Das
ist ja mal angenehm! Ein morgendlicher Interviewtermin, der nur ein
paar Schritte von meiner Wohnung stattfindet und überdies auch noch aus
einem weiteren Grund aus dem Rahmen des Üblichen fällt: Er findet
sozusagen „team- und projektintern“ statt. Die beiden Künstler Händl
Klaus und Marko Rop arbeiten nämlich am Ilgplatz gerade an einer
Installation in einer leer stehenden Wohnung, die ebenso wie meine
eigene und zwölf andere Locations im Stuwerviertel Teil eines
Theaterprojekts ist. „X Wohnungen“ ist ein Projekt des „brut Wien“
unter Federführung von Haiko Pfost, das ausnahmsweise nicht im
Theatersaal stattfindet, sondern nach einer Idee des deutschen
Dramaturgen Matthias Lilienthal an mehreren aufeinanderfolgenden
Abenden im Stadtraum.
Diesmal im Stuwerviertel im zweiten
Bezirk, einem langjährigen Lieblingsprojekt der Wiener Stadterneuerer,
das allerdings erst seit der EM 2008 langsam in Schwung kommt. Bespielt
werden dafür bewohnte und unbewohnte Wohnungen im Grätzel ebenso wie
ein Männerwohnheim und Teile des Ute-Bock-Hauses. An jedem der 14
Schauplätze findet eine künstlerische Intervention statt. Die Besucher
werden im Zehnminutentakt anhand einer Wegbeschreibung paarweise
losgeschickt, um an einem Abend jeweils sieben dieser
Interventionen zu besichtigen und zu erleben.
Das
Haus, in dem die von Händl Klaus und Marko Rop ausgesuchte
Einzimmerwohnung liegt, ist sanierungsbedürftig. Kein Einzelfall in der
Gegend, an deren Rändern – etwa am Nordbahnhofgelände, Messegelände, in
der Vorgartenstraße – seit einigen Jahren zwar vermehrt ambitionierte
Siedlungsbauten und Bürohochhäuser errichtet werden, deren
Grundstruktur aber nach wie vor von einem Mix aus gründerzeitlichen
Zinshäusern und Gemeindebauten aus den 1920er- und 1930er-Jahren
bestimmt wird. Im Stiegenhaus riecht es leicht modrig und nach Essen,
die Wände sind angekritzelt mit
Graffitis.
Ungewohnt
mischt sich darunter der Geruch von Ruß, der immer schneidender wird,
je mehr man sich der von Händl/Rop bespielten Wohnung nähert. Ruß ist
das Hauptmaterial, das die beiden für ihre Intervention ausgesucht
haben und mit dem sie die Wände, den Boden und das Fenster der kleinen
Küche zugedeckt haben. „Feuerbachstraße 5“, die Adresse des Hauses,
kommt einem in den Sinn. Zimmerbrände. Und auch, dass sich die
Hauptfeuerwache der Wiener Berufsfeuerwehr nicht einmal einen Kilometer
entfernt in der Engerthstraße befindet, was der Grund dafür ist, dass
immer wieder ganze Züge von Löschfahrzeugen mit Blaulicht durch die
nahe gelegene Ausstellungsstraße rasen.
Etwas Intimes.
„Das Format ist, die vorhandene Situation zu verstärken oder zu
verändern. Man arbeitet mit einem vorgefundenen Raum und nimmt das, was
man darin vorfindet“, beschreibt Händl Klaus den Ausgangspunkt. „Und“,
ergänzt Marko Rop, „da passiert viel Konzeptuelles. Das ist kein Raum,
den man verstehen muss. Bei der Umsetzung geht es vor allem um etwas
Intimes.“ „Und“, so Händel, „um den Prozess. Der Raum, den wir hier
schaffen, ist auf keinen Fall die Nachbildung eines Raums, der
verbrannt ist. Es ist vielmehr ein Raum der Einsamkeit. Die Frage ist
nur, wie man sich auf ihn einlässt.“ Ihm selbst ist bei der ersten
Begegnung mit dieser Wohnung eine Kindheitserinnerung hochgekommen: der
Anblick einer ausgebrannten Selcherei mit verkohlten Fleischstücken,
Brennesseln, die aus Mauerritzen wuchsen, und den Raupen von
Tagpfauenaugen, die dazwischen herumkrochen. „Ich hatte einen Schock
und konnte die Angst nicht benennen“, sagt er. „Die Idee, dass Wohnen
Schutz gewähren könnte, war für mich damit erledigt.“ In dem Sinn
symbolisiert die gemeinsame Arbeit für „X Wohnungen“ für ihn auch
„Hinterlassenschaft, ehemaliges Wohnen.“ Jetzt liegt es an den
Besuchern, ihre eigenen Erinnerungen und Geschichten einzubringen.
