Dieses "Paradies" könnte auch ein KZ sein. Die Mauer würde dann nicht
den heiligen Bezirk gegen die profane Außenwelt abgrenzen, sondern die
gegen ihren Willen hier Festgehaltenen an der Flucht hindern. Die beiden
Türme könnten genausogut Glocken beherbergen wie Scheinwerfer und
Maschinengewehre. Was eine Kultstätte sein könnte, heißt "Richtstätte".
Die Ambivalenz, die sich schon in den ersten architektonischen Eindrücken
manifestiert, zieht sich durch bis in kleinste Details der Arbeiten,
die Cornelius Kolig hier, in Vorderberg bei Feistritz im Kärntner
Gailtal, seit mehr als 20 Jahren zu einem Gesamtkunstwerk zusammenträgt:
Lust und Schmerz.
Koligs Paradies unterscheidet sich von den uns bekannten
mythischen Paradiesvorstellungen durch seine Gegenwärtigkeit: Nicht die
Erinnerung an einen Idealzustand vor dem Beginn der Geschichte
konstituiert dieses Paradies und auch nicht das Hoffen auf das Eintreten
eines solchen Idealzustandes nach dem Ende der Geschichte. Es verdankt
sich, wie Arnulf Rohsmann in dem Band "C. Kolig. Paradies jetzt" (Residenz
Verlag, 2000) schreibt, der Bereitschaft seines "Nutzers und
Begünstigten", den Preis für seine Realisierung im Hier und Jetzt zu
zahlen: das "fare", das "Tun auch gegen Widerstände".
Der gelassene Umgang mit Widerständen ist dem Künstler,
der dieser Tage seinen 60. Geburtstag feiert, längst zur
Selbstverständlichkeit geworden. Nicht erst seit der brutalen Kampagne,
mit der die Kärntner FPÖ und die "Kronen Zeitung" des beflissenen
Kunstsammlers Hans Dichand verhindern wollten, daß Kolig jenen Saal des
Kärntner Landhauses neu gestaltet, den sein Großvater Anton ausgemalt
hatte, ehe die Nationalsozialisten die "entarteten" Fresken entfernen
ließen.
Was von Beginn an Widerstand hervorrief, war Koligs
Grundzugang zur Kunst, der jenem der Aktionisten nicht unähnlich war. Bis
heute geht es ihm darum, alltägliche Dinge, Handlungen und Empfindungen in
die Sphäre des Künstlerischen zu transformieren. Im Zentrum dieses
Transformationsprozesses stehen einerseits die wenig beachteten oder sogar
tabuisierten primären Lebensäußerungen und andererseits die Genüsse: Auf
den Menschen bezogen, heißt das Stoffwechsel und Sexualität. Koligs
Arbeiten mit den Stoffwechselendprodukten Urin und Kot haben ihm den
Haider-Dichand-Ehrentitel "Fäkalkünstler" eingebracht, wegen seiner
Beschäftigung mit dem Sexuellen wurde er von seinen Gegnern immer wieder
als potentieller Kinderschänder und als Sexungeheuer dargestellt.
Die Absurdität dieses Vorwurfs erschließt sich bereits
nach wenigen Minuten der persönlichen Begegnung mit dem Künstler: Ein
sanftmütigeres Wesen läßt sich kaum denken. Genau das ist es wohl auch,
was die völkischen Bewahrer des Wahren, Guten und Schönen in besonderem
Maß zur Weiß-glut bringt: Hier hat man es nicht mit einem kalkulierenden
Provokateur zu tun, der auf medial inszenierte Spiele einsteigt. Wenn
Kolig sagt, daß in seinem Werk "jeder sieht, was er sucht", dann meint er
es ernst. Das schmerzt mehr als die koketten Volten eines Christoph
Schlingensief.
So ernst es Cornelius Kolig ist mit der Kunst und mit dem
Leben, so sehr gehört die Ironie zum Kern seines künstlerischen
Repertoires. Auch dann,
wenn es um den eigenen Tod geht. Das Urnenhäuschen, in
dem seine mit Zement gemischte Asche später als Betonkonus Platz finden
soll, steht bereits im Paradies, an den letzten Details wird gerade
gearbeitet. Der Betonkonus wird sein Gegenüber im Inneren des imposanten
Alu-Obelisken haben, der im Weingarten steht: Dort wächst eine
Kotpyramide. Die Idee dazu kam Kolig, als man ihm erzählte, daß im Zuge
einer Pfarrhofrenovierung ein Plumpsklo abgerissen und im Inneren eine
versteinerte Kotpyramide gefunden worden sei. Ein wunderbares Symbol für
das, was wir gern "Lebenswerk" nennen, meinte der Künstler, und so ging
auch er ans Werk.
