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Indien zwischen Konzeptkunst und Tradition

25.11.2010 | 18:23 | von Sabine B. Vogel (Die Presse)

Ausstellungen in Linz und Klosterneuburg werfen einen Blick auf zeitgenössische indische Kunst. Die deckt ein breites Spektrum ab, es reicht von der Vielschichtigkeit des Landes bis zum politischen Protest.

Wenn ich die Schuld auf dich schieben kann, dann fühl ich mich richtig gut. Darum geb ich dir Schuld an allem, was du nicht ändern kannst: deiner Religion, deiner Staatszugehörigkeit. Ich will dir Schuld geben. Dann geht's mir gut.“ Dieser Text stand auf einem Plakat, das Shilpa Gupta in Indien und Pakistan affichieren ließ. Die junge indische Künstlerin reagierte damit auf eine Situation, in der immer heftiger zum Hass aufgestachelt und die Gräben immer tiefer gezogen wurden. Das Plakat warb für kleine Fläschchen, die mit einem roten, an Blut erinnernden Inhalt gefüllt waren. Auf dem Etikett stand der Markenname: „Blame“. Jetzt sind die vielen „Vorwurf“-Flaschen im OK Centrum in Linz ausgestellt, aufgereiht auf Regalen. Zwar ist der Haupteinfluss von Guptas Arbeiten ihr soziales Umfeld, die Stadt Bombay (Mumbai) mit der hohen Migration, oder auch politische Eckpfeiler wie die Zerstörung der Babri-Moschee 1992 durch eine gezielte Aktion der rechtsgerichteten Partei BJP. Aber diese Flaschen mit der Aufforderung, das Blut nach Rasse und Religion zu ordnen, können ebenso in unserem kulturellen Kontext verstanden werden.

 

Shilpa Gupta im OK Centrum

Genau diese Anschlussfähigkeit ist es auch, die das Werk der 1976 geborenen Künstlerin weltweit so erfolgreich werden lässt. In ihrer ersten großen Ausstellung in Österreich sind jetzt vierzehn ihrer Fotografien, interaktiven Installationen und Skulpturen zu sehen. Mit extrem reduzierten Materialien wie Mikrofonen, den mit „No Border“ bedruckten Absperrbändern oder Seife reagiert sie auf konkrete Momente unserer Zeit, auf die zunehmende Gewalt und Gewaltbereitschaft bis hin zum Terror. Im Zusammenspiel von fragilem Material und massiver Form geht sie über tagesaktuelle Bezüge weit hinaus: wenn sie etwa im OK Centrum Hunderte von Seifenstücken zu einer Mauer auftürmt. Jeder Seifen-Ziegel ist mit dem Wort „Threat“ bedruckt. Die ersten 4500 Besucher der Ausstellung dürfen eines der Objekte mitnehmen – die Wand der „Bedrohung“ damit abbauen und Stück für Stück wegwaschen.

 

34 Künstler im Essl Museum

Über der gesamten Ausstellung schwebt ein aggressiver Lärm, der von einem massiven, eisernen Tor stammt, das wieder und wieder gegen eine Wand knallt. Die zwischen die Gitterstäbe eingeklemmte Form bohrt sich dabei immer tiefer in die Wand hinein. Dieser Körper erinnert an die Landesgrenzen von Kaschmir, könnte aber auch eine Form sein, die „bloß die menschliche Hoffnung auf Freiheit oder eine Begierde“ ist, „die alle Grenzen übersteigt, die um sie gelegt werden im Namen von Religion, Gender, Nation“, so Shilpa Gupta.

Mit ihren hochpolitischen und zugleich poetischen Werken gehört Gupta zu den wichtigsten Künstlern der jüngeren Generation in Indien. Wie weit das Spektrum der Kunst auf dem Subkontinent reicht, zeigt zeitgleich das Essl Museum in Klosterneuburg mit „India Awakens“. Waren letztes Jahr mit „Chalo! India“ bekannte Künstler wie Jitish Kallat oder Bharti Kher ausgestellt, sind jetzt 34 zumeist unbekannte Vertreter indischer Kunst zu sehen. Die indische Gastkuratorin Alka Pande möchte uns die kulturelle Vielschichtigkeit ihres Landes zeigen, das urbane wie das ländliche, das spirituelle wie das traditionelle Indien. Anders als in Linz erkennen wir hier durch die zahlreichen religiösen Verweise, traditionellen Techniken und Materialien sofort den Kontext Indien.

Denn im Gegensatz zu Shilpa Guptas Ausstellung dominiert in „India Awakens“ eine deutliche „Indishness“. Dieser Begriff wird oft im Zusammenhang mit dem indischen Kunstmarkt gebraucht. Anders als in China ist in den 1990er-Jahren in Indien ein florierender Kunstbinnenmarkt entstanden. Zwar sind mittlerweile die beiden großen englischen Sammlungen Saatchi und Frank Cohen in diesen Markt eingestiegen. Aber die meisten Käufer sind nach wie vor Auslandsinder, die auf den Online-Auktionen die Preise hochtreiben mit ihrem Wunsch, auf diese Weise ein Stück Heimat zu erwerben, mithilfe von Kunstwerken ihre ethnische Identität zu bestärken. Gefragt sind darum auch vor allem jene Werke, die durch Rückgriffe auf Tradition und Handwerk, auf religiöse Figuren und ethnische Objekte visuell klar in der indischen Kultur verwurzelt sind.

Diese „Indishness“ wirkt auf uns leicht befremdlich und kann in einigen Werken wie etwa bei Mahua Sen zu Verwirrung führen. In ihren Bildern platziert sie in diese typischen Ultraschallbilder des weiblichen Uterus drei indische Stereotype: den Yogi, die hockende Frau, die gerade Brot bäckt, und das Kind, das ein Gefäß auf dem Kopf balanciert.

Steht hier die Frage zur Debatte, ob die Klischee-belastete „Indishness“ bereits im Mutterbauch beginnt? Nein. Im Gegenteil. Die Malerin fragt nach der Quelle der Schöpfung, nach Gott, nach unserem Wissen über unseren Ursprung. Die uns so geläufige kritische Selbstbespiegelung – und das wird auch in Shilpa Guptas Linzer Ausstellung deutlich – gehört nicht zum Repertoire der indischen Kunst. Stattdessen sehen wir Bilder, die von einer Gesellschaft im Wandel erzählen und dabei immer auf die kulturellen Wurzeln verweisen. Gerade in diesen beiden so unterschiedlichen Ausstellungen in Linz und Klosterneuburg wird dabei deutlich, zu welcher Vielschichtigkeit dieses Spannungsfeld zwischen der Tradition und dem Heute in der Kunst führt.


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