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Kunstberichte

Leonardo da Vinci auf der Couch

Symposium "Zeichen der Psyche" in Graz
Von WZ Online / APA

Graz. Der Wiener Philosoph Robert Pfaller brachte es in seinem Vortrag auf den Punkt: Die interessantesten Beiträge zur Kunst hat die Psychoanalyse immer dann geliefert, wenn sie sich gerade nicht mit Kunst beschäftigt hat, sondern einfach sie selbst war. Beispielsweise sind Freuds Traumanalysen bestens dazu geeignet, als Vorbild für eine Kunsttheorie zu dienen.

Anlass für solche - doch überraschenden - Aussagen bot vergangenen Freitag und Samstag das Symposium "Zeichen der Psyche. Psychoanalytische Perspektiven zur Kunst", das im Kunsthaus Graz stattfand. Veranstaltet wurde die Tagung u.a. von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie der Med-Uni Graz und der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV).

Hintergrund des Symposiums war der 150. Geburtstag von Sigmund Freud: Reimut Reiche, deutscher Psychoanalytiker und Autor des Buches "Mutterseelenallein - Kunst, Form und Psychoanalyse", eröffnete Freitag Abend die Veranstaltung mit einer kurzen Darstellung von Freuds berühmtem Essay über Leonardo da Vinci, der einen ersten Boom psychoanalytischer Deutungen von Kunst ausgelöst hatte - allerdings auch, wie es Reiche formulierte, die Künstlerbiographie statt der Kunst in den Mittelpunkt rückte. Ihre Attraktivität für die Kunst entwickelt die Psychoanalyse deshalb auf ganz andere Weise. Und zwar dann, wenn sie Grundfragen der menschlichen Entwicklung darzustellen versucht:

"Weltbildender" Deckenzipfel

Reiche verwies in diesem Zusammenhang beispielsweise auf den britischen Psychoanalytiker Donald Winnicott. Laut diesem spielen kleine Kinder deshalb gerne mit einem Tuch oder einem Deckenzipfel, weil dieser ein so genanntes "Übergangsobjekt" darstellt. Das heißt das Tuch ist dazu da, die abwesende Mutter zu ersetzen. Für Reiche ist das nun deshalb interessant, weil diese Übergangsobjekte gleichsam "weltbildend" sind. Der kleine Mensch lernt so zu symbolisieren und eigene subjektive Realitäten zu erschaffen. "Und nur wo diese Fähigkeit erhalten bleibt, mit Hilfe eines Übergangsobjekts eine neue Realität zu schaffen, wird im späteren Leben von künstlerischer Kreativität gesprochen werden können". Tatsächlich, so Reiche, haben unzählige Psychoanalysen gezeigt, dass bei Künstlern, Modedesignern oder Choreografen beispielsweise bestimmte Muster wie eine typische Linienführung ihren Ursprung im seinerzeit gewählten Übergangsobjekt haben und "übergangsobjektartige Eigenschaften" aufweisen.

Genau mit solchen Erklärungsmodellen wird die Psychoanalyse in Sachen Kunst interessant - weil sie, wie Reiche betont, so z.B. den Ursprung der künstlerischen Kreativität erklärt. Am deutlichsten wurde dieser grundsätzliche Konnex zwischen Psychoanalyse und Kunst aber von Pfaller formuliert. Psychoanalyse ist für die Kunst dann interessant, wenn es um "Kunst in der Pathologie" und nicht um "Pathologie in der Kunst" geht. Erstere hatte z.B. Freud immer dann praktiziert, wenn er Träume deutete und auch den kleinsten Traumelementen Sinn und Bedeutung zu geben versuchte.

Was auf diese Weise entstand waren laut Pfaller "perfekte Bildungen". Einfach, weil so eine Krankheit "wie ein umfassender Text" behandelt wurde. In solchen Augenblicken verwandelte sich Freud gleichsam zum Künstler. Und als solcher hat er der Kunsttheorie viel zu bieten. Auch, wie Pfaller erklärte, heute noch.

Kunsthaus Graz

Sonntag, 02. April 2006


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