Und es gibt sie doch!

Von Herwig Höller


Zumindest was die Rahmenbedingungen betrifft, stehe es für die junge "Grazkunst", so Werner Schwab, nicht allzu gut. Zu zeigen, dass es aber trotz alledem eine aktive junge Szene gibt, war - so die Kuratoren - eine der Hauptaufgaben der Ausstellung
"* ..., lebt oder arbeitet in Graz", die vergangenen Freitag bei rotor eröffnete.

Walter Seidl, Fotoserie
Walter Seidl, Fotoserie "D&S"

Inspiriert von der laufenden "Lebt und arbeitet in Wien"-Ausstellung versammeln die Kuratoren der Grazer Ausstellung, Anton Lederer und Margarethe Makovec, Arbeiten von sechs jungen KünstlerInnen, die in Graz entweder leben oder arbeiten. Das "oder" lässt sich dabei durchaus programmatisch verstehen. Einerseits - so Makovec - sei es nicht mehr unbedingt nötig, lediglich an einem Ort zu leben und zu arbeiten, andererseits sei dies angesichts der Grazer Verhältnisse mitunter auch schwierig.

Defizite in Sachen Kunst

In einem pointierten Eröffnungsstatement, das wohl in Graz noch für einige Diskussionen sorgen wird, sprach Anton Lederer diesen nicht zufriedenstellenden Status quo auch explizit an: Da es keine (bildende) Kunstakademie gäbe, komme es zu einer starken Abwanderung junger KünstlerInnen, Zuzug fände nur marginal statt. Die Ateliers der Stadt, die seit Mitte der Achtziger existierten und eigentlich jungen Künstlern zur Verfügung stehen sollten, seien größtenteils noch von den Erstmietern besetzt und würden mitunter auch für kommerzielle Zwecke verwendet.

Walter Seidl, Fotoserie
Walter Seidl, Fotoserie "D&S"

Zudem funktionierten wichtige Ausstellungsorte nicht: das Kulturhaus werde nun auf Wunsch mancher Stadtväter zum Literaturhaus und ginge für die bildende Kunst verloren, das Künstlerhaus hätte seine Funktion verloren, die Neue Galerie leiste nur unzureichend die nötige Vermittlungsarbeit für zeitgenössische Kunst, das Forum Stadtpark müsse sich weiter öffnen. Solange die vorhandenen Strukturen nicht adäquat verwendet würden, sei es paradox, bereits über das neue Kunsthaus zu sprechen.

Was nun die konkreten Arbeiten bei "* ..., lebt oder arbeitet in Graz" betrifft, spannen diese einen bunten Bogen von stark lokalen Bezügen bis hin zu universellen Fragestellungen.

Szene Graz

Sehr stark lokal verankert ist z.B. Volker Sernetz, in Graz eher als DJ KIM WILDE bekannt, der in seinem Kurzfilm "Sunglasses after midnight" mit digitalen Werkzeugen eine Ästhetik der sechziger Jahre rekonstruiert. Die lokalen Bezüge des Künstlers lassen sich gut an der Wahl der DarstellerInnen erkennen, diese sind allesamt Figuren der Grazer Szene.

Zum Vergrößern anklicken
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Im Zyklus "Zwischen-
landschaft" zeigt die Architektin Andrea Ressi, die auch an der Wiener Angewandten studiert hat, Schwarzweiß-Malereien mit Grazer Vorstadt-Motiven, insbesondere auch die Orte sozialer Randgruppen. Unter anderem sind auf ihren einfühlsamen Bildern das Gefangenenhaus Karlau, aber auch das sogenannte Ressidorf - eine Obdachlosensiedlung am Stadtrand - zu sehen.

Stumme Anklage

Ebenso auf soziale Randgruppen verweisen drei minimalistische Pappkartenskulpturen eines jungen Grazer Künstlers, der mittlerweile in Wien Kunst studiert und anonym bleiben wollte. Die Pappkartonskulpturen stellen Bettler dar und gehen ihrer Beschäftigung stumm in den Ausstellungsräumen nach. Im Grazer Kontext lässt sich diese Arbeit durchaus als Bezugnahme auf die so genannte "Bettlerverordnung" verstehen - seit 1996 steht "aggressives Betteln" in Graz bekanntlich unter Strafe.

Ebenso lässt sich Michael Gumholds Ausstellungsbeitrag auf die lokale Situation beziehen. Im Video "Der Künstler wirft das Handtuch hin" versteht Gumhold dies wörtlich, ergänzt aber das Video auch mit Annoncen hilfesuchender Künstler.

Zukunft passiert

Isa Rosenberger hingegen, in Wien lebend und in Graz an der TU lehrend, spricht in ihrem Video u.a. auch die Rolle der Künstlerin an, wenn auch in einem theoretischen Zusammenhang.
Im Video mit dem Titel
"Betaversion" wechseln kurze Szenen, in denen sich Protagonistinnen aus einer fiktiven Zukunft in Pose setzen, mit der Einblendung programmatischer Kurztexte voller
Zukunftsver- und -visionen ab.

Ähnlich wie Walter Seidl mit seiner Fotoserie "D&S", in der ein androgynes Paar zu sehen ist, verweist auch Rosenberger auf den Genderdiskurs und stellt - mit den restlichen KünstlerInnen der Ausstellung - unter Beweis, dass in Graz lebende oder arbeitende KünstlerInnen sowohl ästhetisch, als auch inhaltlich durchaus auf der Höhe der Zeit sein können.

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