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31.08.2002 - Zeichen der Zeit
Pinkeln wider den Tod
Er trägt den Haider-Dichand-Ehrentitel "Fäkalkünstler". Er sagt: "Jeder sieht, was er sucht." Zu Gast bei dem Mann, der die völkischen Bewahrer des Guten und Schönen zur Weißglut bringt: ein Besuch im Gailtaler "Paradies" des Cornelius Kolig.
Von Michael Fleischhacker


Dieses "Paradies" könnte auch ein KZ sein. Die Mauer würde dann nicht den heiligen Bezirk gegen die profane Außenwelt abgrenzen, sondern die gegen ihren Willen hier Festgehaltenen an der Flucht hindern. Die beiden Türme könnten genausogut Glocken beherbergen wie Scheinwerfer und Maschinengewehre. Was eine Kultstätte sein könnte, heißt "Richtstätte". Die Ambivalenz, die sich schon in den ersten architektonischen Eindrücken manifestiert, zieht sich durch bis in kleinste Details der Arbeiten,
die Cornelius Kolig hier, in Vorderberg bei Feistritz im Kärntner Gailtal, seit mehr als 20 Jahren zu einem Gesamtkunstwerk zusammenträgt: Lust und Schmerz.

Koligs Paradies unterscheidet sich von den uns bekannten mythischen Paradiesvorstellungen durch seine Gegenwärtigkeit: Nicht die Erinnerung an einen Idealzustand vor dem Beginn der Geschichte konstituiert dieses Paradies und auch nicht das Hoffen auf das Eintreten eines solchen Idealzustandes nach dem Ende der Geschichte. Es verdankt sich, wie Arnulf Rohsmann in dem Band "C. Kolig. Paradies jetzt" (Residenz Verlag, 2000) schreibt, der Bereitschaft seines "Nutzers und Begünstigten", den Preis für seine Realisierung im Hier und Jetzt zu zahlen: das "fare", das "Tun auch gegen Widerstände".

Der gelassene Umgang mit Widerständen ist dem Künstler, der dieser Tage seinen 60. Geburtstag feiert, längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Nicht erst seit der brutalen Kampagne, mit der die Kärntner FPÖ und die "Kronen Zeitung" des beflissenen Kunstsammlers Hans Dichand verhindern wollten, daß Kolig jenen Saal des Kärntner Landhauses neu gestaltet, den sein Großvater Anton ausgemalt hatte, ehe die Nationalsozialisten die "entarteten" Fresken entfernen ließen.

Was von Beginn an Widerstand hervorrief, war Koligs Grundzugang zur Kunst, der jenem der Aktionisten nicht unähnlich war. Bis heute geht es ihm darum, alltägliche Dinge, Handlungen und Empfindungen in die Sphäre des Künstlerischen zu transformieren. Im Zentrum dieses Transformationsprozesses stehen einerseits die wenig beachteten oder sogar tabuisierten primären Lebensäußerungen und andererseits die Genüsse: Auf den Menschen bezogen, heißt das Stoffwechsel und Sexualität. Koligs Arbeiten mit den Stoffwechselendprodukten Urin und Kot haben ihm den Haider-Dichand-Ehrentitel "Fäkalkünstler" eingebracht, wegen seiner Beschäftigung mit dem Sexuellen wurde er von seinen Gegnern immer wieder als potentieller Kinderschänder und als Sexungeheuer dargestellt.

Die Absurdität dieses Vorwurfs erschließt sich bereits nach wenigen Minuten der persönlichen Begegnung mit dem Künstler: Ein sanftmütigeres Wesen läßt sich kaum denken. Genau das ist es wohl auch, was die völkischen Bewahrer des Wahren, Guten und Schönen in besonderem Maß zur Weiß-glut bringt: Hier hat man es nicht mit einem kalkulierenden Provokateur zu tun, der auf medial inszenierte Spiele einsteigt. Wenn Kolig sagt, daß in seinem Werk "jeder sieht, was er sucht", dann meint er es ernst. Das schmerzt mehr als die koketten Volten eines Christoph Schlingensief.

So ernst es Cornelius Kolig ist mit der Kunst und mit dem Leben, so sehr gehört die Ironie zum Kern seines künstlerischen Repertoires. Auch dann,

wenn es um den eigenen Tod geht. Das Urnenhäuschen, in dem seine mit Zement gemischte Asche später als Betonkonus Platz finden soll, steht bereits im Paradies, an den letzten Details wird gerade gearbeitet. Der Betonkonus wird sein Gegenüber im Inneren des imposanten Alu-Obelisken haben, der im Weingarten steht: Dort wächst eine Kotpyramide. Die Idee dazu kam Kolig, als man ihm erzählte, daß im Zuge einer Pfarrhofrenovierung ein Plumpsklo abgerissen und im Inneren eine versteinerte Kotpyramide gefunden worden sei. Ein wunderbares Symbol für das, was wir gern "Lebenswerk" nennen, meinte der Künstler, und so ging auch er ans Werk.

