22.06.2001
01:05 MEZ
Die Stunde des "Monsters"
Ende der Geiselhaft? Wolfgang Kos erinnert an den Leseturm
Foto: APA/AFP/Kazuhiro Nogi
Der Leseturm aus der Sicht seiner (ehemaligen?) Kritiker: "Seine Abwesenheit macht ihn präsenter denn je." 
 
Wolfgang Kos, der Autor dieses "Kommentars der Anderen", ist Radiojournalist und Kulturhistoriker.


Vor zweieinhalb Jahren habe ich an dieser Stelle den "Leseturm" zurückgefordert. Das Echo war freundlich bis genervt. Ich konnte mich wahlweise als Don Quichotte oder als Romantiker fühlen.

Die langjährige Geiselnahme des Projekts Museumsquartier durch das Kartell Meinungsmacht & Machterhaltung ("Nein zu Monstern!") mit ritueller Kappung des Turms als Unterwerfungsgeste hatte gleich mehrere Generationen von Offensivdenkern des Projekts mürbe gemacht. Als endlich doch gebaut wurde, waren die Pragmatiker unter sich und wollten von der Turmfrage nicht mehr gestört werden ("Psst, sonst geht's wieder los ..."). Dieses ängstliche Sich-Ducken könnte für das MQ zum Problem werden - blickökonomisch und stadtpsychologisch. Deshalb sei, knapp vor Inbetriebnahme, nochmals die Hoffnung auf Fertigstellung formuliert.

Fertigstellung heißt: Mit Turm, mit freiem Spielbein, mit vertikaler Geste als Dialog zum Draußen. Momentan haben wir es mit einem eingezwängten Kulturbezirk zu tun, bei dem alles, war für Zeitgenossenschaft steht, hinter einem barocken "Bauzaun" verborgen bleibt. Frisch gefärbelte Symmetrie mit 44 Sprossen-und 8 Gitterfenstern und ein paar diskreten Eingängen.

Wer vorbeifährt, bekommt keinen Schimmer, dass dahinter Österreichs größter Kulturbau seit Kaisers Zeiten entstanden ist. Erst vom Ring aus erkennen Insider unter den Dachlinienlesern, wo die Schnittstelle zwischen Vorrecht des Altbestands und Disziplinierung des Neuen liegt. Die Architekten haben, nachdem die "Aufsprengung" des hermetischen Areals verhindert wurde, auf die implodierten Verhältnisse reagiert und die einzelnen Baukörper zu intensivieren versucht. Der Turm als Balancefaktor und Attraktor ist nach wie vor mitgedacht, nicht nur von Ortner & Ortner. Seine Abwesenheit macht ihn präsenter denn je.

Alle, die sich abstrudeln, das Museumsquartier lokal und international zu positionieren, spüren das Fehlen des Kommunikationsfaktors Turm. MQ-Koordinator Wolfgang Waldner sagte es öffentlich, just bei einer Veranstaltung mit dem PR-Chef der Tate Modern, die auf Anhieb zum Welthit wurde - auch weil dort das Signal des Neuen weiträumig und stark in die Londoner City strahlen kann. Immer öfter trifft man Leute, auch solche aus der Innenzone von Macht & Meinung, die halblaut über eine Nachbestellung des Turms nachdenken - und sei es nur aus Marketingdenken.

Die Zeit der Geiselhaft ist vorbei, die Normalität des Außergewöhnlichen könnte endlich beginnen. Es gehe beim Museumsquartier, so Laurids Ortner 1995, auch um "die Darstellung des Staates als intelligente Gesellschaftsform mit einem dreidimensionalen Outfit". Der Turm ist offenbar längst konsensfähig. Es ist eine Frage demokratischer Intelligenz und kulturpolitischer Stringenz, das fast greifbare Wissen um seine Notwendigkeit in konkretes Bauen umzusetzen. Es wäre nicht gut, würde dem MQ auf Dauer das Gespenst des wehleidigen Nachjammerns die freie Sicht nehmen. Der Bauplatz ist reserviert, die Widmung intakt.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 5. 2001)


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