DiePresse.com

DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


X Wohnungen: Türöffner des "brut Wien"

23.09.2009 | 16:45 | von Johanna Hofleitner (Die Presse - Schaufenster)

Man bekommt nicht oft die Möglichkeit, selbst Teil eines Kunstprojekts zu sein – wie bei X Wohnungen. Ein Erfahrungsbericht.

Das ist ja mal angenehm! Ein morgendlicher Interviewtermin, der nur ein paar Schritte von meiner Wohnung stattfindet und überdies auch noch aus einem weiteren Grund aus dem Rahmen des Üblichen fällt: Er findet sozusagen „team- und projektintern“ statt. Die beiden Künstler Händl Klaus und Marko Rop arbeiten nämlich am Ilgplatz gerade an einer Installation in einer leer stehenden Wohnung, die ebenso wie meine eigene und zwölf andere Locations im Stuwerviertel Teil eines Theaterprojekts ist. „X Wohnungen“ ist ein Projekt des „brut Wien“ unter Federführung von Haiko Pfost, das ausnahmsweise nicht im Theatersaal stattfindet, sondern nach einer Idee des deutschen Dramaturgen Matthias Lilienthal an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden im Stadtraum.

Diesmal im Stuwerviertel im zweiten Bezirk, einem langjährigen Lieblingsprojekt der Wiener Stadterneuerer, das allerdings erst seit der EM 2008 langsam in Schwung kommt. Bespielt werden dafür bewohnte und unbewohnte Wohnungen im Grätzel ebenso wie ein Männerwohnheim und Teile des Ute-Bock-Hauses. An jedem der 14 Schauplätze findet eine künstlerische Intervention statt. Die Besucher werden im Zehnminutentakt anhand einer Wegbeschreibung paarweise losgeschickt, um an einem Abend jeweils sieben dieser
Interventionen zu besichtigen und zu erleben.

Das Haus, in dem die von Händl Klaus und Marko Rop ausgesuchte Einzimmerwohnung liegt, ist sanierungsbedürftig. Kein Einzelfall in der Gegend, an deren Rändern – etwa am Nordbahnhofgelände, Messegelände, in der Vorgartenstraße – seit einigen Jahren zwar vermehrt ambitionierte Siedlungsbauten und Bürohochhäuser errichtet werden, deren Grundstruktur aber nach wie vor von einem Mix aus gründerzeitlichen Zinshäusern und Gemeindebauten aus den 1920er- und 1930er-Jahren bestimmt wird. Im Stiegenhaus riecht es leicht modrig und nach Essen, die Wände sind angekritzelt mit
Graffitis.

Ungewohnt mischt sich darunter der Geruch von Ruß, der immer schneidender wird, je mehr man sich der von Händl/Rop bespielten Wohnung nähert. Ruß ist das Hauptmaterial, das die beiden für ihre Intervention ausgesucht haben und mit dem sie die Wände, den Boden und das Fenster der kleinen Küche zugedeckt haben. „Feuerbachstraße 5“, die Adresse des Hauses, kommt einem in den Sinn. Zimmerbrände. Und auch, dass sich die Hauptfeuerwache der Wiener Berufsfeuerwehr nicht einmal einen Kilometer entfernt in der Engerthstraße befindet, was der Grund dafür ist, dass immer wieder ganze Züge von Löschfahrzeugen mit Blaulicht durch die nahe gelegene Ausstellungsstraße rasen.

Etwas Intimes. „Das Format ist, die vorhandene Situation zu verstärken oder zu verändern. Man arbeitet mit einem vorgefundenen Raum und nimmt das, was man darin vorfindet“, beschreibt Händl Klaus den Ausgangspunkt. „Und“, ergänzt Marko Rop, „da passiert viel Konzeptuelles. Das ist kein Raum, den man verstehen muss. Bei der Umsetzung geht es vor allem um etwas Intimes.“ „Und“, so Händel, „um den Prozess. Der Raum, den wir hier schaffen, ist auf keinen Fall die Nachbildung eines Raums, der verbrannt ist. Es ist vielmehr ein Raum der Einsamkeit. Die Frage ist nur, wie man sich auf ihn einlässt.“ Ihm selbst ist bei der ersten Begegnung mit dieser Wohnung eine Kindheitserinnerung hochgekommen: der Anblick einer ausgebrannten Selcherei mit verkohlten Fleischstücken, Brennesseln, die aus Mauerritzen wuchsen, und den Raupen von Tagpfauenaugen, die dazwischen herumkrochen. „Ich hatte einen Schock und konnte die Angst nicht benennen“, sagt er. „Die Idee, dass Wohnen Schutz gewähren könnte, war für mich damit erledigt.“ In dem Sinn symbolisiert die gemeinsame Arbeit für „X Wohnungen“ für ihn auch „Hinterlassenschaft, ehemaliges Wohnen.“ Jetzt liegt es an den Besuchern, ihre eigenen Erinnerungen und Geschichten einzubringen.