Der Antrieb zum künstlerischen Schaffen kommt nach Cornelius Koligs Auffassung aus dem Wunsch, den Tod zu überwinden, in den eigenen Werken zu überdauern. Dieser Gedanke läßt sich kaum eindrucksvoller zeigen als in einer Arbeit, die in einem der beiden Längsschiffe der Paradies-Basilika zu sehen ist: einer schrägen, beschichteten Glaswand, die den Schriftzug "Memento" und einen Totenschädel zeigt. Wenn man auf die Glaswand pinkelt, wird sie transparent, Schriftzug und Totenschädel verschwinden - bis der Urin abgeronnen und die Scheibe getrocknet ist. Kunst als konsequentes, am Ende vergebliches Anpinkeln gegen den Tod.

Die Genußwelt, die das Paradies auch und vor allem ist, eröffnet sich dem Besucher in Gerüchen, Farben und Tönen. Den Grillen hat er eine monumentale Betonrampe gebaut; die Früchte, die im Obstgarten reifen, werden in einem aufwendig gefertigten Brennkessel weiterverarbeitet. Für Kolig gehört auch dieser Vorgang in die Sphäre der Kunst: Was, fragt er, ist denn künstlerisches Schaffen, wenn nicht das Verarbeiten, Veredeln, Verdichten, Destillieren von in der alltäglichen Wirklichkeit Vorgefundenem? Nach diesem Prinzip finden auch die Stockschwämme, die an der Paradiesmauer wachsen, nach kunstvoller Zubereitung als Stilleben des Genusses in den Werkkatalog Eingang. Am lieb-sten wäre ihm außerhalb der Paradies-mauer ein richtiger Dschungel, damit sich noch deutlicher zeigen ließe, wie sehr sich die ursprüngliche Natur schrittweise bis ins Zentrum der künstlerischen Produktion hinein in einem ständigen Transformationsprozeß veredeln läßt.

Cornelius Koligs Objekte, die in der "Sixtina" des Paradieses und in den beiden Längsschiffen angeordnet sind, sind ihrer Funktion nach Apparaturen für die "täglichen Verrichtungen im Paradies". Es handelt sich um präzise und aufwendig gefertigte Maschinen, die dazu da sind, das komplizierte und nicht immer klare Verhältnis zwischen Natürlichem und Künstlichem, zwischen Konkretem und Abstraktem zu thematisieren. Die Benützung der Gerätschaften erfolgt unter Ausschluß der Öffentlichkeit, dem Ausstellungsbesucher stehen in der Regel "nur" Videos zur Verfügung, die einerseits Distanz zum konkreten Vorgang und andererseits Fokussierung auf Details erlauben. Daß dabei immer wieder männliche Geschlechtsteile und weibliche Brüste gezeigt werden, reflektiert nicht zuletzt Koligs Grundannahme über die Beziehungen zwischen den Geschlechtern: Die immer und überall präsente männliche Gewalt wird von Kolig als genitale Gewalt wahrgenommen, die weiblichen Brüste hingegen sind ihm Sinnbild der nährenden und bergenden Natur des Weiblichen.

Als "Summe" des Apparaturen-Werktypus könnte man die jüngste Arbeit mit dem Titel "Playback" sehen: Auf dem Monitor ist zu sehen, wie ein Mann in die Hocke geht und dem Anschein nach einen Furz läßt. Der kommt in Wahrheit aus einer künstlichen Tonquelle - Playback eben -, wird verstärkt und bringt eine hinter dem Mann angebrachte Glühbirne zum Flackern. Dieser Vorgang wird auf dem Video in einer Endlosschleife gezeigt, der Schatten, den das Licht wirft, ist hinter dem Videotisch zu sehen - als Gemälde.

Der früh zutage getretene Hang zum "technischen Umweg", als den man die aufwendigen Maschinen Koligs auch lesen kann, wird aus zwei Quellen gespeist: Einerseits handelt es sich um eine - zunehmend ironisch gebrochene - Anspielung auf die im Zuge der Technikgläubigkeit der siebziger Jahre entstandene Vorstellung, man könne mit Hilfe der Technik die Bewußtseinsveränderung und -erweiterung zustande bringen, die man sich zunächst von Drogen erhofft hatte. Andererseits haben wir es einfach mit Lustverstärkern zu tun, mit Apparaturen, die dabei helfen sollen, den natürlichen Wunsch nach möglichst großer zeitlicher Ausdehnung und artifizieller Steigerung des Genusses - bis hin zur Perversion - zu erfüllen. Koligs Apparate spielen also in einer immer auch deutlich ironischen Inszenierung den Prozeß nach, der im Gehirn des Genießers abläuft. Eines der faszinierendsten Beispiele dafür ist jene Apparatur, mit der nach einem komplizierten, durch die vom Benutzer erzeugte Reibungswärme gesteuerten Vorgang Frauenschuhe gesprengt werden.