Der Antrieb zum künstlerischen Schaffen kommt nach
Cornelius Koligs Auffassung aus dem Wunsch, den Tod zu überwinden, in den
eigenen Werken zu überdauern. Dieser Gedanke läßt sich kaum
eindrucksvoller zeigen als in einer Arbeit, die in einem der beiden
Längsschiffe der Paradies-Basilika zu sehen ist: einer schrägen,
beschichteten Glaswand, die den Schriftzug "Memento" und einen
Totenschädel zeigt. Wenn man auf die Glaswand pinkelt, wird sie
transparent, Schriftzug und Totenschädel verschwinden - bis der Urin
abgeronnen und die Scheibe getrocknet ist. Kunst als konsequentes, am Ende
vergebliches Anpinkeln gegen den Tod.
Die Genußwelt, die das Paradies auch und vor allem ist,
eröffnet sich dem Besucher in Gerüchen, Farben und Tönen. Den Grillen hat
er eine monumentale Betonrampe gebaut; die Früchte, die im Obstgarten
reifen, werden in einem aufwendig gefertigten Brennkessel
weiterverarbeitet. Für Kolig gehört auch dieser Vorgang in die Sphäre der
Kunst: Was, fragt er, ist denn künstlerisches Schaffen, wenn nicht das
Verarbeiten, Veredeln, Verdichten, Destillieren von in der alltäglichen
Wirklichkeit Vorgefundenem? Nach diesem Prinzip finden auch die
Stockschwämme, die an der Paradiesmauer wachsen, nach kunstvoller
Zubereitung als Stilleben des Genusses in den Werkkatalog Eingang. Am
lieb-sten wäre ihm außerhalb der Paradies-mauer ein richtiger Dschungel,
damit sich noch deutlicher zeigen ließe, wie sehr sich die ursprüngliche
Natur schrittweise bis ins Zentrum der künstlerischen Produktion hinein in
einem ständigen Transformationsprozeß veredeln läßt.
Cornelius Koligs Objekte, die in der "Sixtina" des
Paradieses und in den beiden Längsschiffen angeordnet sind, sind ihrer
Funktion nach Apparaturen für die "täglichen Verrichtungen im Paradies".
Es handelt sich um präzise und aufwendig gefertigte Maschinen, die dazu da
sind, das komplizierte und nicht immer klare Verhältnis zwischen
Natürlichem und Künstlichem, zwischen Konkretem und Abstraktem zu
thematisieren. Die Benützung der Gerätschaften erfolgt unter Ausschluß der
Öffentlichkeit, dem Ausstellungsbesucher stehen in der Regel "nur" Videos
zur Verfügung, die einerseits Distanz zum konkreten Vorgang und
andererseits Fokussierung auf Details erlauben. Daß dabei immer wieder
männliche Geschlechtsteile und weibliche Brüste gezeigt werden,
reflektiert nicht zuletzt Koligs Grundannahme über die Beziehungen
zwischen den Geschlechtern: Die immer und überall präsente männliche
Gewalt wird von Kolig als genitale Gewalt wahrgenommen, die weiblichen
Brüste hingegen sind ihm Sinnbild der nährenden und bergenden Natur des
Weiblichen.
Als "Summe" des Apparaturen-Werktypus könnte man die
jüngste Arbeit mit dem Titel "Playback" sehen: Auf dem Monitor ist zu
sehen, wie ein Mann in die Hocke geht und dem Anschein nach einen Furz
läßt. Der kommt in Wahrheit aus einer künstlichen Tonquelle - Playback
eben -, wird verstärkt und bringt eine hinter dem Mann angebrachte
Glühbirne zum Flackern. Dieser Vorgang wird auf dem Video in einer
Endlosschleife gezeigt, der Schatten, den das Licht wirft, ist hinter dem
Videotisch zu sehen - als Gemälde.
Der früh zutage getretene Hang zum "technischen Umweg",
als den man die aufwendigen Maschinen Koligs auch lesen kann, wird aus
zwei Quellen gespeist: Einerseits handelt es sich um eine - zunehmend
ironisch gebrochene - Anspielung auf die im Zuge der Technikgläubigkeit
der siebziger Jahre entstandene Vorstellung, man könne mit Hilfe der
Technik die Bewußtseinsveränderung und -erweiterung zustande bringen, die
man sich zunächst von Drogen erhofft hatte. Andererseits haben wir es
einfach mit Lustverstärkern zu tun, mit Apparaturen, die dabei helfen
sollen, den natürlichen Wunsch nach möglichst großer zeitlicher Ausdehnung
und artifizieller Steigerung des Genusses - bis hin zur Perversion - zu
erfüllen. Koligs Apparate spielen also in einer immer auch deutlich
ironischen Inszenierung den Prozeß nach, der im Gehirn des Genießers
abläuft. Eines der faszinierendsten Beispiele dafür ist jene Apparatur,
mit der nach einem komplizierten, durch die vom Benutzer erzeugte
Reibungswärme gesteuerten Vorgang Frauenschuhe gesprengt werden.