Etwas Unheimliches. Mit Fantasien, Erinnerungen und Déjà-vus spielt im selben Haus eine Etage drunter, ebenfalls in einem Leerstand, das Künstlerkollektiv „tat ort“. Für ihre performative Installation transferieren sie die Hinterlassenschaft einer Einzimmerwohnung, deren Mieter vor acht Jahren spurlos verschwunden ist, 1:1 in den Hauptraum der gänzlich leer geräumten Nachbarwohnung. Unklare Geräusche, die im Off von Performern erzeugt werden, verleihen der Situation den Anstrich des Unheimlichen.

Bei anderen Arbeiten wiederum sind die Bewohner und ihre Wohnsituation selbst Impulsgeber für künstlerische Interventionen. Konstanze Hollweg etwa, „geschiedene Witwe“ des 2002 verstorbenen Mozart-Tenors Werner Hollweg sowie ehemalige Inspizientin bei den Salzburger Festspielen, am Theater an der Wien und anderen Bühnen, lebt mit ihrer Schwester Sandrina und zwei musikbegeisterten Mischlingshunden in einer großzügigen 250-Quadratmeter-Wohnung direkt an der Venediger Au. Bei einem Theaterprojekt mitzuwirken, bei dem ihre stilvoll eingerichtete Wohnung quasi zur Bühne wird, ist für die passionierte Theaterlady eine Selbstverständlichkeit, veranstaltet sie in ihrer Wohnung doch immer wieder regelmäßige Salons, Dinners und Künstlertreffen, bei denen als besonderes Schmankerl Mila, der singende Hund ihrer Schwester, Mozart-Arien begleitet. Ein Aspekt, mit dem sich auch die deutsche
Regisseurin Angela Richter in ihrem Projektbeitrag auseinandersetzt.

Etwas Geheimes. Ein drängendes Thema und Problem ist im Stuwerviertel die Prostitution. Viele Lokale hier sind einschlägig. Am Abend tummeln sich vor allem in der Stuwerstraße und an der Venediger Au trotz massiver Gegenmaßnahmen seitens der Polizei Freier und Prostituierte. Es war ein Teil des Brainstormings in der Planungsphase von „X Wohnungen“, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. „Allerdings“, sagt Haiko Pfost, „darf man das Rotlichtding nicht überbewerten. Es ist ein Aspekt von mehreren. Wir wollen es nicht ausblenden, aber auch nicht einen Voyeurismus bedienen, weswegen das Thema – etwa durch die Auswahl bestimmter Locations – nicht explizit behandelt, sondern nur in einzelne Aktionen eingebunden sein wird.“

Die Wiener Video- und Performancekünstlerin Marlene Haring spielt darauf an, indem sie zusammen mit einer befreundeten Heilmasseurin in deren Wohnung ein „Secret Service“ nach den Wünschen des Publikums anbietet. Was von den Besuchern gewünscht wird, darüber gibt es zwischen allen Beteiligten ein vertraglich geregeltes Stillhalteabkommen, das selbst ein Teil der Performance ist. Die Wohnung bleibt dabei gänzlich unverändert. „Was hier vor sich geht, kann aufgrund des Vertrags nie öffentlich werden. Daher ist der Vertrag ein Spielraum für viele Begebenheiten“, sagt Haring. „Sogar für die beiden Besucher sind es zwei getrennte Erlebnisse.“

Etwas Eigenes. Intellektuell-spielerisch greifen Doris Dziersk und Anke Philipp das Thema in ihrer Intervention auf. Sie haben sich entschieden, meine umfangreiche Kunstbücherbibliothek als Material und Ausgangspunkt einer spektakulären Inszenierung aus Büchern und Licht zu nehmen. „Wir möchten uns aus deinen Büchern heraus dem im Viertel sehr präsenten Thema der Prostitution nähern“, schrieben sie dazu vor einigen Tagen in einem E-Mail. „Wir möchten deine Bibliothek nach allem durchforsten, was mit Prostitution, Begehren, Sexualität, Körperlichkeit zu tun hat und das gefundene Material dann in deiner Wohnung präsentieren – vielleicht nur über aufgeschlagene Bücher, die mit Licht hervorgehoben werden oder mit herauskopierten Bildern und Texten, die in deiner Wohnung platziert werden.“ Bühne frei, das Reservoir der Kunstgeschichte ist unendlich groß dafür.




© DiePresse.com