Das Nichtwahrnehmen der ironischen Dimension der Arbeiten Cornelius Koligs zeigt sich am eklatantesten in der andauernden Empörung über seine Arbeiten mit Kot. Die Aufregung darüber, daß einer die Frechheit habe, seine Körperausscheidungen um teures Geld an nützliche Kunstidioten zu verscherbeln, ist nichts anderes als ein rezeptionsgeschichtlicher Treppenwitz: Erstens handelt es sich um Abgüsse, die mit verschiedenen Materialien "veredelt" wurden, zweitens hat der Künstler kein einziges dieser Stücke verkauft, was ihm gar nicht unrecht ist. Daß diese seine Kunst nie marktfähig gewesen ist, hat naheliegende Nachteile - das zusätzliche Gebäude, das er bräuchte, um auch die in zerlegter Form gelagerten Arbeiten in seinem Paradies auf adäquate Weise installieren zu können, kann er sich nicht leisten. Dafür, sagt Kolig, war er aber auch nie gefährdet, zum Zwecke der Verkaufsmaximierung ins Selbstzitat zu verfallen.

Derzeit ist Cornelius Kolig damit beschäftigt, ein Archiv seiner Skizzen- und Ideenblätter anzulegen. Es soll im "Headquarter" des Paradieses, in dessen Obergeschoß das Audio- und Videoequipment untergebracht ist, entstehen. Zunehmend beschäftigt den Künstler, der seit Jahren mit ernsten gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, auch die Frage, wie es nach seinem Tod mit dem Paradies weitergehen soll. Vor allem die Vorstellung der Musealisierung des Areals bereitet ihm Unbehagen: "Ich befürchte, daß eines Tages die ganze Welt ein Museum sein wird." Die Betreuung der vielen Besucher, die das Paradies in Vorderberg quasi als Zugabe zum Besuch des Nötscher Museums verstehen, in dem die Arbeiten des Künstlerkreises rund um Großvater Anton Kolig zu sehen sind, hat er radikal eingeschränkt.

Dem Erbauer des Paradieses schwebt vor, daß die Benützung der Einrichtungen auch nach seinem Tod fortgesetzt wird. Vielleicht von Kunststudenten oder Künstlern, die sich immer wieder eine Zeitlang in Vorderberg aufhalten: "So wie ich diese Einrichtungen benütze, könnte sie jeder andere auch benützen, und es würden so dem Para-dies immer neue Werke hinzugefügt." Kolig sagt das im Wissen um den Umstand, daß es nicht leicht Künstler

Die Genußwelt, die das Paradies auch und vor allem ist, eröffnet sich dem Besucher in Gerüchen, Farben, Tönen. Doch zunehmend beschäftigt den Künstler die Fra- ge, wie es nach seinem Tod mit dem Paradies weitergehen soll.

geben wird, die sich der Ausführung von Arbeiten verschreiben wollen, die von einem anderen Künstler entworfen wurden.

Obwohl: Was in der darstellenden Kunst und in der Musik gang und gäbe sei, daß sich nämlich große Meister ausschließlich der Pflege und Interpretation von längst Geschaffenem widmeten, könne man, meint Kolig mit ironischem Unterton, eigentlich für die bildende Kunst nicht gänzlich ausschließen. Zunächst möchte er seinem Werk freilich selbst noch einiges hinzufügen. So beschäftigt er sich derzeit
im Gefolge eigener Erfahrungen mit dem Thema "Knopflochoperation". Seinem alten Interesse an Dunkelräumen und Lochkameras folgend, sollen auch die verschiedenen Möglichkeiten der Handhabung einer Filmkamera demnächst noch zum Thema einer Arbeit gemacht werden.

In eine ungewisse Zukunft weist eine andere Liste, die Kolig jüngst angefertigt hat. In ihr sind 130 Objekte verzeichnet, deren Realisierung sich aller Voraussicht nach für ihn "nicht mehr ausgehen wird". Er möchte möglichst genaue Vorschläge und Anleitungen zu ihrer Realisierung hinterlassen. "Gewidmet", sagt er, "sind sie meinem Klon, dem ich dazu noch allerlei gute Tips geben will." Seinem Klon? "Ja", sagt Kolig, "ich hätte überhaupt nichts gegen so einen Klon." Beim künstlerischen Prozeß, meint er, handle es sich schließlich auch um nichts anderes als den Versuch eines Menschen, seine genetischen Informationen in transformierter Form weiterzugeben. Das wäre dann wohl eine hochaktuelle und zugleich ironisch zugespitzte Variation des Koligschen Kunstverständnisses: Klonen als biotechnische Fortsetzung des Anpinkelns gegen den Tod. [*]



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