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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
21.07.2002
22:00 MEZ
Die Faszination der Selbstentfriedigung
Japanische Gegenwartskunst in Innsbruck

Von
Petra Nachbaur

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japantirol.at

Bis 28. 9.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
 
Foto: Kunstraum/Kishimoto
Taiyo Kimura
"Performance ..." (1997)
kunstraum-
innsbruck.at

Innsbruck - Weiche Brüche heißt die Ausstellung japanischer Kunst der Neunziger im Kunstraum Innsbruck. Was Kurator Markus Neuwirth so verstanden wissen will, wie es von einer Textilie heißt, dass sie "bricht". Nicht abrupt also, sondern in einem Prozess des Aufgeriebenwerdens, der Einbrüche in die Kontinuität. Positionen, die in ihrer Ästhetik nah sind und doch sehr genau auf soziale Phänomene im heutigen Japan eingehen, bringen die Faszination der Selbstentfriedigung auf den Punkt.

Im Winkel einer hellen Flucht ein weißer Teddy, mit Hunderten schwarzen Augen bestickt. Aus der Nähe sind die Knopfaugen Ohrknöpfe, sonst nach innen gestöpselt, hier nach außen gerichtet: 400 Kopfhörer, von denen 16 verschiedene Radiosender aus dem Plüschbär brabbeln, zischen, spielen - Reizflut bis zur Gleichschaltung der vollen Stunde - Nachrichten. Das Ganze nennt sich "Black Hole" und ist eine Installation von Taiyo Kimura.

Nächster Streich des 1970 geborenen Künstlers ist ein Quader mit zahllosen Papierröllchen, in denen auf Spiralfedern kinderfingernagelgroße Fotos lachender Gesichter befestigt sind, die von Massagemaschinen zum Zittern gebracht werden und dem kollektiven Vibrator einer Massengesellschaft huldigen.

Erst sekundär paradox ist das Stillleben mit See und Dosenbier von Midori Mitamura. Das Video ist stumm, Klang ertönt aus dem gegenüberliegenden "Still". In Mitamuras zweiter Arbeit untermalt Barockmusik familiäre Guckkasten-Enge: Im Partnerlook wirft ein Elternpaar seinen "Partner-Look" auf die Welt und wird dabei von der (Kunst-) Welt beobachtet.

Yoshitomo Nara hört während der Arbeit ständig Musik, seine Arbeiten sind so ruhig wie beunruhigend: glatte Halsbandhunde und kleine Mädchen, die zwischen der Traurigkeit einer fremden Alice und den Monsterfigürchen eines Computerspiels changieren. Große grüne Augen haben sie, oft einen Vampirzahn im Mundwinkel, manchmal einen Tschick.

"Too young to die" heißt das dann, und die grausame Wahrheit, dass viele japanische Kinder unter extremem Leistungsdruck auch "too old to rock 'n' roll" sind, ist Naras ganzem Werk eingeprägt.

Woanders bewegt sich Takahiro Suzuki mit seinem performativen Kalligrafie-projekt "Ikiro": Seit Jahr und Tag besteht das Leben des Jungen darin, ein einziges Schriftzeichen zu malen - das "Leben" bedeutet.

Provokant platzierte Wandkritzeleien, ausgetüftelte Beengtheiten und raffiniert durchkomponierte Lichtverhältnisse machen die Ausstellung insgesamt zu einer packenden, harten Sache. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2002)


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