DiePresse.com | Kultur | News | Artikel DruckenArtikel drucken


Fotografie: Nicht jedes Auge sieht

04.04.2008 | 13:51 | Interview: Christina Böck (Die Presse - Schaufenster)

Er aber hat den berühmten Blick für den richtigen Moment: Erich Lessing ist nicht nur in einer Magnum-Schau in Wien vertreten. Zwei weitere Ausstellungen sind dem Doyen der österreichischen Fotografie heuer noch gewidmet.

Eine kleine Sensation brachte eine Kellerräumung im französischen Kulturinstitut in Innsbruck vor ein paar Jahren. Da lagerte nämlich unerkannt seit 50 Jahren die früheste Gruppen-Ausstellung der berühmten Fotoagentur Magnum. Die Wiener Galerie Westlicht zeigt sie nun – mit Bildern von den Fotolegenden Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Inge Morath, Ernst Haas, Jean Marquis, Werner Bischof, Marc Riboud und Erich Lessing. Letzterer kann sich an diese Ausstellung zwar nicht erinnern, dafür aber an sehr viel anderes ...

Wie ist diese Ausstellung aufgetaucht?


Bei mir hat das Telefon geläutet und jemand hat gesagt, sie haben jetzt im Keller zwei Kisten mit Fotos gefunden. Ich hab nicht die geringste Erinnerung. Aber niemand hat an diese Ausstellung die geringste Erinnerung. Ich finde es sehr interessant, dass man eine komplette Ausstellung, die 50 Jahre alt ist, findet. Heute würden wir natürlich ganz andere Bilder aussuchen. Bei meinen sind drei, vier dabei, an die erinnere ich mich überhaupt nicht. Nach 50 Jahren bekommt man eine andere Sicht auf die Zeit damals. Das ist das, was mich an der digitalen Fotografie so beunruhigt. „Delete“ ist das große Schlagwort. Aufgehoben wird nur das, was ich heute brauche. Morgen wird’s vielleicht schon gelöscht, weil ich‘s nicht mehr brauche. Beim Karajan hab ich damals 33 Filme gemacht, also circa 1000 Aufnahmen, für das Buch haben wir 150 ausgesucht. Die Negative waren im Kühlraum und sind heute noch genauso gut wie vor 50 Jahren. Bei einem Fotografen, der heute digital fotografiert, der hat vielleicht sogar 2000 Bilder gemacht, aber aufgehoben hat er in 50 Jahren dann fünf oder sechs. Wir werden bald einen Dokumentationsnotstand haben, weil nichts da sein wird.

War Magnum damals die Elite, als die sie heute erscheint?


1951–52 sollte ich eine Reportage über Deutschland machen. Da hab ich bei der Münchner Illustrierten angerufen, und der Chefredakteur sagt: „Ah, der Herr vom Herrenreiterclub“. Da hab ich mir in einem Kostümgeschäft einen Chapeau Claque ausgeborgt und weiße Handschuhe und bin so erschienen. Wir waren vielleicht eine Elite, ich will nicht sagen in unserer Präpotenz, aber in unserer Überzeugung. Und in der von Capa geschaffenen Idee Magnums, dass wir unsere Auffassung der Reportagen durchsetzen, dass wir unsere Texte schreiben oder wenigstens die Texte kontrollieren – ob sie mit unserer Grundhaltung übereinstimmen. Ich bin sicher zum Teil deshalb dazugekommen, weil ich 1950 die erste Sitzung des Europarats in Straßburg fotografiert habe. Ich hab mir dann den Text näher angeschaut und kam drauf, dass der Schreiber sehr deutschnational, anti-europäisch war, der wollte die Idee Europa gar nicht, während ich sehr dafür war. Da hab ich gesagt, das erscheint nicht, meine Stimme ging von zwei auf zehn Dezibel, bis meine Geschichte so erschienen ist, wie ich es wollte. Dann fuhr ich nach Paris zu Magnum – Ernst Haas und Inge Morath waren schon da – und kam in genau dieselbe Atmosphäre.

Was macht den Mythos Magnum heute noch aus?

Wahrscheinlich diese Unabhängigkeit und dass darunter ein paar Wegbereiter der Fotografie waren. Ich gehöre zur zweiten Generation, die erste Generation, Robert
Capa, David Seymour, Henri Cartier-Bresson, war sicher in Stil sowie Auffassung der Reportage sehr unterschiedlich, aber in der Qualität ihrer Arbeit einmalig. Capa ist jetzt mehr als 50 Jahre tot und immer noch ein Mythos, ein Symbol. Ernst Haas, der wohl am unbekanntesten in Österreich ist, hat in der Reportage die Bewegung erstmals versucht auszuführen und dann auch einen ganz neuen Weg in der Farbfotografie vorgezeichnet. Dieses Schöpferische ist auch heute noch da. Wenn die Magnum-Fotografie bei Martin Parr das Gegenteil geworden ist, ist doch hier wieder eine neue Schöpfung des Zugangs zum Menschen da. Nach 50 Jahren Magnum zeigt sich, dass die Gruppe noch immer lebendig ist.

Aber die Umstände haben sich geändert ...


Die ganze Epoche der Reportage ist zu Ende: 1947–48, wie ich begonnen habe, gab es im deutschsprachigen Raum 15 Wochenzeitungen. Da gab es einen französischen Agenten, der hatte zwei riesige Koffer, mit denen kam er jede Woche aus Paris, die waren voll mit Bildern, da haben sich die Redakteure draufgestürzt. Vorbei. Es beginnt langsam wieder in den Zeitungsbeilagen.

