diepresse.com
zurück | drucken

14.11.2003 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kunsthalle: Sebastian, ein Märtyrer für alle
Der Heilige Sebastian leidet heute als Dandy, Schwulen-Ikone und Objekt der Begierde: Die Wiener Kunsthalle erschaudert unter stillen Seufzern und eitel-fliehenden Blicken.

K
omm, süßer Tod - die Inszenierung wartet bereits. Kein anderes christ liches Martyrium wurde von der Kunst derart leidenschaftlich ausgeschlachtet wie die Qualen des Heiligen Sebastians. Kein anderer durfte die Sinne so aufwühlen wie der sich zum Christentum bekennende römische Garde-Hauptmann. Die Darstellung seines hingebungsvollen Körpers wurde zum Ehrgeiz des anatomischen Idealismus, das makellose Fleisch verlangte geradezu nach den Pfeilspitzen als Genugtuung für so viel maskuline Schönheit.

Sebastians eigentliche Erfüllung, der öffentliche Tod durch Peitschen, beflügelte nicht annähernd so elegante Fantasien. Eine Darstellung von Fra Bartolomeo wurde von Mönchen in der Renaissance flugs aus der Kirche entfernt - Frauen hätten sonst zu sündigen Gedanken verleitet werden können. Das Bild wird wohl auch hinter Klostermauern seine demütigen Anbeter gefunden haben.

Schließlich waren es die Männer, die den nach Strafe und Erlösung Heischenden für sich vereinnahmten. Basierend auf Mantegna - zu besichtigen im Kunsthistorischen Museum -, vor allem aber Guido Reni, diente Sebastian im 19. Jahrhundert als Symbol für homoerotische Begehrlichkeiten, nachzulesen bei Oscar Wilde, Thomas Mann, Stefan Zweig. In den 70ern wurde der Schutzheilige vor Pest und Seuchen zu einer Identifikationsfigur für Aids-Kranke.

Zwanzig Jahre bereits lässt Gerald Matt, Direktor der Wiener Kunsthalle, der Mythos des "James Dean unter den Märtyrern" nicht los, fasziniert von dessen chamäleonartigen Identität. Eine gepflegte dekadente Obsession, die auch die von Matt gemeinsam mit Wolfgang Fetz (Leiter der Kulturabteilung Bregenz) kuratierte Ausstellung "A Splendid Readiness For Death" atmet. Die kleinere Halle der Kunsthalle, im Erdgeschoß, wurde mit mehr oder meist weniger manierlichen Relikten der Sebastian-Abarbeitungen zeitgenössischer Künstler gefüllt. Eine außerordentlich präzise, ausführlich dokumentierte Auswahl, die alle Medien von Film bis Skulptur berücksichtigt und Abgründe genauso wenig scheut wie Kopien - zu Beginn prangt gleich eine von Guido Renis jünglingshafter Sebastian-Ikone. Beschallt wird dezent mit Musik von Debussy bis zum britischen Sonderling Momus - "Should you be so lucky like St. Sebastian, preferring the ache to the aspirin . . ."

A propos Schmerzmittel. Eines ist klar, sie sind tabu. Von allzu exzessiven Selbst-Bespickung bleiben Körper wie Besucher allerdings weitgehend verschont - man kann bei der Dokumentation über "Supermasochisten" Bob Flanagan und Ron Atheys extrem scheußlichen Fotos den Blick ja auch senken. Die Augen öffnen die Sebastian-Posen des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima, einer Schlüsselfigur in der heutigen Sebastian-Rezeption. Sein Werk, sein ganzes Leben waren - angeblich in der Jugend ausgelöst vom Anblick des "Sebastian" von Guido Reni - durchdrungen von der Idee des erotisierten Todes. Am 25. November 1970 verübte Mishima rituellen Selbstmord, nachdem sein Putsch-Versuch für die traditionellen Werte gescheitert war. An einen Baum gebunden, von Pfeilen penetriert, den Blick hoffnungsvoll-fordernd gen Himmel gerichtet hat sich Mishima inszeniert, andere Künstler in der Ausstellung zitieren ihn. Als Kontrapunkt zur tragischen Tendenz versteigt sich Luigi Ontani in süßlich-schwülstige Kitschorgien. Einer mehr amüsanten Auslegung schließt sich auch die Israelin Sigalit Landau an: Ihr gehäuterter Torso wird von Speeren wie ein Pfauenrad gepiesackt - eitle Lust, ziemlich kopflos.

Die Damen der Künstlergilde haben das Sebastian-Thema erst in den letzten Jahren entdeckt - auch Frauen wollen schließlich heute junge Männer. Dabei war es schon Gabriele D'Annunzio, der in der Uraufführung seines "Martyrium des heiligen Sebastian" lieber eine Frau, die jüdisch-russische Ida Rubinstein, in der Rolle des Sebastians sehen wollte. Damals ein Skandal, wie die Dia-Dokumentation der Aufführungen erahnen lässt. Sebastian, das androgyne Wesen zwischen den Welten.

Die Grande Dame der heutigen Kunst, Louise Bourgeois, war eine der wenigen ihrer Kolleginnen, die das Thema bereits früh, in den 40er Jahren aufgegriffen haben. In ihren Zeichnungen von attackierten weiblichen Torsi vereinnahmt sie das Sebastian-Syndrom für sich, von einem "Seienszustand unter Angriff" schreibt Bourgeois. Erstmals hat sie den üppigen Körper 2002 in eine ihrer typischen Stofffiguren verwirklicht. Harte Pfeile treffen auf rosa Filz, "Sebastienne" is born - und der so begehrte und ideologisch hin und her gezerrte Märtyrer hat wieder eine neue Rolle zugewiesen bekommen im Theater der Erinnerungen.

Bis 15. Februar. Täglich 10 bis 19 Uhr, Do. 10 bis 22 Uhr.

© diepresse.com | Wien