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16.10.2003 17:56

Der Meister und sein Sammler
Karlheinz Essl zeigt in Klosterneuburg eine opulente Retrospektive für "den Meister" Herrmann Nitsch, heuer 65 - Foto

Daseins- und Erlösungstechniker Herrmann Nitsch feiert heuer seinen 65. Geburtstag. Grund für seinen Großsammler, Karlheinz Essl, eine opulente Retrospektive für "den Meister"

und Aktionisten auszurichten.

Klosterneuburg – Ehrfürchtig spricht sein Sammler über "den Meister". Dieser ist eher untersetzt, barock in jeder Hinsicht, sein Sammler protestantisch, alkoholabstinent, asketisch. Ein gutes Kontrastpaar, der Herr Nitsch und der Herr Essl, obwohl Letzterer bei der Pressepräsentation verbindlich eine blutrote Krawatte und ein ebensolches Stecktuch trägt. Seit den 80ern erwirbt Karlheinz Essl ganze Werkblöcke des eingefleischten, als Einzigen im ursprünglichen Sinne noch aktiven, Aktionisten.

Rund 400 Werke sind es, die Essl von seinem, mit ihm in Freundschaft verbundenen Meister erworben hat – und die bestücken mit ausgezeichneten Beispielen aus der Sammlung des Künstlers, etwa einer wandfüllenden Zeichnung, eine opulente Schau im Kunsthaus der Essls. Welches sich selbst quasi historisiert, indem es die Relikte einer in den eigenen Hallen abgehaltenen Nitsch-Aktion wieder ausstellt.

Ein großes Unterfangen, bei dem die ganze Familie mitwirkt. Essel-Sohn Karlheinz jun., seines Zeichens Komponist, umhüllt und -wabert die zahlreichen "Kreuzwegstationen" mit einer durch den (Computer-)Fleischwolf gedrehten sphärischen Mixtur aus Geräuschen aus dem Orgien-Mysterien-Aktionstheater und den Protestkundgebungsschreien der Gegner.

Die meist mit Aktions- Hemd versehenen Bild-Objekte des synästhetisch-gesamtkunstwerklich orientierten Meisters sind geschüttet, nicht gerührt. Gestische Handzeichen ziehen sich durch dick aufgetragene Farbe. Letztere ist nicht immer, wie zu seinen Anfängen in den 60er-Jahren, rotes Blut, das dem Daseins- und Erlösungstechniker Nitsch mithelfen sollte, nach dem Daseinstaumel des u. a. an griechischen Vorbildern orientierten, hypergenau konzipierten Abreaktionsspiels in die Katharsis zu überführen.

Gelbe Phase

Es ist also selten Blut, das wird braun mit der Zeit, es ist rote Farbe. Liturgisches Grün oder Lila oder auch Schwarz bereicherte die Palette, oft auch alles zugleich. Nun ist die gelbe Phase angebrochen. Nicht Abschied oder Schmerz, sondern Auferstehung sollte dies symbolisieren, so Nitsch. Auferstehung im Sinne der Wiederkehr des immer Gleichen, "ein kosmisches, großartiges Symbol", man brauche doch nur in die Natur blicken. Und auf Nitsch' Werk selber.

Und er nimmt das alles sehr, sehr ernst: "Für mich ist die Kunst etwas Heiliges,etwas zutiefst Wesentliches, und da kommt mir leider kein Lacher aus", erzählt er im Katalog seinem Interviewpartner Karlheinz Essl. Von Meister und Sammler positioniert, führt die Retrospektive das Opus mehr oder weniger chronologisch vor Augen, gespickt mit ganzen Bilderwänden voller Aktionsfotos aus den 60ern bis heute.

Nitsch' Gesamtkunstwerk subsummiert am besten die Relikte aus der Aufführung des 6-Tage-Spiels 1998. Reih' an Reih' fügen sich, vom Kunsthausschen kleingliedrigen Holzparkettboden beeinträchtigt, Opfertische und Monstranzen, Utensilien wie Taschentücher und Schneidwerkzeuge.

Essl schätzt den "aufrüttelnden Charakter", der Nitsch archaischer Kunst innewohnt, die auch Tod und Sterben thematisiert und immer wieder Leute gegen sich aufbringt, da die Vermittlung des Werks weitgehend fehlt. Das sieht man auch bei den Wiener Linien. Essl wollte auf Straßenbahnen das Nitsch-Plakatmotiv – ein blutroter Ausschnitt aus einer Aktion, u.a. mit Händen und Tierinnereien, affichieren lassen. Die Wiener Linien wiesen die (Geld einbringende) Bestellung ab. Provozieren, sagt Nitsch, wollte er niemals in seinem Leben.

Die Ausstellung jedenfalls ist ein Geschenk der Essls zu des Meisters 65. Geburtstag. "Das größte und schönste Geschenk", sagt Nitsch. Ein weiteres wurde ihm verwehrt, es wäre "inniges Herzensanliegen" gewesen, und zwar das Bühnenbild zu Parsifal. "Kurz vor Vertragsabschluss hat mich", so Nitsch, "Staatsopern-Direktor Holender auf unfaire Weise ausgeladen".


(DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2003)


Von Doris Krumpl

Service

"Nitsch - Eine Retrospektive"

Sammlung Essl, Klosterneuburg

17.10.-11.1.2004,

Information: Tel. 0043 / 370 50 150

Termin

15. November in der Sammlung Essl: dreistündige Aktion unter Einsatz von Blut und Fleisch, mit 20 Akteuren und Orchesterbesetzung.

Link

sammlung-essl.at

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