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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
16. Juni 2006
12:01 MESZ
Von Anne Katrin Feßler


"Prag 06. Innenansicht"
nur noch bis 10. Juni
im Kunstraum Niederösterreich
1., Herrengasse 13
Di, Mi, Fr 11-19, Do 11-20, Sa 11-15 Uhr

Nächste Ausstellung
ab 20. Juni
"Römerquelle Editorial Award"
Der Preis wird heuer erstmals im Rahmen des 6 festival for fashion, music & photopgraphy von Römerquelle und Unit F büro für mode vergeben Gezeigt werden die besten, unveröffentlichten Editorials von zehn jungen KünstlerInnen.  
© Foto: Martin Polak, 2005
Das perfekte Requisit für Michael Moores "Fahrenheit 9/11": Jan Jakub Kotiks "Houses of the Holy" (2005)

© Foto: Michaela Thelenová
Witzige und kritische Bildhinterfragungen von Michaela Thelenová: "Satelite - Alaska" (2002-2003)

Invasion der Wohnzimmer - Oder: Das "Bush Family"-Möbel
"Prag 06. Innenansicht" zeigt, wie Politik und Konsum nach der Wende die Intimität des Priva­ten durchdrang - Kunst­raum Niederösterreich

Wien – Ganz sicher: er würde es lieben. Dieses – nennen wir es einfach "Bush Family"-Möbel – wäre das perfekte Requisit für Michael Moores "Fahrenheit 9/11" gewesen. Ein im Masstab 1:1 gefertigtes Cruise Missile im textilen Gewand eines bürgerlichen Oberschicht-Sofas, auf geschwungenen Empire-Füßen und mit allerlei altenglischen Jagd-Szenen, Symbolen "zivilisierter" Gewalt", bedruckt. Rittlings darauf sitzend, das phallische Rohr des Marschflugkörpers zwischen den Knien, hätte uns der Regisseur aus Flint, Michigan, dann die Wahrheit über die finanziellen Profiteure des Irak-Kriegs erzählt...

Aber zum einen ist Michael Moore in seinen Dokumentarfilmen kein Sofahocker, sondern hechtet ganz im Gegenteil schon mal einem Abgeordneten vor dem Kapitol hinterher. Und zum anderen entstand "Houses of the Holy" von Jan Jakub Kotík 2005, also ein Jahr nach dem Film. Trotzdem: irgendwie schade.

Das Private: Ort des letzten Widerstands

Kotiks vieldeutiges Wohnzimmer-Inventar verdeutlicht, ebenso wie die Arbeiten von acht weiteren Künstlern aus Prag, wie das Politische und viel mehr noch die Konsumwelt als "Invasion" ins Private drängte. "Prag 06. Innenansicht", heißt daher die von Alberto di Stefano kuratierte Ausstellung, die das Bild des persönlichen Lebensbereichs auf verschiedenste Weise deutet: Als letztes Rückzugsgebiet des Intimen etwa oder gar als Ort des letzten Widerstands des Individuums gegen äußere gesellschaftliche und politische Einflüsse.

Die Trennung von Privaten und Öffentlichen ist im Falle Tschechiens auch eine Art Spezifikum. Denn, so di Stefano, Leiter des Prager Galerieprojekts Futura im Katalog, "sogar in der Zeit des Kommunismus gab es eine stillschweigende Übereinkunft, nach der es möglich war, Propaganda und Ideologie aus den eigenen vier Wänden auszusperren."

"Prag 06" will zeigen wie die "Generation zwischen den Stühlen", also genau jene heute 25- bis 35-jährigen KünstlerInnen, die bereits vor der Wende in die Schule gingen und den beginnenden Kapitalismus bis zur einsetzenden Globalisierung bewusst miterlebt haben, dieses Eindringen von Konsum und Medien erlebt haben. Mit humoriger und (selbst-)ironischer Leichtigkeit spiegeln die versammelten Arbeiten die Veränderungen ihrer Lebenswelt wieder. Auch dort wo es nostalgisch wird, bleibt die Ausstellung stimmig und keinesfalls kitschig.

Seelenstriptease zwischen Gemüse- und Eisfach

So öffnet uns Tereza P. Velíková die Kühlschränke ihrer Studienkollegen: Butter, Fleisch, Milch in verschieden Frischegraden - ein Seelenstriptease zwischen Gemüse- und Eisfach. Zeig mir deinen Eiskasten und ich sag dir wer du bist - oder aber wo du keinesfalls deinen Lieblingskäse lagern möchtest. Ebenso nutzt Veliková Found Footage aus der stilisierten, gefühlsschwangeren TV-Werbewelt um daraus filmische "True Storys" zu montieren. Jan Nalevka agiert ähnlich: Die Sonderangebote der Hyper-Supermärkten schneidet er zu einen unwiderstehlichen mit sentimentaler Musik unterlegten Filmabspann zusammen, der selbst die 'Schmutzwasser-Tauchpumpe 550 Watt' zu einem begehrlichen Objekt erhebt.

Daneben hinterfragt Michaela Thelenová den Wahrheits- und Vertrauensgehalt medial erzeugter Bilder, indem sie in ihren Ditpychen Satellitenbilder mit Hilfe von Alltagsmaterialien - Lebensmittel, Stoff oder Spielzeug - imitiert: Einmal ist es tatsächlich Alaska, einmal jedoch nur ein fettdurchzogenens Stück rohen Fleisches, dekoriert mit buntem Stickgarn.

Die infantile Faszination der westlichen Warenwelt führt Jan Kadlecs mit seinem "Mc Bed" vor. Kopf und Füße zwischen zwei gelbe Leuchtschriftbuchstaben gebettet, könnte sich der reale Konsumtraum bald als unerbittlicher Nightmare entpuppen. Fluchtalternativen bieten da die Räume der Erinnerung, die Eugenio Percossi Schwarz-Weiß-Fotos aus den Dreißiger Jahren nachempfindet: Die vollkommene Farblosigkeit der kargen Interieurs verdeutlicht aber nur einmal mehr die Unmöglichkeit, Vergangenes festzuhalten. Auch Illusionen unterliegen der Vergänglichkeit.


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