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vom 16.06.2007 - Seite 033
KASSEL: Die gestern eröffnete documenta 12 läuft der Biennale Venedig den Rang ab

Schauerlebnisse aus entlegensten Ecken

VON IRENE JUDMAYER UND WOLFGANG HUBER-LANG

"Ich leiste mir immer mehr, Sachen zu machen, die nur mich interessieren." - also Peter Friedl, anno 1960 im oberösterreichischen Oberneukirchen geboren, im Gespräch mit den OÖN. 1996 war er das erste Mal bei der documenta vertreten, 2002 in der Landesgalerie in Linz, jetzt bei der gestern eröffneten documenta 12 in Kassel.

Fünf Österreicher

Friedl, den es nach zehn Jahren in Italien und einer längeren Zeit in Südafrika nach Berlin verschlagen hat, ist immer gut für starke Aussagen: "Ich lebe sehr gerne nicht in Österreich" ist eine davon. Seine für die documenta 12 aus Palästina herangeschaffte präparierte Giraffe "Brownie" eine weitere. Friedl zeigt neben der Giraffe unter anderem auch sein bereits in Linz gezeigtes Video vom Tiger im Fridericianum.

Weitere Österreicher hier in Kassel: Gerwald Rockenschaub mehrmals, auch mit einer orange-grünen Schulklassen-Installation im neuen Aue-Pavillon ("To art or not to art!" steht auf der Tafel). Ines Doujak zeigt tolle Collagen, Florian Pumhösl einen spartanischen Installationsraum im Fridericianum, und Komponistin Olga Neuwirth beeindruckt in der Neuen Galerie mit einer überwältigend sinnlichen Klanginstallation.

Schon nach einem ersten, raschen Überblick über die documenta 12 lässt sich gefahrlos konstatieren: Roger M. Buergel, der künstlerische Leiter der diesjährigen Auflage der alle fünf Jahre stattfindenden Kunstausstellung, hat das Match gegen Kunstbiennale-Kurator Robert Storr glatt gewonnen. Vor allem dank seines Gefühls für Architektur, Licht und Inszenierung, das die Präsentation der mehr als 500 Werke von über 100 Künstlern zum Schauerlebnis macht. Immer wieder steht man staunend vor Kunstwerken, die der documenta-Chef mit seiner Lebensgefährtin und Kuratorin Ruth Noack aus entlegensten Ecken der Erde herangeschafft hat.

Lebendiges Ganzes

Ob Kunst eines vom Markt abgesegneten Stars wie Gerhard Richter oder von völlig Unbekannten, ob Gesichtsschleier aus Tadschikistan, alte Teppiche aus dem Iran oder Kanistern nachempfundene Masken aus Afrika - alles fügt sich zu einem höchst lebendigen Ganzen.

Info: www.documenta.de

Dreck Street Boys

Die documenta-Künstlerin Lotty Rosenfeld ist "entsetzt" über die Zerstörung eines ihrer Kunstwerke: "Das ist ein Akt der Gewalt, und ich fühle mich missachtet", sagte die Chilenin. Einen Tag zuvor waren nämlich weiße Aufkleber, mit der Rosenfeld Fahrbahnmarkierungen in Kreuze verwandelt hatte, irrtümlich von der Stadtreinigung Kassel - den so genannten "Dreck Street Boys" - entfernt worden.


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