Aktionist und Kommunengründer: Leopold Museum
gibt Einblicke in Rudolf Leopolds Otto-Muehl-Bestände
Relikte einer geplatzten Revolution
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Otto Muehls Werk "Ohne Titel" aus 1984 zeigt seine gelungenen
Farbkombinationen. Foto: VBK Wien, 2010
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Von Brigitte
Borchhardt-Birbaumer
240 Werke
Otto Muehls finden sich in der "Sammlung Leopold II".
Umstrittener Künstler und seine gescheiterte
Utopie einer neuen Gesellschaft.
Wien. Bewusst stellt
Kurator Diethard Leopold die Serie der Paraphrasen nach Vincent van
Gogh, die Otto Muehl 1984 bis 1987 am Friedrichshof im Kreise seiner
Kommune gemalt hat, ins Zentrum der Schau. Nach dem Vorwurf, eine
sektiererische Gemeinschaft gebildet zu haben, wandte sich Muehl von
kollektiv-therapeutischen Malaktionen wieder dem einsamen Tun im Atelier
zu.
Die Schau der Werke aus der privaten "Sammlung Leopold II" spart die
Darstellung der gescheiterten gesellschaftlichen Utopie mit der später
in ganz Europa tätigen aktionsanalytischen Organisation weitgehend aus,
um die "künstlerische Seite" und damit "Qualitätskriterien" in den
Vordergrund zu rücken. Der "Weg in die kritische Debatte" soll zum 85.
Geburtstag Muehls am 16. Juni, wie Diethard Leopold erörtert, eröffnet
werden.
Der Schau waren Proteste von ehemaligen Kommunen-Mitgliedern Muehls
vorangegangen. Man wolle verhindern, dass "Muehls Verbrechen zur Kunst
erklärt und ausgestellt werden", hieß es in einer Stellungnahme. Dass
sich Muehl nun in einem Brief für jene Taten entschuldigt, für die er
1991 zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, unterstützt
die Schau in moralischer Hinsicht. Die Frage bleibt aber, ob die Bilder
ohne das Wissen um die Aktionen und das aus ihnen bis heute sprechende
Statement einer eigenen Gesellschaftsordnung für sich selbst existieren
können. Wären sie nicht von Muehl und wäre da nicht die Abkehr vom
Ausstieg aus der Kunst und die gelungene Heimkehr ins vormals
verteufelte Museum, würden nur wenige Exponate den strengen
Qualitätskriterien von Gegenwartskunst standhalten.
Stimme der Opfer
Das Leopold Museum hat sich den Debatten der Kritiker, allen voran
der Gruppe "Re-port", bestehend aus gegnerischen ehemaligen Kommunarden,
geöffnet und hat den Opfern des sexuellen Missbrauchs durch den
ehemaligen "Häuptling" – einer zur wilden
Natur und enthemmter Sexualität zurückgekehrten "Stammesgesellschaft"
– eine mächtige Stimme gegeben. Auf der Website des Leopold Museums
sind der Brief Muehls und ein Interview des Kurators mit der Gruppe
"Re-port" zu lesen. Die Porträtserie der Opfer aus 1981/89 wurde mit
Hilfe von Experten wie Hubert Klocker und Danièle Roussel ausgesiebt. Da
Rudolf Leopold im Ganzen 240 Werke von der Genossenschaft Friedrichshof
und der Restkommune "artlife" im südportugiesischen Faro gekauft hat,
ist diese "Reinigung" innerhalb der Bildserie der "Unfälle im Haushalt"
möglich. Sie bleiben wie ehedem Goyas "Nackte Maja" nur dem privaten
Blick des Sammlers ausgesetzt.
Der als Psychotherapeut tätige Ausstellungsmacher Diethard Leopold
hat entschieden, den nach heftiger Kritik geänderten Film "Becoming
Otto" von Vincent Juillerat (2010) zu zeigen. Die Opfer hatten ihre
"Lächerlichmachung" und die Relativierung der Gerichtsszenen kritisiert.
Der Wunsch nach Zensur geht dem nur zuweilen als Kurator tätigen
Anhänger japanischer Philosophie und des Zen-Buddhismus aber zu Recht zu
weit. Ein generelles Ausstellungsverbot für Muehl zu fordern ist falsch
– es hätte gesteigerte Popularität zur Folge. Und auch wenn Muehl zwölf
Gesetze für seine Kommune erlassen hat, wobei der längste Passus die
freie Sexualität fern von der Kleinfamiliebetrifft, gibt es keine
Watchlist für Kunst in Demokratien.
