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24.08.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Wie in der Trance eines Tanzes
VON MICHAELA SCHLÖGL
Ausstellung in Amsterdam. Das Van-Gogh-Museum zeigt den Künstler als Zeichner.

A
uf der Museumsmeile in Amster dam, unweit des durch eine Gene ralsanierung zum Teil verwaisten Rijksmuseums, lockt derzeit eine Sonderschau die Massen ins Van-Gogh-Museum. In Kooperation mit dem New Yorker Metropolitan Museum of Art werden an die hundert Zeichnungen des Künstlers präsentiert, der nicht als Meister der subtilen Federstriche, sondern als Genius bis dahin nicht da gewesener Farborgien in Öl auf Leinwand ins Bewusstsein der Welt einging.

Das Besondere an der Präsentation des "anderen" Van Gogh, des lernbegierigen Zeichners: Viele der Blätter, die internationalen öffentlichen und privaten Sammlungen entstammen, müssen wegen ihrer extremen Lichtempfindlichkeit meist unter Verschluss gehalten werden.

Seit 1880 hatte sich der damals 27-jährige Vincent van Gogh verstärkt dem Zeichnen gewidmet, einer Gattung, die er nie nur als Vorstadium oder Exerzierfeld für das Ölmalen, sondern als ein eigenständiges Genre sah. Frühe Blätter zeugen von seinem eingehenden Studium der Perspektive, Landschaften scheinen in extremer Weise Tiefenwirkung zu provozieren.

Die Schau zeigt nicht nur fertige Blätter und stellt diese Zeichenblätter den selben Sujets in Öl gegenüber, sondern lässt den Besucher auch am Entstehungsprozess teilhaben: Skizzenbücher erwachen dank Computeranimation zum Leben und  entblättern  Studie für Studie, Blatt für Blatt das Ringen um grafische Wiedergabe. Briefe des Künstlers vervollständigen das Sich-Hineinleben des Besuchers in die Künstlerpersönlichkeit.

Van Goghs Lebensweg war serpentinenhaft geschlungen, gekennzeichnet von frühen Selbstzweifeln, als er seinen Lebensunterhalt noch als Kunst- und Buchhändler fristete und auch Prediger war. Sein unstetes Reiseleben führte ihn von Paris nach Arles, schließlich in das unvergleichliche Mal-Licht Südfrankreichs. Seine Selbstkritik konnte auch in Euphorie umschlagen, als er im  gelben Haus  ein  Studio des Südens, gleichsam als Künstlerkolonie, erträumte. Der lang ersehnte Besuch seines Malerfreundes Paul Gauguin endete in einem Streit, der in der Selbstverstümmelung Van Goghs am Ohr eskalierte.

Hatte der Künstler noch in Den Haag vornehmlich Stadtansichten zu Papier gebracht, so war er mehr und mehr vom Menschen als Sujet fasziniert. Er malte Weber, Bauern, einfache Menschen. Eine Phase intensiven Aktzeichnens endete, als man ihn öffentlich an den Pranger stellte, weil ein Modell angeblich von ihm schwanger geworden sein soll. Zeitlebens nahm er als Künstler Maß an anderen Künstlern. Van Gogh wurde nicht müde, deren technische Fertigkeiten zu studieren. Als er fand, dass es seinen Figuren an der nötigen Plastizität mangelte, vertiefte er sich intensiv in die Kunst von Eugène Delacroix.

Weil die nervlichen Beschwerden, von einer speziellen Art der Epilepsie noch verstärkt, unerträglich wurden, begab er sich freiwillig in eine Klinik in Saint Rémy. Zeichnungen, die innerhalb der Anstaltsmauern (Van Gogh durfte die Klinik nicht verlassen) entstanden, geben in besonders ausdrucksstarker Form Bäume, Wiese, Brunnen und Zaun wieder, die sich wie in Trance in Tanzbewegungen zu wiegen scheinen. Jenseits der Mauer konnte der Künstler den Wandel der Jahreszeiten am wechselnden Farbenspiel der Felder beobachten. Auch hier stellt die Schau in beeindruckender Weise dasselbe Feldsujet in grafischer der Malversion gegenüber.

Als Van Gogh vor 115 Jahren, am 27. Juli 1890, durch eigene Hand starb, hatte er ein vielfältiges zeichnerisches OEuvre hinterlassen, das manchmal an ornamental geordnete klimtsche Blumenorgien erinnert, Kaffeehausleben in großzügig genialen Strichen einfängt und Landschaften in fein gegitterten Mustern abstrahiert.

(Die Ausstellung ist bis 18. 9. zu sehen)

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