Wie kommt man zum richtigen Moment?

Spaßig war‘s, wie ich bei den großen Konferenzen fotografiert und mich dort positioniert habe, wo die anderen nicht waren. Das war fast immer der richtige Moment. Da gibt es das heute noch klassische Bild von de Gaulle in Algerien, wo ich von oben runter fotografiert habe, das hat niemand anderer. Da wo alle stehen, das ist nix. Aber das geht heute nicht mehr. Die Sicherheitsmaßnahmen sind so groß. Das Porträt oder Ereignis aus dem Moment he-raus, da kommen Sie nicht mehr nahe genug ran.

Das ist überhaupt ein Problem, dass die Porträtierten so viel mitreden wollen heute ...

Das Recht am eigenen Bild wird uns noch furchtbare Sachen bescheren: Wenn Sie auf der Straße ein Bild machen in Amerika, müssten Sie ununterbrochen vorher fragen, ob der und der damit einverstanden ist.

Sie haben sich immer dagegen gewehrt, dass Sie Fotografie als Kunst machen.

Fotografie ist ein Handwerk. Wir sind von der Kamera abhängig wie der Maler vom Pinsel. Es ist ein kompliziertes Handwerk. Nicht jedes Auge sieht. Schauen muss man lernen, das Auge kann man trainieren. Ob das eine Kunst ist, will ich dahingestellt lassen, aber es ist wichtig. Schauen ist etwas sehr Aufregendes. Und ob Sie jetzt schauen in einem Museum oder im täglichen Leben ist egal.

Sie haben abenteuerliche Kunstfotografien gemacht – unter anderem mit Kopernikus‘ Manuskript ...


Wenn ich heute zu einem Museumsdirektor gehe und sage: „Wir machen eine Reportage, und Sie haben das Manuskript vom Kopernikus, wo die Sonne zum ersten Mal im Mittelpunkt ist, kann ich mir das ausborgen?“, dann wird er die Polizei rufen und sagen, ich hab da einen Narren ... Als ich das damals in Krakau gemacht habe, sagte der Direktor: Eine schöne Idee, ich kann ihnen zwar das Manuskript geben, aber ich muss jetzt weg. Ich hab zwei Tage mit dem Manuskript unterm Kopfpolster geschlafen und mich nicht aus dem Hotel getraut. 1960 war ich mit dem Kardinal Wojtyla in Krakau, mit US-Studenten, der wollte ihnen das Manuskript zeigen, da lag das unter einem Glassturz, und daneben saß ein Soldat mit einem Gewehr. Und wieder ein paar Jahre später konnte man nur mehr das Faksimile sehen, das Original war im Tresor. Und ich bin damals damit in Krakau spazieren gefahren!

Wie war‘s mit Herbert von Karajan?

Alle Leute haben mich vor ihm gewarnt, und das hat alles nicht gestimmt. Er war ein sehr zurückgezogener, fast autistischer Mensch. Ein sehr angenehmes Arbeitsverhältnis, das mit ein bissl Höflichkeit leicht herzustellen war. Es gibt ein Bild, wo er von der Balustrade in den Orchestergraben herunterspringt – und er hat genau geschaut, wo ich gestanden bin. Er ist sicher nicht oft heruntergesprungen, und er ist sicher nie heruntergesprungen, wenn kein Fotograf im richtigen Moment am richtigen Platz wäre. Er hat genau gewusst, was er tut. Wir haben in der Zeit keine zehn Worte gewechselt, ich war eben da. Ich durfte neben ihm sitzen während des Konzerts. Er hat genau gewusst, ich mach nicht klick im Pianissimo, ich habe genau gewusst, wann das Fortissimo kommt. Dieses Vertrauen haben wir am ersten Tag etabliert. Ich hab kein romantisches Stück ausgesucht, sondern eins, das laut war. Fidelio geht sehr gut, Wagner besonders. Da kann ich draufdrücken und es hört keiner. Schubert ist schon komplizierter. Alle haben erzählt, dass er Fotografen ohrfeigt – angeblich, weil er in der Konzentration vor dem Konzert angeblitzt wurde. Ich habe gesagt, da wär ich auch ausgerastet.

Ein Paparazzo-Vorläufer?


Da sind wir mittendrin im Paparazzo. Nicht denken, nur schnell schießen. Wir haben dasselbe gehabt bei der ungarischen Revolution, wo ein Fotograf für einige Tote verantwortlich war. Der hat geblitzt, die Ungarn dachten, man schießt auf sie und haben zurückgeschossen.

In der Bilderflut mit Handykameras et cetera geht der langsame Blick, wie Sie es nennen, verloren ...

Meine Angst ist, dass das Bedeutende mit dem weniger Bedeutenden gelöscht wird. Dass zu wenig aus unserer Zeit übrig bleibt.

Wo würden Sie sich denn heuer bei der EM zum Fotografieren hinstellen?


Das geht nicht mehr, sie können nicht mehr neben dem Tor sitzen. Ich würde vielleicht gar nicht den Rasen, sondern Zuschauer fotografieren. Aber natürlich, wenn dann so einmalige Sachen passieren, wie der Kopfstoß vom Zidane, dann wär‘s schon besser, wenn man dort wäre ...


© DiePresse.com