"Meine Liebe ist Tyrol": Heimatliches Liedgut wird, wenn es sein muss, in der Colônia Tirol auch in portugiesischer Sprache fortgeführt (Filmstill aus "Konturen einer Heimat" von Danesch/Rych).
Innsbruck - Reisen ist ungesund. Nicht allein wegen Montezumas Rache und anderen Unpässlichkeiten, gegen die sich der Reisende inzwischen mit diversen Pulvern zu wappnen weiß. Nein, es warten hinterhältigere, weil mysteriösere und unvorhersehbarere Plagen auf den Weltenbummler.
In "einer Art Ekstase" lustwandelte der französische Schriftsteller Stendhal im 19. Jahrhundert durch Florenz: "Als ich Santa Croce verließ, hatte ich starkes Herzklopfen; in Berlin nennt man das einen Nervenanfall; ich war bis zum Äußersten erschöpft und fürchtete umzufallen." Stendhal dokumentierte sehr literarisch, was sehr viel später Stendhal-Syndrom genannt werden sollte - und die gar nicht harmlosen Wahrnehmungsstörungen und Panikattacken infolge der Florentiner Reizüberflutung beschreibt.
Kulturschock kurieren
Erst in den letzten Jahren ergänzte sich die Reihe dieser tückischen "Reisekrankheiten": etwa um das morbide Venedig-Syndrom, das man angesichts der hohen Zahl von Selbstmordversuchen deutschsprachiger Touristen diagnostizierte, oder um das überwiegend bei japanischen Touristen auftretende Paris-Syndrom, das sich in Form von Angstzuständen und Traumatisierungen äußert. Aber warum?
Wegen des Kulturschocks, den der Japaner erleidet, wenn seine romantischen Vorstellungen an der Realität zerschellen: Mit der Reise in die Stadt an der Seine will er sich einen Lebenstraum erfüllen, stattdessen empfängt ihn die biestige Wirklichkeit.
Paris Syndrom ist auch der Titel eines seit 2007 verfolgten Projekts des Künstlers Jun Yang. Der in Österreich aufgewachsene Chinese beschäftigt sich in der Ausstellung Die Welt als Kulisse mit diesem Begehren, mit der Sehnsucht nach dem Erhabenen der Fremde oder nach einer fernen Idylle. Neben der Videoarbeit in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais umfasst Yangs Projekt etwa auch ein für die Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst gestaltetes Hotelzimmer. Dieses enttäuscht die Lust nach Design mit schnöden Kopien, serviert etwa statt edlem Louis-Vuitton-Textil nur billiges Imitat aus Synthetik.
Das Video, das in der chinesischen Drei-Millionen-Metropole Guangzhou spielt, funktioniert allerdings vielschichtiger, hinterfragt die Globalisierung dieser Sensuchtswelten. Die Kulisse der Welt wird hier buchstäblich heimgebracht: venezianische Lagunen, disneyfizierte Wohnanlagen mit entsprechenden Parks, architektonische Wüsteneien und sogar die Replik der Wiener Secession, die allerdings einen chinesischen Immobilienkonzern beherbergt. Ein Paar, so sauber und geleckt wirkend wie Playmobilfiguren, wandelt emotionslos durch diese vor Papppflanzen präsentierten Bilder. Auch ihre Posen entsprechen einem Ideal - jenem für den Tourismusprospekt.
Yangs Arbeit empfiehlt sich als Ausgangspunkt für die Ausstellung, die anhand von neun künstlerischen Positionen (u. a. mit Judith Fegerl, Christoph Hinterhuber, Sonia Leimer, Werner Reiterer, Sofie Thorsen) die Gemachtheit und Künstlichkeit der Welt untersucht. Wenn unser Lebensraum zunehmend inszeniert und designt ist, wie frei können wir uns dann noch in ihr bewegen? Welche neuen Rollen sieht die Welt für uns vor, die immer mehr einer gebauten Kulisse gleicht? Hinter die Gemachtheit touristischer Infrastruktur blickt Gregor Sailer. Sein fotografischer Blick auf die zur Konservierung mit Vlies bedeckten Gletscher macht frieren - vor Betroffenheit.
Attrappen ohne Fundament
Die älplerischen Holzhäuser von Siggi Hofer sind Attrappen, deren offene Kehrseite ihr brüchiges Fundament entlarvt. Welcome Tourist lockt ein Schriftzug dennoch in eine vermeintliche, seit der Piefke-Saga entmystifizierte Tiroler Traditionsidylle, die Klischees wie Identität, Heimat und Glaube abspult. Schöner Schein, der für Kulissenproduktionen der Marke Bollywood noch genügt.
Tradition, an der man in der Colônia Tirol, dem "Tirol do Brasil" seit 1859 eisern festhält. "A normales Volk muss seine Vergangenheit erinnern, damit aus der Zukunft was wird", erinnert ein "Brasilianer, der ein bisserl mit Tiroler Dialekt redet" im 72-minütigen Film von Emanuel Danesch und David Rych. Konturen einer Heimat nimmt eine kritische Perspektive zum "manchmal mit Gewalt" erhaltenen Deutschtum ein. Auf der einen Seite zeigt er den Wunsch, in der Fremde das Eigenen zu bewahren. In der Heimat jedoch, da soll sich "das Fremde" bitte schön an "Unseres" anpassen, sich integrieren. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD - Printausgabe, 4. Jänner 2011)
Bis 6. 2.
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sich
der Westen auch mal mit was anderem als dem Tourismus beschäftigen
würde. Das langweilt wirklich schon zu Tode. Genauso wie die
Urbanismus-Debatte im Osten.
Vielleicht auch noch ein bissl mit Gender und Integration gemixt?
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