Nichts als ein Kotelett: Félix Vallottons "Entrecôte" von 1914 entstand zwar während des Ersten Weltkriegs, aber der Künstler suchte im Fleisch nicht, wie einst Francisco de Goya, Parallelen zu den Grausamkeiten des Krieges.
Die Verknüpfung von Kunst und Leben versieht das Kunstforum mit einigen kulinarischen Exkursen.
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Wien - Wer einmal dabei war, wie einen ganzen Vormittag und gute Teile des Nachmittags lang in einem klinischen Küchenlabor Teller gerückt und bezuckert, Fruchtfleisch in Dekoformat und Schokolade in sich lockende Raspel gebracht werden; wer gewartet hat, bis Scheinwerfer eingerichtet und Minzblättchen arrangiert sind, um dann - tata! - die vorbereitete und mit klitzekleinen Mangorauten besetzte Speiseeishochheiligkeit aus ihrem Trockeneisbett zu heben, der weiß, wie schwierig es ist, Lebensmittel appetitlich ins rechte Licht(-Bild) zu setzen.
Man könnte glauben, die Malerei hätte es hierbei einfacher gehabt, konnte sie doch das Dahinschmelzen ihrer Modelle geflissentlich übersehen. Aber wenn man ehrlich ist, machen selbst die schönsten Früchtestillleben des 17. Jahrhunderts dem Betrachter den Mund noch nicht wässrig.
Augenschmaus, der Titel der Ausstellung über das Essen im Stillleben ist also nur bedingt, nämlich auf künstlerischer Ebene passend. Umso erstaunlicher die Inspiration und Abstraktionsleistung, mit der Spitzenköche auf Einladung des Bank Austria Kunstforums einige der Gemälde aus vier Jahrhunderten kulinarisch interpretierten:So komponierte Horst Petermann, Maître de Cuisine der Schweizer Kunststuben, zu Dieter Roths bräunlich-grauem Verwesungsobjekt (1969) einen soufflierten Schoko-Nuss-Pudding mit marinierten Beeren. Oder Leonard Cernko vom Moskauer Ritz-Carlton: Er sah im erbärmlich geschundenen, gehäuteten Hammel von Oskar Kokoschka Königsberger Klopse vom Lamm.
Wildhase im Blutjus
Zum Glück hat den niederländischen Koch Jonnie Boer das Jagdstillleben des Flamen Frans Snyders (um 1640) zum Wildhasen-Blutjus-Gericht angeregt, und nicht etwa Sam Taylor-Woods zweifellos großartiger Film A Little Death (2002): Dank Zeitraffer lässt das im 35-mm-Format gedrehte Werk alle Verwesungsphasen eines Feldhasen, der in der Kunstgeschichte oft als Sinnbild der Wollust verwendet wurde, binnen vier Minuten erleben. Mit den Rezepten im Katalog werde "das Kulinarische auf das Faktische heruntergebrochen", erklärt Kuratorin Heike Eipeldauer den Kniff mit den Kochlöffeln.
Aber freilich knüpfen sich daran auch ein paar ausstellungsbegleitende Aktivitäten mit namhaften Köchen, die es sicher vermögen, allerlei hungrige Prominenz anzulocken. Aber wer kann es dem Kunstforum in seiner bescheidenen Situation (beim Verkauf der Immobilie auf der Freyung durch die Uni Credit wird die Schließung befürchtet) verdenken, dass man um potente Beisteher bemüht ist. Den kleinen Marketing-Schönheitsfehler mag man aber auch aus anderen Gründen gerne verzeihen, denn Ausstellung und Katalog sind famos gemacht, die Leihgaben von erster Güte. "Wir melden uns mit Augenschmaus zurück. Die fundiert recherchierte Themenausstellung soll ein Signal sein, das Kunstforum nicht in den Wind zu schießen", bemerkt Eipeldauer mit berechtigtem Selbstbewusstsein.
Die Kapitel widmen sich der Geburt des Stilllebens, das sich anfangs noch durch christliche Szenen im Hintergrund (Pieter Aertsen) legitimierte, oder dem Stillleben als malerischem Experimentierfeld, das Meisterwerke von Cézanne, Picasso oder Manzoni zeigt. Augenmerk schenkt die Ausstellung auch dem sonst selten beachteten Aspekt des weiblich besetzten Raums im Stillleben. Dass es zu den weniger angesehenen Bildgattungen zählte, führt Eipeldauer auf die Geringschätzung "weiblicher" Tätigkeiten zurück. Der Saal offenbart erfrischende Konstraste zwischen Martha Roslers Video Semiotics of the kitchen (1975), einem frustrierten Küchen-ABC, und dem dampfenden Suppentopf der nahezu unbekannten Malerin Anne Vallayer-Coster des 18. Jahrhunderts.
Nicht hinter jedem niederländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts stecke eine tiefere Bedeutungsebene, sagt Eipeldauer, obgleich sie im Spannungsfeld zwischen Überfluss und calvinistischer Mäßigung entstanden. Symbolschwanger ist jedoch definitiv das Kapitel zur Darstellung von Fleisch: von sexuell missbrauchten Hühnerhaxen über Damien Hirsts Formaldehyd-Würsten bis zu Attersees in Polyester gebetteten 30 Gramm Kleinkind im Brathendlalter. Mahlzeit. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 09.02.2010)
Bis 30. 5.
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