Salzburger Nachrichten am 26. Juli 2003 - Bereich: kultur
Ausgeklügelte und zugleich elementare Kunst

Die Sommerausstellung im Salzburger Rupertinum: "Dubuffet - Spur eines Abenteuers" - Retrospektive mit 120 Werken

Einer der Gründe dafür, warum das Werk von Jean Dubuffet ins Innerste trifft, rührt daher, dass es bei der Betrachtung Wiedererkennungs-Erlebnisse gibt. Wie in einer therapeutischen Sitzung tauchen Bilder auf, die einem vertraut erscheinen, vielleicht aus einem Leben, das man früher einmal gelebt hat. Es sind viele Bilder dabei, die große Ähnlichkeiten - zumindest in Elementen - mit jenen von Kindern haben. Sie setzen ihre Vorstellungen ganz anders um als Erwachsene, deren Äußerungen, bevor sie an den Tag kommen, mehrere kontrollierende Instanzen passiert haben.

Jean Dubuffet befasste sich intensiv mit der Kunst von Kindern und Geisteskranken. Seit 1945 sammelte er diese Kunst und seither wird der Begriff "Art brut" nicht nur für diese Art von Kunst angewandt, sondern auch für Künstler, die danach trachten, die oben erwähnten Kontrollinstanzen auszuschalten. Es dauerte lang, bis das Verständnis reifte und der Kunstbegriff auch auf die von Dubuffet genannten Kategorien angewendet werden konnte. In Österreich leistete der Psychologe Leo Navratil mit seinen Schützlingen von Gugging Pionierarbeit in dieser Richtung. Inzwischen sind die Arbeiten der "Gugginger" vom Kunsthandel hoch bewertet.

1947 gründete Dubuffet, der 1901 in Le Havre geboren wurde und 1985 in Paris gestorben ist, die Gesellschaft "Art brut", 1976 schenkte er seine Sammlung der Stadt Lausanne, wo es seitdem permanent Ausstellungen im Sinne Dubuffets gibt.

Die Ausstellung im Rupertinum, die nach ihrem Ablauf am 19. Oktober in erweiterter Form vom Guggenheim-Museum in Bilbao übernommen werden wird, dokumentiert das Werk der gesamten Schaffensphase von den vierziger bis in die achtziger Jahre. Guggenheim ist einer der wichtigsten Leihgeber, dazu kommen das Museum für Angewandte Kunst in Paris und viele private Leihgeber. Es ist gelungen, außerordentliche Raritäten zu versammeln.

Dubuffet begann damit, dass er auf spezielle Art auf die Natur einging: In der Absicht, ihr besonders nah zu sein, stellte er Collagen her, etwa aus Blättern, aber auch aus farbigen Schmetterlingsflügeln. Immer wieder aber benützte er als Elemente für die Collagen auch Miniaturteilchen aus eigenen Arbeiten. Das Ergebnis ist eine unverwechselbare Struktur, die für einen großen Teil des Werks kennzeichnend ist.

Drei Phasen auf drei Stockwerken

Drei Phasen im Lebenswerk Dubuffets werden auf drei verschiedenen Stockwerken präsentiert. Die oben beschriebene Arbeitsweise behielt der Künstler bis etwa 1960 bei. Im zweiten Stock sind seine "Groß-stadtbilder" zu sehen. Auf den gro-ßen Formaten tummeln sich unzählige Gestalten. Unzählig sind sie buchstäblich, weil jeder Versuch, sie numerisch zu erfassen, scheitern würde. Es sind amüsante Gestalten, die die Kaufhäuser und Straßen bevölkern, und es sind lebendige, farbenfrohe Bilder.

Dubuffet entwickelte eine ganz individuelle Ästhetik, eine Bildersprache, deren "Silben" wie schwarz umrandete Puzzleteilchen aussehen. Und aus diesen Puzzleteilchen setzte er eine umfassende Bilderwelt zusammen. Übrigens übersetzte er diese Bilderwelt auch in die Dreidimensionalität. So schuf er einen ganzen theatralischen Kosmos. Teile dieses großen, plastischen Zyklus (das "OEuvre L'Hourloupe" wurde zum "Coucou Bazar" ausgeweitet) sind in der Arkadenhalle ausgestellt.

Neuanfang im Alter von 73 Jahren

Im Jahr 1974 brach Dubuffet diesen Weg abrupt ab. Er verließ sein Universum und setzte im Alter von 73 Jahren nochmals neu an. Die Resultate sind im dritten Stock des Rupertinums zu sehen. Die groß-flächigen Arbeiten erscheinen in den Farben Schwarz, Rot und Blau spontan hingeworfen, erweisen sich aber bei näherer Betrachtung als kalkuliert komponiert. Und zwar bestehen sie aus Modulen, die in einem betimmten Rhythmus angeordnet sind.

Die drei Geschosse im Rupertinum bestehen jeweils aus einem kleineren und einem größeren Raum. Die Aufteilung erlaubt es, die zu jeder der erwähnten Schaffensperioden gehörenden Papierarbeiten dem kleineren Raum zuzuordnen. Hier verhält sich Dubuffet experimentierend und erprobt gleichsam, was er in den Hauptwerken verwirklicht.

Zur Ausstellung ist eine Publikation, die alle gezeigten Werke abbildet, im Prestel Verlag erschienen. Die kartonierte Ausgabe liegt als Katalog vor. Ein großer Beitrag darin stammt von der Kuratorin der Ausstellung, Caroline Messensee.

WERNER THUSWALDNER