Im Rahmen der von den Berliner Festspielen
und der "Zeit"-Stiftung veranstalteten Sonntagsmatineen unter dem Titel
"Berliner Lektionen" war am Sonntag der österreichische Aktionskünstler
Hermann Nitsch zu Gast. Anlass ist eine Retrospektive im
Martin-Gropius-Bau ab 30. November. "Das Schloss Prinzendorf wird zum
Corpus Mysticum seines Leben", erläutert Raue dem mit mehreren hundert
Gästen gefüllten, durchwegs wohlwollenden Auditorium.
"Wenn Sie glauben, dass man da ein
Blutspritzerl findet, dort ein Därmchen, dann stimmt das nicht. Es ist
alles sehr adrett." Peter Raue, Vorsitzender des Vereins der Freunde
der Nationalgalerieberichtete von Nitschs erster Aktion 1961 bis zu
seinem Orgienmysterientheater "im Allerheiligsten Österreichs, dem
Burgtheater#". Zugleich attestierte er Nitsch, "ein Künstler vom
Scheitel bis zur Sohle" zu sein, "ein Grantler und Genießer, zutiefst
Österreicher, vom Katholizismus geprägt", der auch verschiedene
Gefängnisse von innen kenne. "Er ist überzeugt, dass er ein Großer
ist", schloss Raue.
Dieser relativierte dies, als er sich breitbeinig aufs Podium
hievte: "Ich möchte nicht der Größte sein, ich will wirklich
entscheidende Kunst machen", sagte er. Er wolle der Künstler sein, der
sich mit dem Erhabensten beschäftigt: "Fleisch und Blut". Sein
Leitmotiv sei der Isenheimer Altar in Colmar, mit dem geschundenen
Christus auf der einen Seite und dem Auferstandenen auf der anderen.
"Das ist für mich das Symbol eines großartigen Hier- und Jetztseins in
der Ewigkeit." In seiner Kunst habe ihn die gesamte Kunstgeschichte
beeinflusst, sagte der Künstler. "Mit 19 Jahren war ich so vermessen,
da wollte ich ein Theaterstück schreiben, das sechs Tage und sechs
Nächte dauern sollte."
Dann habe er sich gefragt, warum er nur mit Bildern beschreibe, habe
Geruchstäbchen gereicht und Speisen, Flüssigkeiten ausschütten lassen.
"Da hat es sich von selbst ergeben, dass ich ein Schaf ausgeweidet habe
auf der Bühne." Daraus habe sich ein Gesamtkunstwerk für alle fünf
Sinne entwickelt. Seine Aktionsmalerei bezeichnete Nitsch als "visuelle
Grammatik meines Theaters". Das Sinnliche steht für den Aktionskünstler
nicht im Gegensatz zum Geistigen. Überraschend ist schließlich Nitschs
Bekenntnis betreffend seine Dramaturgie, die den "Grundexzess"
erreichen wolle: "Ich möchte mit meinem Theater die gesamte Schöpfung
darstellen, mit dem Triumph über das Leid. Das ist die Auferstehung."
In seinem Schloss in Prinzendorf habe er "viele Verzückungs-, ja
Erleuchtungszustände" gehabt, erzählte der Meister. Dort möchte er ein
Spiel der Lebensbejahung und der Selbstfindung inszenieren, "das nahezu
kultischen Charakter hat".
Damit sei man wieder beim Auferstandenen, sagte Nitsch: "Das Opfer
des Fleisches verklärt sich ins Sein." Dann blätterte er in den
Unterlagen, schnaufte und sagte: "Jetzt hammas." Das Publikum
applaudierte höflich und erstand ein paar Bücher im Foyer, denn der
Meister hat mehrmals darauf verwiesen, dass er nun auf der Bühne zu
signieren gedenke.
Informationen
- Nitsch-Retrospektive im Martin-Gropius-Bau (Berlin): 30.11.2006-22.1.2007
- Galerie Curtze (Berlin): "Hermann Nitsch - Neue Arbeiten" 2.12.2006-8.2.2007
Sonntag, 19. November 2006