Warum eigentlich wird im Programm von steirischer herbst angegeben, aus welchen Komponenten die Veranstaltung besteht? Beim „Tempel der Vernunft“ zur Eröffnung steht zum Beispiel: „43,3% Suchen und Finden, 20% Fest, 19,7% Erkenntnis, 17% Sehen und gesehen werden“. Was erwartet einen also, wenn „ein krisengeschütteltes Gesamtkunstwerk“ von raumlaborberlin, Theater im Bahnhof und herbst verheißen wird?
Kaup-Hasler: „Eben all das ist an diesem Abend zu erwarten, in einem Tempel, der erwandert werden kann, zum Schauen, Lernen und Staunen einlädt und dessen ,Priester‘ sich spielerisch dem Begriff der Vernunft annehmen. Die Prozentangaben sind ironische Etikettierung, aber auch Vermittlung. In einer Kunstwelt, in welcher die Grenzen zwischen den Sparten zunehmend verschwimmen, möchten wir damit dem Publikum den Zugang erleichtern. Und unsere Erfahrungen zeigen, dass die Besucher dankbar für diesen Leitfaden sind.“
Kaup-Hasler wird vom 24. September bis 18.Oktober ihr viertes Programm präsentieren. Hat sie schon ein Gefühl für die Grazer Kulturen und Subkulturen entwickelt? „Das Publikum ist immer wieder neu zu gewinnen. Eine Grundvoraussetzung bleibt die Neugier, neue Tendenzen aufzuspüren – sei es hier vor Ort oder international. Wir wollen nicht bestehende Produktionen übernehmen, sondern vor allem neue Arbeiten entstehen lassen. Vieles ist noch, selbst bei Vorliegen des Programms, im Werden. Hätte ich ein Einkaufsfestival, würde ich anders damit umgehen. Wir leisten uns den Luxus, interdisziplinär und prozessorientiert zu arbeiten.“
Angst vor zu viel Gewohnheit hat sie nicht: „Routine gibt auch einen Zugewinn an Kenntnis, wir aber beginnen jedes Jahr neu. Die Uhr wird auf null zurückgestellt. Wir arbeiten partnerschaftlich, aber ich mache es uns und den Partnern in der Stadt nicht leicht. Wenn die Interessen zu divergent sind, arbeiten wir eben mal nicht zusammen. Das gehört zu den Konsequenzen unseres Profils. Bei rund 250 Veranstaltungen gibt es jedoch genügend Vielfalt.“ Kaup-Hasler zu ihrem persönlichen herbst-Marathon: „Ich sehe mir alles an. Das ist selbstverständlich. Wir planen auch so, dass man alles erleben kann – Energie und Neugierde vorausgesetzt. Das positive Feedback in der internationalen Berichterstattung, vor allem der Fachpresse, und eine Auslastung von 94,6 Prozent sind eine schöne Bestätigung.“
Mehr Musiktheater. Für die nächsten fünf Jahre verhandelt die
Intendantin einen neuen Finanzierungsvertrag. „Das Festival ist seit
vielen Jahren unterdotiert. Wir müssen mit einem immer größeren Spagat
zwischen organisatorischen Kosten und dem Programmbudget umgehen und
setzen sehr stark auf internationale Netzwerke. Dennoch fehlt uns bei
einem Budget von 3,6 Millionen in Summe eine Million, wenn wir auch
weiterhin den Anspruch erheben wollen, ein produzierendes Festival zu
sein.“
Auf der Wunschliste: Mehr Möglichkeiten beim zeitgenössischen Musiktheater und in der bildenden Kunst. „Dazu bräuchte man aber das Doppelte an Geld. Wir machen ein gutes Festival, für derartige Marksteine wäre aber noch einiges an Zusatzmitteln nötig.“ Ein Markstein für dieses Jahr sei „Utopie und Monument“, eine Ausstellung im öffentlichen Raum, kuratiert von Sabine Breitwieser. Rimini Protokoll werden mit „Radio Muezzin“ ein wichtiges Zeichen für einen differenzierteren Umgang mit dem Islam setzen. „Pflichttermine sind auch die Uraufführungen von Olga Neuwirth und Bernhard Gander beim musikprotokoll. Und ich freue mich auf die österreichische Erstaufführung von Federico Leóns ,Yo en el futuro‘: 33% Theater, 33% Kino, 33% Zeitreise.“
Telefon: (0316)823007 steirischer herbst / Corn
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