VON WALTER FINK
Wien ist eine großartige Stadt. Gerade jetzt, vor Weihnachten,
ist die Stadt voll von Touristen aus aller Welt. Unsere
Bundeshauptstadt hat eine Internationalität, eine Popularität unter
den Städtereisenden erreicht, die in Europa ihresgleichen sucht.
Angesichts des Angebotes wundert das auch nicht, große Kunst ist
ebenso zu finden wie alte Tradition. Im Moment gibt es die
wunderbaren Weihnachtsmärkte am Spittelberg oder auf der Freyung
ebenso wie im ehrwürdigen Burgtheater eine Aufführung eines
Jelinek-Stückes in der Regie von Christoph Schlingensief, es gibt
Ausstellungen zur Weltkunst ebenso wie eine zu Helmut Qualtinger.
Gerade jene zu Qualtinger ist in dieser Form nur in Wien
vorstellbar. Allein der Titel, der da vom Historischen Museum der
Stadt Wien - vom neuen Leiter Wolfgang Kos auf interessanten Weg
gebracht - gefunden wurde, ist großartig: Mit "Quasi ein Genie" wird
an "Quasi" Helmut Qualtinger erinnert, in Dokumenten, in Ton und
Film. Es sind Erinnerungen an eine interessante Zeit in Wien,
Erinnerungen an einen herausragenden, nur in Österreich denkbaren
Schauspieler, Kabarettisten und Rezitator.
Wenn man dieses Museum betritt, fällt noch etwas auf, das an eine
andere Zeit erinnert. An der Eingangswand kann man nämlich folgendes
lesen: "Dieses Gebäude des Historischen Museums der Stadt Wien wurde
1953 errichtet, um den Bundespräsidenten der Republik Österreich,
den vormaligen Bürgermeister von Wien, Dr. h.c. Theodor Körner
anläßlich seines 80. Geburtstages zu ehren." Das stelle man sich
einmal heute vor: Anläßlich des Geburtstages eines bedeutenden
Politikers wird vom Bund, von einem Land oder einer Stadt ein Museum
gestiftet. Die Politiker gibt es offensichtlich nicht mehr, nicht
mehr die, die so etwas tun würden, nicht mehr auch die, die sich
solcher Ehre würdig erweisen, das überhaupt nur als Ehre empfinden
würden. Und man rede jetzt nicht davon, daß das eine andere Zeit
war, heute sei das finanziell gar nicht mehr möglich. 1953, da war
der Zweite Weltkrieg gerade einmal acht Jahre vorbei, da schwamm
auch die Stadt Wien nicht gerade im Geld, da waren noch nicht einmal
die Schäden des Krieges behoben.
Heute strahlt Wien in seiner ganzen Schönheit, wie gesagt, eine
großartige Stadt. Was allerdings nicht heißt, daß alles so wunderbar
ist. Wenn man nämlich derzeit die Albertina besucht, dann wird der
Blick auf die wunderbaren Gebäude von einem von der Albertina
herausragenden Element gestört. Man wundert sich, was das wohl ist.
Und man erinnert sich: Da hat doch der neue, die Öffentlichkeit und
die Medien nicht gerade scheuende Albertina-Direktor Klaus Albrecht
Schröder einen Auftrag an Österreichs Star-Architekten Hans Hollein
gegeben. Das Vordach, das da auf den Platz herausragt, hat nicht nur
keine Funktion, es stört auch das gesamte Ensemble, den gesamten
Altbestand im Umkreis. Daß der Sponsorenname auf der Seite prangt,
ist weiterer Unfug.
Aber es mußte nach Schröder etwas geschehen, es mußte ein
prominenter Name her. Und da besinnt man sich eines Zitats des
Kunsthistorikers Andreas Lehne: "1983 erfolgte die Bestellung von
Hans Hollein zum Vorsitzenden des Gestaltungsbeirates für
Stadtbildpflege in Wien, der in der hierzulande bewährten
Personalunion von Bock und Gärtner ein breites Betätigungsfeld
gefunden hat. Hollein gehört nämlich zu einer Gattung von
Architekten, in deren Mittelpunkt nicht der Genius Loci steht,
sondern ausschließlich die Befriedigung der eigenen Eitelkeit." Das
Vordach der Albertina kann nur aus solchen Überlegungen resultieren.
Ein Fall auch für ein Wort von Kästner, der einen Vergleich zwischen
Alt und Neu in der Kunst angestellt hatte: "Dieses Neue, es wird
altern in Schande." Jetzt schon sieht das Vordach von Hans Hollein
alt aus gegen die alte Umgebung, alt im Geist nämlich. Das Dach
plaziert sich nicht gleichberechtigt neben die alte Bausubstanz, es
schlägt sich eine Bresche. Wie die Axt im Walde. Eigentlich sollte
man es wieder abtragen.
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Die Meinung des Gastkommentators muss nicht mit jener der
Redaktion übereinstimmen. Auf Wunsch des Autors erscheint sie in der
alten Rechtschreibung.