Salzburger Nachrichten am 26. Juli 2003 - Bereich: sonderbeilagen
Realität statt Künstlermythos

Die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg wurde 1953 von Oskar Kokoschka gegründet. Nicht als Lehrwerkstatt für Kunst, sondern als "Schule des Sehens" wollte er seine Kurse damals verstanden wissen. Heuer feiert die Sommerakademie ihr 50-jähriges Bestandsjubiläum. Sie gilt als Vorläuferin der weltweit zahlreich entstandenen Sommerkurse. Ein Gespräch über Geschichte und Gegenwart dieser angesehenen Institution zur Vermittlung zeitgenössischer bildender Kunst mit Barbara Wally, die seit 22 Jahren als künstlerische und organisatorische Leiterin der Akademie fungiert.

ELISABETH RATH

SN: Frau Dr. Wally, Sie arbeiten seit zweiundzwanzig Jahren für die Internationale Sommerakademie. Von 1981 bis 1999 waren Sie als Geschäftsführerin zusammen mit Wieland Schmied für die Inhalte und deren Umsetzung verantwortlich. Seit dem Jahr 2000 sind Sie nun gesamtverantwortliche Leiterin. Sie sind Teil dieser Institution geworden. Bewegt Sie das Jubiläum?

Wally:

Natürlich bewegt mich dieses Jubiläum, weil es zwingt, zurückzudenken - was war vor 50 Jahren? Wie war das am Anfang? Was hat sich verändert? So ein Jubiläum und seine Vorbereitung motivieren dazu, sich mit der Kunstszene der 1950er Jahre zu befassen.

SN: Wie feiert die Sommerakademie ihren 50. Geburtstag? Was gibt es zu feiern? Wo liegen die Inhalte, die es zu feiern gilt?

Wally:

Oskar Kokoschka hat sich 1953, als er nach Salzburg kam, ein Paket gewünscht: Erstens wollte er eine auf seine Person und seine Doktrin abgestimmte Schule. Dann hat er sich den Standort Festung Hohensalzburg und ein eigenes Heim gewünscht. Ein Haus am Gaisberg hatte er in Aussicht. Er wollte also seinen Alterssitz nach Salzburg verlegen, hat zwei Jahre damit spekuliert, und dann haben sich die Kokoschkas doch entschieden, in die Schweiz zu gehen. Und der vierte Punkt war, dass er allein bestimmen konnte, welche anderen Professoren bestellt wurden.

Ein Kunst-Paket zum 50. Jubiläum

So wie Kokoschka sich damals ein "Package" gewünscht hat, haben wir ihm ein "Package" geschnürt. Das Jubiläum wird insgesamt an drei hintereinander folgenden Tagen mit vier Aktivitäten gefeiert: Es beginnt am 7. August mit der Vernissage in der Galerie im Traklhaus, die heuer ihr 30. Jubiläum feiert. Dort werden Arbeiten von ProfessorInnen gezeigt, die in den vergangenen 30 Jahren im Traklhaus ausgestellt haben.

Am 8. August findet das Symposion "Oskar Kokoschka als Lehrer" statt, bei dem Susanne Altmann über Kokoschkas vier Dresdner Jahre sprechen wird. Wieland Schmied geht auf Kokoschka im Rahmen der Kunstszene der 50er Jahre ein. Milan Kniza`k spricht über den Einfluss von Comenius und den böhmischen Philanthropen auf die Didaktik von Kokoschka, ich spreche über Kokoschkas Gesinnungswandel in der Englischen Emigration und in Amerika, und Hermann Nitsch sieht ganz subjektiv Kokoschka als Vorbild und wird auch über das Verhältnis Künstler/Lehrer sprechen.

Kern des Jubiläums-Packages ist die Ausstellung in der Residenzgalerie "Oskar Kokoschka und die Schule des Sehens. Die Gründung der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg vor 50 Jahren", die am 9. August eröffnet wird.

SN: Wie ist die Schau aufgebaut?

Wally:

Die Ausstellung ist in drei Teile gegliedert: Erstens Werke von Kokoschka aus der Zeit von 1950 bis 1963, die in Bezug zu Salzburg stehen. Der zweite Teil betrifft die Gründungsgeschichte der Sommerakademie, die wir zu visualisieren versuchen. Und der dritte Teil ist ein historischer und zeigt Salzburg im Jahr 1953. Wir versuchen hier, die Gründungsgeschichte der Sommerakademie in das Salzburger Geschehen einzubetten und auch den Werkzusammenhang bei Kokoschka sichtbar zu machen.