An drei Kuratorenführungen wird während der Schau jeweils ein Film im
Vortragssaal von Terese Schulmeister anschließen. "Vincent", "Back to
Fucking Cambridge" und "Andy’s Cake" weisen dem Blick der Besucher die
Rolle von Voyeuren zu – wie in Zeiten der Muehl’schen "Totalrevolution".
Das muss keine Degradierung bedeuten, zumal hinter der Kamera in
diesem Fall eine Frau steht und der Wechsel der Geschlechterrollen in
Aktionen angedeutet wird – wie jenen von Joseph Beuys. Ein in
Damenwäsche tanzender Mann bedeutet aber noch nicht, dass Aktionen
feministisch sind. Die Dominanz des Männlichen verfehlt die ambivalente
Haltung der Gegenwartskunst. Deshalb ist Muehls Malerei nur schwer mit
den "Neuen Wilden" ab Georg Baselitz und Jörg Immendorf oder dem US-
amerikanischen "bad painting" vergleichbar. Eher ist sie im klassischen
Expressionismus und Tachismus verhaftet. Gelungene Farbkombination,
dynamischer Pinselstrich und Paraphrase der Kunstgeschichte werden
lediglich um das Geschlechtliche bereichert. Das Einfügen aktiver
Umtriebe allein ändert aber nicht den Charakter der Bildfindung. Damit
ist er Hrdlicka näher als Kippenberger.
Naive sexuelle Enthemmtheit
Im Bilderkreis "Selbstdarstellung" 1978/81, parallel zum zentralen
Therapieansatz im krausen Mix von Wilhelm Reich und Karl Marx der
Kommune, werden die Gesten des psychodramatischen aktions-analytischen
Theaters durch geradezu naiver Offenlegung sexueller Enthemmtheit
einseitig männlich beleuchtet. Das eigentliche Freiwerden kreativer
Energien, wozu auch die Darstellung weiblicher Lust zählt, sabotiert
sich selbst durch ein zwanghaftes Festhalten an Strategien der
Eskalation aus der "Männerschmiede" des Wiener Aktionismus. Zur
"Theologie der Provokation" gesteigert hat Kunst als Religion den
gnostischen Beigeschmack der Lust an Zerstörung. Die damit an die
Romantik angelehnte Utopie vom Etablieren einer neuen
Gesellschaftsordnung nach revolutionärer Vernichtung ist längst als
"Scheitern der Avantgarden" erkannt worden.
Die einseitige Meinung über den Wandel des Künstlers vom angebeteten
Schamanen zum schwarzen Zauberer lässt Diethard Leopold dennoch nicht
gelten. Er sieht in der Befreiung von Zwängen innerhalb des kommunalen
Experiments Positives; Muehls therapeutische Arbeit will er nicht durch
die Pervertierung seines Machtanspruchs gegenüber seinen Kommunarden
zerstört wissen. Die "wüste Missionierung" der ihn umgebenden
bürgerlichen "Wichtel" hat "Der Spiegel" nach der skandalisierten Aktion
"Kunst und Revolution" 1968 verleitet, vom "Unhold aus der Ostmark" zu
sprechen. Mit dem behördlichen Abtransport seiner frühen Materialbilder
aus dem Atelier in der Perinetgasse – der "Urhöhle" des Aktionismus in
Wien – zeigt sich Unverhältnismäßigkeit auf beiden Seiten.
Prägende Jugenderlebnisse
Muehl war in seiner Jugend in die Fänge der Nationalsozialisten
geraten und kämpfte in der Ardennenoffensive. Diese Jugenderlebnisse
sind für den Psychotherapeuten als Kurator nicht zu löschen. Sie können
in einen Führerwillen umschlagen. Die Befreiung durch die 1968er
Generation ist durch die Unterwerfung der Kommunarden offenbar
umgeschlagen. Aus heutiger Sicht ist es leichter, Muehls Bildproduktion
qualitativ unter seine Aktionen zu ordnen. Der Wert eines Gemäldes, etwa
150.000 Euro, kommt aus dem Interesse der Museen und privaten Sammler
zustande und stützt sich auf den Rang, der dem Wiener Aktionismus
beigemessen wird. Als kleine Draufgabe ist immer der Skandal im Spiel,
der als ritueller Zauber die Kunstszene in Pseudoprogressivität wach
hält.
Alles "Omo Super" (ehemaliger Aktionsname Muehls) im Wiener Nachleben
Sigmund Freuds nach der moralischen Einsicht? Irgendwo hallt das Echo
eines anderen Otto, des Kritikers Otto Breicha, der davon sprach, dass
Muehl jedes Jahr mit einem anderen "Gott" daherkomme.
Leopold Museum: "Otto Meuhl." http://www.www.leopoldmuseum.org
Printausgabe vom Freitag, 11. Juni 2010
Online
seit: Donnerstag, 10. Juni 2010 18:34:00
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