Leben heißt, Fäden spinnen

Die Faszination von Rosemarie Trockels Kunst ist auch auf ihren gekonnten und unbeschwerten Umgang mit den unterschiedlichsten Materialien zurückzuführen.


Rosemarie Trockel arbeitet mit Video und Fotografie, mit Stahl, Gips, Stoff und Bronze. Mit Draht, Holz oder Aluminium, sie gebraucht den Zeichenstift, und je nachdem elektronisches Zubehör, oder Herdplatten, Wolle, Haare und Wachs. Sie beteiligt Schauspieler, Mücken, Raupen, Silberfische, installiert Eier oder lässt Milch durch den Kompressor in den Museumsraum spritzen. "Sie spricht von Dingen durch Dinge", wie es Jean Christoph Ammann formuliert hat, wobei sie kein spezifisches Material bevorzugt.

Material in der Historie

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Kunst ein zwiespältiges Verhältnis zur Materie. Es herrschte eine gewisse Verehrung des Geistes vor und Genie stand höher als das manchmal sperrige Material. Andererseits entwickelte sich nach Goethes Aufsatz "Materialien der Bildenden Kunst" die These, dass der Künstler Sklave der Materie sei. Schon bald entstand die Unterscheidung von edlen und unedlen Materialien, wobei die Rohstoffe wie Marmor und Bronze als hehre Grundstoffe galten. Trockel bedient sich hingegen Materialien, denen eine gewisse Peinlichkeit anhaften: Wolle zum Beispiel.

Weibliche Spinnstuben

Stricken, Sticken, Häkeln und Weben genießen kein großes Ansehen und werden immer mit der Sphäre des Haushalts assoziiert. Sie genießen kein Ansehen, weil es sich um traditionell weibliche Tätigkeiten handelt, die im patriarchalischen Produktionsprozess nicht vorkommen. Dennoch sind sie elementar, denn wo wären in früherer Zeit all die Kleidungsstücke hergekommen?

Gestrickte Welten

Trockel titelt eine ihrer Arbeiten: "Leben heißt Strumpfhosen stricken". Auf der Fotografie ist eine Frau auf dem Bauch liegend zu sehen, die eine von der Kölner Künstlerin entworfene Strickstrumpfhose trägt. Eine weitere Arbeit von 2001 heißt "Living means I tried everything" und zeigt wiederum die Fotografie einer am Bauch liegende Frau, deren Pullover ein großes Loch zeigt und von toten Spatzen umringt ist.

Neben den Strickbildern gibt es Wollkleider, die an verschiedenen Stellen in Vaginaform aufgetrennte Schlitze aufweisen. Die Künstlerin agiert hier als Hofnärrin, die Lucio Fontanas Bildschnitte frech zitiert. In dem Videofilm "Selbstporträt" von 1999 wird die wollene Hülle um eine Flasche aufgetrennt und bei diesem Striptease kommt eine Wodkaflasche zum Vorschein. 1995 entwarf sie mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Carsten Höller das "Kaschmirhaus", wo sich durch einen mit Kaschmir umwickelten Kubus Motten durchfressen und hin und her fliegen.

Schweine, Silberfischleins und Motten

Trockel ist gleichsam an Menschen wie auch an Tieren interessiert. Gemeinsam mit Carsten Höller entwarf sie bei der documenta X 1997 ein "Haus für Schweine und Menschen", wo sie den Stall und einen Auslauf für eine Hausschweinefamilie gestaltete. Der Besucher konnte hinter Glaswänden die Schweine beobachten. "Jedes Tier ist eine Künstlerin" meint Trockel und erweitert mit Humor den altbekannten Spruch von Joseph Beuys. Sie baute mit Höller ein veritables Badezimmer für Silberfischchen und inszenierte, angeregt durch das natürliche Verhalten der Prozessraupenspinnen hintereinander zu gehen, eine Art Raupenballett (Parade 1993).

Eier, Hühner, Farbflecken

Eier sind ein weiteres Material, das Trockel beschäftigt. Das Ei als Symbol des Weiblichen, des Ursprungs des Lebens, dessen Inhalt zunächst flüssig und unförmig ist. Trockel gestaltete 1998 einen Eiervorhang aus ausgeblasenen Eiern, der an Reproduktionszwang und Legebatterien erinnert. Im Video "Out of kitchen into fire" zeigt eine nackte Frau, die ein mit Tinte gefülltes Ei in den Hintern geklemmt hat und es unter hühnerartigen Gebärden fallen lässt. Ein Farbfleck entsteht. Mit diesem haarsträubenden Zusammenspiel von Frau, Huhn, Ei, Schöpfungsakt, Performance werden die Schönen Künste hintertrieben. Bequeme Wahrnehmungsgewohnheiten und gesellschaftliche Verhaltensmuster werden empfindlich gestört. Rosemarie Trockel - eine Künstlerin der anderen Art.

Link: Trockel im Internet

Radio &sterreich 1