Das Projekt ist eine erstmalige Kooperation von vier Institutionen: Residenzgalerie, Rupertinum, Museum Carolino Augusteum und Sommerakademie. Zur Ausstellung publizieren wir auch einen umfangreichen Katalog mit über 200 Seiten, der neue Ergebnisse zur Gründunggeschichte liefert.

SN: Welche Eckpfeiler der Sommerakademie, die Oskar Kokoschka in den ersten zehn Jahren von 1953 bis 1963 gesetzt hat, sind heute noch von Bedeutung?

Wally:

Bei Kokoschka gibt es vieles, was heute noch anwendbar ist. Kokoschka war ein Kosmopolit und hat unter engem Provinzialismus gelitten. Das war auch ein Grund, warum er mit Wien nie zurecht kam. Er wollte immer eine internationale Akademie. Das hat zu seinem Paket an Wünschen auch dazu gehört. Der Gedanke der europäischen Einheit ist bei ihm schon da. Allerdings auf einer patriarchalischen Basis, der konservativen des Abendländischen. Zeitgemäß ist auch seine Verknüpfung von künstlerischer Tätigkeit und menschlichem Engagement. Andererseits ist Kokoschka auch wieder eine historische Figur und veraltet.

Der fast tragische Umbruch seiner Position in der Kunstszene hat 1945 stattgefunden, als eine neue Kunst Einzug in Europa hielt: Das sich aus dem Surrealismus entwickelnde Informel und den Abstrakten Expressionismus lehnte Kokoschka völlig ab. Er hat plötzlich nicht mehr zur aktuellen Kunstszene gehört.

SN: Gibt es neben dem Aspekt der Internationalität noch einen anderen Impuls, der von Kokoschka ausging und der auch 50 Jahre später noch für die Sommerakademie von Bedeutung ist?

Wally:

Es gibt da einen Aspekt, den man allerdings genauer erläutern muss: Das ist die vielzitierte "Offenheit für alle". Kokoschka hat immer gesagt: "Ich bin kein Kunstlehrer." Er hat nicht Kunst unterrichtet, er hat nur in Anspruch genommen, dass er die Schüler sehen lehrt, also Wahrnehmung aus erster Hand, die dann letztendlich zu einem kritischen Verstand, zum Erleben und Erfahren führt.

Diese Erziehung bewirkte er mit den Mitteln der Kunst. Kokoschka meinte, Sehen lernen kann jeder Mensch. Und diese Überzeugung, dass man Kunst nicht unterrichten kann, also dass man nicht aus irgendwelchen Menschen Künstler produzieren kann, wenn sie nur fleißig üben, diese Überzeugung haben wir noch heute und auch die Künstler und Künstlerinnen, die hier lehren. Aber der Ansatzpunkt ist heute ein anderer.

SN: Wo liegt der Ansatzpunkt der Lehrenden heute?

Wally:

Kokoschka hat von sich geglaubt, seine künstlerische Fähigkeit sei eine göttliche Eingebung. Und die Vorstellung des 19. Jahrhunderts vom männlichen Genie ist heute nicht mehr haltbar - auch nicht an der Sommerakademie. Heute geht man davon aus, dass zum Künstlerberuf eine Mischung aus "Talent", Intelligenz, visuellen Wahrnehmungsfähigkeiten und Umsetzungsfähigkeiten ebenso gehört, wie die Fähigkeit, sich und seine Botschaft im Werk zu vermitteln. Manches davon kann man wecken, fördern, präzisieren . . .

Die Professoren und Professorinnen gehen heute oft so vor, dass sie sich die künstlerischen Arbeiten der Studierenden zunächst ansehen. Außerdem befragen sie die Studierenden dann, was sie eigentlich ausdrücken möchten. Und in diesem Spalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit agieren sie als Lehrende: was ist das Ergebnis?

SN: Die Sommerakademie hat im Laufe der Jahre die Impulse der aktuellen Kunst aufgegriffen und immer wieder auf neue Inhalte reagiert. Sie hat sich laufend erneuert. Die neuen Medien sind fixer Bestandteil geworden. Hier liegt sicher noch ein großes Entwicklungspotenzial?

Wally:

Ja, bestimmt!

SN: Wo sehen Sie ganz allgemein Veränderungen im Bereich der zeitgenössischen Kunst, worauf die Sommerakademie reagiert?

