Ihre Ausstellung "Lunch Break" füllt alle drei Bereiche der Wiener Secession, zeigt Filme, Fotoserien und Installationen: Alles hat da mit der Schiffswerft Bath Iron Works in Maine zu tun, in der Kriegsschiffe hergestellt werden.

Doch dieser Umstand bleibt eine unsichtbare Bedeutungsebene am Rand von Lockharts langwieriger Recherche, denn andere Inhalte bestimmen ihr Konzept: Die Mittagspause der Arbeiter, ihre Selbstorganisation und ihr tägliches Verlassen der Fabrik.

Referenzen finden sich dabei an den Hyperrealisten Duane Hanson und seine skulpturale Installation "Lunch Break", die kürzlich in Krems zu sehen war: Lockhart fotografierte das Werk für eine eigene Installation in der Secessions-Galerie.

Die Schlagader pocht

Dahinter erinnert der Film "Exit" mit dem täglichen Feierabend auch an Louis Lumières frühen Film "Arbeiter verlassen die Lumière-Werke" – und damit an ein Bild, das für den Realismus und Expressionismus typisch war. Bei Lockhart jedoch geht es nicht um den "Working Class Hero" oder um eine untergehende Welt der physischen Arbeit: Die Alltagsroutine steht im Zentrum.

Der Hauptraum der Secession wird durch einen mittig eingebauten Korridor, an dessen Ende ein Film läuft, und durch rundum angeordnete Fotos fast selbst zum Werft-Mittelgang. Diesen ist Lockhart in gedrosselter Geschwindigkeit um die Mittagszeit mit der Kamera entlang gefahren: Die soziale Schlagader der Fabrik birgt Spinde, essende, lesende, ruhende Arbeiter – eine Entdeckung der Langsamkeit, der jene Geräusche fast entgegenwirken, die Komponist Becky Allen und Filmemacher James Benning mit Musik und Stimmen verschmelzen ließen.

Den Eindruck einer Atempause verstärkt die Statik der Fotografien: Hier rücken selbstorganisierte Billigstände für Hot-Dogs, Donuts oder Getränke sowie enorm individuell gestaltete Lunch-Boxen in den Blick.

Der Eigensinn und der Humor in den Aufschriften der Arbeiter, die Lockhart alle persönlich kennenlernte und porträtierte, hält diesen neuen Realismus im streng formalen Konzept – bis in die Titel.

Das Grafische Kabinett der Secession schließlich ist zwei Reverenzen gewidmet: jener an Benning, über den Lockhart auch ein Buch verfasst hat, und jener an Bennings Baseballkarten-Kollektion. Sportler sieht man freilich auch andernorts: auf den Postern über Arbeiter-Spinden. Die Arbeit selbst bleibt unsichtbar.

Aufzählung Ausstellung

Sharon Lockhart:

Lunch Break Hauptraum der Secession, Galerie, Grafisches Kabinett Bis 18. Jänner

Printausgabe vom Samstag, 22. November 2008

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