Etwas Unheimliches.
Mit Fantasien, Erinnerungen und Déjà-vus spielt im selben Haus eine
Etage drunter, ebenfalls in einem Leerstand, das Künstlerkollektiv „tat
ort“. Für ihre performative Installation transferieren sie die
Hinterlassenschaft einer Einzimmerwohnung, deren Mieter vor acht Jahren
spurlos verschwunden ist, 1:1 in den Hauptraum der gänzlich leer
geräumten Nachbarwohnung. Unklare Geräusche, die im Off von Performern
erzeugt werden, verleihen der Situation den Anstrich des Unheimlichen.
Bei
anderen Arbeiten wiederum sind die Bewohner und ihre Wohnsituation
selbst Impulsgeber für künstlerische Interventionen. Konstanze Hollweg
etwa, „geschiedene Witwe“ des 2002 verstorbenen Mozart-Tenors Werner
Hollweg sowie ehemalige Inspizientin bei den Salzburger Festspielen, am
Theater an der Wien und anderen Bühnen, lebt mit ihrer Schwester
Sandrina und zwei musikbegeisterten Mischlingshunden in einer
großzügigen 250-Quadratmeter-Wohnung direkt an der Venediger Au. Bei
einem Theaterprojekt mitzuwirken, bei dem ihre stilvoll eingerichtete
Wohnung quasi zur Bühne wird, ist für die passionierte Theaterlady eine
Selbstverständlichkeit, veranstaltet sie in ihrer Wohnung doch immer
wieder regelmäßige Salons, Dinners und Künstlertreffen, bei denen als
besonderes Schmankerl Mila, der singende Hund ihrer Schwester,
Mozart-Arien begleitet. Ein Aspekt, mit dem sich auch die deutsche
Regisseurin Angela Richter in ihrem Projektbeitrag auseinandersetzt.
Etwas Geheimes.
Ein drängendes Thema und Problem ist im Stuwerviertel die Prostitution.
Viele Lokale hier sind einschlägig. Am Abend tummeln sich vor allem in
der Stuwerstraße und an der Venediger Au trotz massiver Gegenmaßnahmen
seitens der Polizei Freier und Prostituierte. Es war ein Teil des
Brainstormings in der Planungsphase von „X Wohnungen“, sich mit dieser
Problematik auseinanderzusetzen. „Allerdings“, sagt Haiko Pfost, „darf
man das Rotlichtding nicht überbewerten. Es ist ein Aspekt von
mehreren. Wir wollen es nicht ausblenden, aber auch nicht einen
Voyeurismus bedienen, weswegen das Thema – etwa durch die Auswahl
bestimmter Locations – nicht explizit behandelt, sondern nur in
einzelne Aktionen eingebunden sein wird.“
Die Wiener Video- und
Performancekünstlerin Marlene Haring spielt darauf an, indem sie
zusammen mit einer befreundeten Heilmasseurin in deren Wohnung ein
„Secret Service“ nach den Wünschen des Publikums anbietet. Was von den
Besuchern gewünscht wird, darüber gibt es zwischen allen Beteiligten
ein vertraglich geregeltes Stillhalteabkommen, das selbst ein Teil der
Performance ist. Die Wohnung bleibt dabei gänzlich unverändert. „Was
hier vor sich geht, kann aufgrund des Vertrags nie öffentlich werden.
Daher ist der Vertrag ein Spielraum für viele Begebenheiten“, sagt
Haring. „Sogar für die beiden Besucher sind es zwei getrennte
Erlebnisse.“
Etwas Eigenes.
Intellektuell-spielerisch greifen Doris Dziersk und Anke Philipp das
Thema in ihrer Intervention auf. Sie haben sich entschieden, meine
umfangreiche Kunstbücherbibliothek als Material und Ausgangspunkt einer
spektakulären Inszenierung aus Büchern und Licht zu nehmen. „Wir
möchten uns aus deinen Büchern heraus dem im Viertel sehr präsenten
Thema der Prostitution nähern“, schrieben sie dazu vor einigen Tagen in
einem E-Mail. „Wir möchten deine Bibliothek nach allem durchforsten,
was mit Prostitution, Begehren, Sexualität, Körperlichkeit zu tun hat
und das gefundene Material dann in deiner Wohnung präsentieren –
vielleicht nur über aufgeschlagene Bücher, die mit Licht hervorgehoben
werden oder mit herauskopierten Bildern und Texten, die in deiner
Wohnung platziert werden.“ Bühne frei, das Reservoir der
Kunstgeschichte ist unendlich groß dafür.