Wally:

Wir müssen von der Lebensrealität der KünstlerInnen ausgehen. Es ist heute so, dass höchstens 5-1073742904er Künstler und Künstlerinnen von ihrer künstlerischen Tätigkeit leben können. Und immer mehr müssen mindestens zwei bis drei Tage in der Woche etwas anderes arbeiten, um sich das Künstlersein leisten zu können. Einen Tag brauchen sie dann noch zum Lebensmanagement, dann haben sie zwei bis drei Tage für die Kunst. Das bedeutet vieles: Das heißt erstens, dass die Lebenswerke schmaler werden und dass Künstler kaum an längeren Projekten arbeiten können, dass sie in keiner Weise abgehoben, sondern völlig ins "normale" Leben integriert sind.

Eine Distanz zur Gesellschaft ist nicht gegeben. Das muss man als Vorraussetzung nehmen. Die Künstler und Künstlerinnen arbeiten heute weder aus der Vogel- noch aus der Froschperspektive oder im Elfenbeinturm, sondern sie sind mitten drin im Gewühl - ohne Übersicht. In Fragebogen fragen wir unsere Studenten und Studentinnen nach ihrem Beruf und unterscheiden zunächst grob zwischen künstlerischen und nichtkünstlerischen Berufen.

Diese Grenzziehung hebt sich immer mehr auf. Ich könnte Ihnen heute nicht mit Sicherheit sagen, was ein professioneller Künstler ist. Auch unter den Lehrenden gibt es solche, die zeitweise andere Tätigkeiten ausüben oder ausgeübt haben.

Wir bereiten zurzeit noch ein anderes Buch mit dem Titel "Die fünfte Dekade" vor. Das ist der Anschlussband an "Zwischenbilanz. Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg. 1981 - 1993". Dieser aktuelle Band wird eine Untersuchung von Zobl und Schneider enthalten, die Studierende der Sommerakademie zu ihrem künstlerischen Selbstverständnis befragt haben.

Im (künstlerischen) Selbstverständnis sehe ich einen wichtigen Ansatzpunkt unserer Arbeit. Wir versuchen, keinen Künstlermythos zu schmieden, sondern auf die Realität von Menschen, die Kunst brauchen und die Kunst machen wollen, einzugehen.

SN: Gibt es neben den Fragen, was Kunst ist, wer ein Künstler ist, andere zukunftsträchtige Themen?

Wally:

Es wird immer wichtiger, Kunst im Kontext zum sozialen Gefüge zu sehen. Wir haben sehr viele Studierende, die aus dem Sozialbereich kommen, die engagierte Menschen sind und die auf dem Weg der Kunst etwas erreichen, bewegen, verändern wollen. Wir kennen die Schwierigkeiten von Kunst im öffentlichen Raum.

Kunst im Kontext der Gesellschaft

Es gibt nach wie vor wenige überzeugende und nachhaltige Beispiele für künstlerische Interventionen in der Öffentlichkeit. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, mit den Studierenden das Problemfeld, das ja viel komplexer ist, als eine Arbeit im Atelier, für eine Ausstellung im geschützten Raum zu produzieren, zu bearbeiten. Kunst im öffentlichen Raum setzt eine Vielfalt an künstlerischen Fähigkeiten voraus, aber auch Organisationstalent, soziales Einfühlen, Kommunikationsfähigkeit oder die Fähigkeit, andere für sich zu instrumentalisieren.

Wenn wir an Künstler wie Christo oder Kabakov denken, dann gibt es da ein umfassendes Organisationsfeld, ein Team, das eine künstlerische Idee umsetzt, die gar nicht mehr von einem Einzelnen realisiert werden kann. Derartiges kann man auch an der Sommerakademie theoretisch - im Rahmen des Grundkonzeptes, dass wir eine Vielfalt an Inhalten bieten und zulassen, dass wir ein Feld für geistige Auseinandersetzung und Kommunikation offerieren, dass wir nicht doktrinär sind und künstlerische Freiheit ein hochgehaltener Wert ist - erfahren.

SN: Was wünschen Sie sich am meisten für diesen Studiensommer?

Wally:

Ich wünsche mir immer, dass alle Studierenden und Lehrenden mit einem Rucksack schöner Erlebnisse und angereichert mit einem Depot von Ideen nach Hause ziehen. Dann wünsche ich mir, dass alle gesund bleiben und ganz realistisch, dass wir mit dem Geld auskommen, was immer schwieriger wird.