|
Der Leseturm aus der Sicht seiner
(ehemaligen?) Kritiker: "Seine Abwesenheit macht ihn präsenter denn
je." |
|
Wolfgang Kos, der
Autor dieses "Kommentars der Anderen", ist
Radiojournalist und Kulturhistoriker.
| |
| |
Vor zweieinhalb Jahren habe ich an dieser
Stelle den "Leseturm" zurückgefordert. Das Echo war freundlich bis
genervt. Ich konnte mich wahlweise als Don Quichotte oder als Romantiker
fühlen.
Die langjährige Geiselnahme des Projekts Museumsquartier durch das
Kartell Meinungsmacht & Machterhaltung ("Nein zu Monstern!") mit
ritueller Kappung des Turms als Unterwerfungsgeste hatte gleich mehrere
Generationen von Offensivdenkern des Projekts mürbe gemacht. Als endlich
doch gebaut wurde, waren die Pragmatiker unter sich und wollten von der
Turmfrage nicht mehr gestört werden ("Psst, sonst geht's wieder los ...").
Dieses ängstliche Sich-Ducken könnte für das MQ zum Problem werden -
blickökonomisch und stadtpsychologisch. Deshalb sei, knapp vor
Inbetriebnahme, nochmals die Hoffnung auf Fertigstellung formuliert.
Fertigstellung heißt: Mit Turm, mit freiem Spielbein, mit vertikaler
Geste als Dialog zum Draußen. Momentan haben wir es mit einem
eingezwängten Kulturbezirk zu tun, bei dem alles, war für
Zeitgenossenschaft steht, hinter einem barocken "Bauzaun" verborgen
bleibt. Frisch gefärbelte Symmetrie mit 44 Sprossen-und 8 Gitterfenstern
und ein paar diskreten Eingängen.
Wer vorbeifährt, bekommt keinen Schimmer, dass dahinter Österreichs
größter Kulturbau seit Kaisers Zeiten entstanden ist. Erst vom Ring aus
erkennen Insider unter den Dachlinienlesern, wo die Schnittstelle zwischen
Vorrecht des Altbestands und Disziplinierung des Neuen liegt. Die
Architekten haben, nachdem die "Aufsprengung" des hermetischen Areals
verhindert wurde, auf die implodierten Verhältnisse reagiert und die
einzelnen Baukörper zu intensivieren versucht. Der Turm als Balancefaktor
und Attraktor ist nach wie vor mitgedacht, nicht nur von Ortner &
Ortner. Seine Abwesenheit macht ihn präsenter denn je.
Alle, die sich abstrudeln, das Museumsquartier lokal und international
zu positionieren, spüren das Fehlen des Kommunikationsfaktors Turm.
MQ-Koordinator Wolfgang Waldner sagte es öffentlich, just bei einer
Veranstaltung mit dem PR-Chef der Tate Modern, die auf Anhieb zum Welthit
wurde - auch weil dort das Signal des Neuen weiträumig und stark in die
Londoner City strahlen kann. Immer öfter trifft man Leute, auch solche aus
der Innenzone von Macht & Meinung, die halblaut über eine
Nachbestellung des Turms nachdenken - und sei es nur aus Marketingdenken.
Die Zeit der Geiselhaft ist vorbei, die Normalität des
Außergewöhnlichen könnte endlich beginnen. Es gehe beim Museumsquartier,
so Laurids Ortner 1995, auch um "die Darstellung des Staates als
intelligente Gesellschaftsform mit einem dreidimensionalen Outfit". Der
Turm ist offenbar längst konsensfähig. Es ist eine Frage demokratischer
Intelligenz und kulturpolitischer Stringenz, das fast greifbare Wissen um
seine Notwendigkeit in konkretes Bauen umzusetzen. Es wäre nicht gut,
würde dem MQ auf Dauer das Gespenst des wehleidigen Nachjammerns die freie
Sicht nehmen. Der Bauplatz ist reserviert, die Widmung intakt. (DER
STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 5. 2001) |