Das Nichtwahrnehmen der ironischen Dimension der Arbeiten
Cornelius Koligs zeigt sich am eklatantesten in der andauernden Empörung
über seine Arbeiten mit Kot. Die Aufregung darüber, daß einer die
Frechheit habe, seine Körperausscheidungen um teures Geld an nützliche
Kunstidioten zu verscherbeln, ist nichts anderes als ein
rezeptionsgeschichtlicher Treppenwitz: Erstens handelt es sich um Abgüsse,
die mit verschiedenen Materialien "veredelt" wurden, zweitens hat der
Künstler kein einziges dieser Stücke verkauft, was ihm gar nicht unrecht
ist. Daß diese seine Kunst nie marktfähig gewesen ist, hat naheliegende
Nachteile - das zusätzliche Gebäude, das er bräuchte, um auch die in
zerlegter Form gelagerten Arbeiten in seinem Paradies auf adäquate Weise
installieren zu können, kann er sich nicht leisten. Dafür, sagt Kolig, war
er aber auch nie gefährdet, zum Zwecke der Verkaufsmaximierung ins
Selbstzitat zu verfallen.
Derzeit ist Cornelius Kolig damit beschäftigt, ein Archiv
seiner Skizzen- und Ideenblätter anzulegen. Es soll im "Headquarter" des
Paradieses, in dessen Obergeschoß das Audio- und Videoequipment
untergebracht ist, entstehen. Zunehmend beschäftigt den Künstler, der seit
Jahren mit ernsten gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, auch die
Frage, wie es nach seinem Tod mit dem Paradies weitergehen soll. Vor allem
die Vorstellung der Musealisierung des Areals bereitet ihm Unbehagen: "Ich
befürchte, daß eines Tages die ganze Welt ein Museum sein wird." Die
Betreuung der vielen Besucher, die das Paradies in Vorderberg quasi als
Zugabe zum Besuch des Nötscher Museums verstehen, in dem die Arbeiten des
Künstlerkreises rund um Großvater Anton Kolig zu sehen sind, hat er
radikal eingeschränkt.
Dem Erbauer des Paradieses schwebt vor, daß die Benützung
der Einrichtungen auch nach seinem Tod fortgesetzt wird. Vielleicht von
Kunststudenten oder Künstlern, die sich immer wieder eine Zeitlang in
Vorderberg aufhalten: "So wie ich diese Einrichtungen benütze, könnte sie
jeder andere auch benützen, und es würden so dem Para-dies immer neue
Werke hinzugefügt." Kolig sagt das im Wissen um den Umstand, daß es nicht
leicht Künstler
Die Genußwelt, die das Paradies auch und vor allem ist, eröffnet sich
dem Besucher in Gerüchen, Farben, Tönen. Doch zunehmend beschäftigt den
Künstler die Fra- ge, wie es nach seinem Tod mit dem Paradies weitergehen
soll.
geben wird, die sich der Ausführung von Arbeiten
verschreiben wollen, die von einem anderen Künstler entworfen wurden.
Obwohl: Was in der darstellenden Kunst und in der Musik
gang und gäbe sei, daß sich nämlich große Meister ausschließlich der
Pflege und Interpretation von längst Geschaffenem widmeten, könne man,
meint Kolig mit ironischem Unterton, eigentlich für die bildende Kunst
nicht gänzlich ausschließen. Zunächst möchte er seinem Werk freilich
selbst noch einiges hinzufügen. So beschäftigt er sich derzeit
im
Gefolge eigener Erfahrungen mit dem Thema "Knopflochoperation". Seinem
alten Interesse an Dunkelräumen und Lochkameras folgend, sollen auch die
verschiedenen Möglichkeiten der Handhabung einer Filmkamera demnächst noch
zum Thema einer Arbeit gemacht werden.
In eine ungewisse Zukunft weist eine andere Liste, die
Kolig jüngst angefertigt hat. In ihr sind 130 Objekte verzeichnet, deren
Realisierung sich aller Voraussicht nach für ihn "nicht mehr ausgehen
wird". Er möchte möglichst genaue Vorschläge und Anleitungen zu ihrer
Realisierung hinterlassen. "Gewidmet", sagt er, "sind sie meinem Klon, dem
ich dazu noch allerlei gute Tips geben will." Seinem Klon? "Ja", sagt
Kolig, "ich hätte überhaupt nichts gegen so einen Klon." Beim
künstlerischen Prozeß, meint er, handle es sich schließlich auch um nichts
anderes als den Versuch eines Menschen, seine genetischen Informationen in
transformierter Form weiterzugeben. Das wäre dann wohl eine hochaktuelle
und zugleich ironisch zugespitzte Variation des Koligschen
Kunstverständnisses: Klonen als biotechnische Fortsetzung des Anpinkelns
gegen den Tod. [*]
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