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Künstlerhaus: Tag und Nacht im Stadion

02.04.2008 | 18:07 | THOMAS KRAMAR (Die Presse)

Schusskrafttest und Radiomeditation, Torschusstanz und Transferanalyse: Die Schau „herz:rasen“ ist umfassend gelungen.

Fußball ist keine Frage von Leben oder Tod, Fußball ist viel wichtiger als das!“ Das hat laut Aussendung des Staatssekretariats für Sport der Staatssekretär für Sport, Reinhold Lopatka, bei der Pressekonferenz zur Ausstellung gesagt. Mehr zum Thema „Fußball und Poesie“ siehe nebenstehende Kolumne, jetzt zur Ausstellung, die ist nämlich nicht nur viel besser als das, sondern sehr gut.

Schon einmal, weil sie ihr Thema weit steckt und unverschämt umfassend behandelt, so umfassend, dass auch ein Besucher, der ansonsten weitgehend fußballfrei lebt, für mindestens zwei Stunden gefesselt ist, der Autor kann's bezeugen. Dann, weil sie, ganz ohne Interaktivitätsblabla, ziemlich erlebbar und physisch ist. Man kann seine Schusskraft, Standfestigkeit und Reaktionskraft testen, man kann die „Schwalbe“ und andere Figuren üben und sich ins Match gegen die Färöer-Inseln konstruktiv einmischen. Nur zum Beispiel.

Als Kontrastprogramm zu solchen Leibesübungen kann man sich vielfältigen Meditationen ergeben. Über die Formeln diverser Dopingmittel etwa, über alte Liedtexte („Heute spielt der Urzidil“ etc.), über Trophäen (eine zeigt tatsächlich eine Maria Regina!) und Stadionchoräle. Oder über Radiokommentaren, die immer schon so atemlos wie heute klangen, nur ganz früher ein bisserl schönbrunnerdeutsch. Was man Edi Finger nicht nachsagen kann: Sein fast schon fatalistisches „Jetzt hamma's g'schlågen“ unmittelbar nach seinem Cordoba-Siegesrausch ist so hörenswert wie dieser. Grübeln lässt auch die Kammer mit den Fußballerporträts: Wieso sahen die Gesichter früher im Durchschnitt älter, ernster und irgendwie kantiger aus? Es liegt offensichtlich nicht nur an den Farben und Frisuren.

Wie stilbildend manche Fußballer für die gesamte Populärkultur waren, wird u.a. mit dem sogar Fußballignoranten für seine nihilistischen Oneliner bekannten George Best illustriert: Dass die Kinks ihr „Dedicated Follower of Fashion“ ihm widmeten, wäre zumindest passend. (Die Band Wedding Present nannte übrigens ihr erstes Album gleich unverblümt „George Best“.)

Analytischere Annäherung an den Sport gestatten etwa die Darstellungen der Spielertransfers: Hier sind noch immer koloniale Muster zu erkennen, so rekrutiert der englische Fußball viele Spieler aus Commonwealth-Staaten. Österreichs wichtigste „Quelle“ ist Slowenien. Dafür sind wir fußballerischer „Lieblingsfeind“ nur für Ungarn; Deutschland, das für uns diese Rolle spielt, spielt sie aber auch für etliche andere Fußballnationen wie Niederlande, Polen und Tschechien. Viel Ehr'!

An sympathisch strenge Konzeptkunst erinnern manche Analysen von Spielverläufen, faszinierend etwa die Diagramme, die den Raum zeigen, in dem sich ein typischer Verteidiger, Stürmer etc. bewegt: unvorhersehbar, scheinbar zufällig wie ein Teilchen in Brownscher Bewegung, aber doch (unsichtbaren) Randbedingungen unterworfen. Nie aber füllt eine Mannschaft das Spielfeld gleichmäßig aus, auch nicht, wenn man die Bewegungen über 90 Minuten integriert. Das macht stutzig beim Bild des Künstlers Roland Wirtz: Laut Beschreibung ist es durch Langzeitbelichtung entstanden, man sieht aber nicht die geringsten Spuren der Spieler.

Vielleicht wurden sie aus dem Feld abstrahiert? Bescheidenheit eines Künstlers, der weiß, dass seine Kunst von der Aura des Fußball zehrt, nicht umgekehrt? Abstrahiert, von außen, von oben zeigt auch Grazia Toderi ein Stadion: Wenn man nicht dabei ist, nicht unten ist, bleibt eine abstrakte, kühle Lichtinstallation. Das in Tropfen zerflossene „Night Stadium“ von Matthew Davis hat nichts mehr von einem Ort der Erregung; die „Labanotation“ von Alex Finley, die einen berühmten Torschuss (von Archie Gemmil, 1978) in Tanz übersetzt, ist aller Emotionen entkleidet.

Aber ernst. Das einzige Kunstwerk der Schau, das mit (überheblicher) Ironie an den Fußball geht, ist „The Angry Coach“ von Lutz & Guggisberg: die Gestik eines Trainers während des Matches, zum Kabarett überdreht. Billig.


Das Match einer ganzen Stadt

Gewaltig dagegen die Dokumentation des „Royal Shrovetide Football Match“, seit über 800 Jahren am Faschingsdienstag und Aschermittwoch in Ashbourne, Derbyshire: Alle Einwohner, geteilt in eine untere und obere Hälfte, spielen Fußball. Das sieht aus wie eine Mischung aus Demo, Match und schierem Gedränge, brutal und doch mitreißend.

Vielleicht doch poetisch? Wahrscheinlich kann man aus den vielen Videos „normaler“ Matches in der Ausstellung etwas über die Poesie im Fußball lernen. Nostalgikern geht es dann wohl wie Friedrich Torberg, der 1954 ein Match, bei dem Deutschland 3:2 gegen Ungarn gewann, so kommentierte: „Das ist das Ende der Poesie im Fußball.“ Die Ausstellung verschweigt, was der Sportjournalist Willy Meisl seinem Freund Torberg antwortete: „Regen Sie sich nicht auf. Es ist nur das Ende des Hexameters.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2008)


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