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Eine Ausstellung wie ein Fest

03.07.2009 | 18:37 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Im Künstlerhaus zeigt sich Hermann Nitsch im Kreis seiner Vorbilder, Zeitgenossen und Schüler.

Zuerst war das Misstrauen. Denn das vom Künstlerhaus herangetragene Ansinnen glich einem „Himmelfahrtskommando“, erzählt Hermann Nitsch. Seinen Einfluss auf Kollegen und Schüler zeigen – das hätte allerdings ein Exzess der Eitelkeit werden können. Ist es aber nicht geworden. Im Gegenteil. „Vorbilder Zeitgenossen Lehre“ ist eine Art zur Ausstellung gebanntes Fest.

Fast 70 Künstler hat Nitsch eingeladen, dazu etwas mitzunehmen. Und so brachte Arnulf Rainer frühe Übermalungen, Herbert Brandl einen seiner Berge, Cornelius Kolig einen Stuhl zum Sexualverkehr aus dem Paradies. Kurt Zein richtete eine Druckerkapelle ein, mit einem Eisen-3-Chlorid-Bad am Boden, das wie ein Spiegel funktioniert, in zwei Vitrinchen reihte er fein säuberlich, wie Nitsch es sonst mit seinem Orgien-Mysterien-Besteck tut, seine Druckerutensilien auf. Eine liebevolle Hommage an den, dessen druckgrafisches Werk er einzigartig betreut.

Auch die Wiener Phantasten sind mit Frühwerken vertreten, Hundertwasser mit seinem Hang zum Gesamtkunstwerk nennt Nitsch gar als Vorbild. Lächelnd wandert er durch die bekannte, unbekanntere und subjektiv zensurierte österreichische Kunstgeschichte (keine Valie Export, kein Peter Weibel) und meint auf Nachfragen nur: „Ich werte nicht.“

Nur einer ist hier gleicher als die Gleichen, Christian Ludwig Attersee hat sich als Künstlerhaus-Mitglied den ganzen großen Saal im Obergeschoß erobert. Eine selbstentlarvende versuchte Gleichstellung mit Nitschs Werk, das im großen Saal darunter aufgebaut wurde. Auf eine Weise, die wunderbar zeigt, was ihn so zeitgenössisch macht: eine riesige Installation, aus mehreren Aktionen zusammengestückelt – bis zur Decke, extrem dicht wurden Schüttbilder, Relikte, Fotografie gehängt, in der Mitte der große Aufbau des Sechs-Tage-Spiels. Die Gleichrangigkeit der unterschiedlichen Medien, wie sie heute üblich sein kann, überzeugt. Ebenso die dichte Atmosphäre, das Erlebnishafte, teils auch gebastelt Wirkende. Hier überall lassen sich schlüssige Verbindungen ins Heute ziehen. Wobei mitgedacht werden muss, dass Nitsch sein Konzept bereits in den späten 50er-Jahren zumindest niedergeschrieben hat.

Einige Entwicklungen nahm er vorweg, ohne dass es die von ihm gerne als bösartig klauend Dargestellten wohl wussten. Etwa die Engländerin Tracey Emin, die mit ihrem zerwühlten Bett 1999 fast den Turner-Preis gewann. Aber selbst in Österreich wissen nur wenige, dass Nitsch schon 1964 sein Ehebett samt benutzter Bettwäsche in die Galerie Junge Generation wuchten ließ. Damien Hirst hat das ungenannte Vorbild seiner Rotationsbilder, die von Alfons Schilling, aber schon gekannt. Natürlich erkennt man Nitschs Geist bei seinen Schülern, allerdings immer stark individuell geprägt. Der Aktionist unterrichtete jahrelang an Kunsthochschulen in Hamburg, Frankfurt.

Besonders spannend aber sind die „Vorbilder“, die Nitsch sich wählte: Arnold Schönbergs Halbakt im weißen Schurz, Kokoschkas Plakat „Mörder, Hoffnung aller Frauen“, Klimts „Tod und Mädchen“ und, ganz wichtig für ihn, die verbotenen Fakultätsbilder. Anton Koligs Männerakte finden sich bei Nitsch genauso wieder wie der faszinierende Gedanke ans Öffnen des Menschen, den Herbert Boeckl in seiner „Anatomie“ 1931 gemalt hat. Noch nie hat man so intensiv gesehen, wie stark Nitschs Werk in der „Wiener Schule“ verwurzelt ist, im Expressiven, Erotischen, Psychoanalytischen, Obsessiven, wie sich überhaupt der ganze Aktionismus in legitimer Nachfolge der Kunst von Wien um 1900 sehen kann. Auf diese Ausstellung warten wir noch. Aber bitte in großem Stil und im MoMA.


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