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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | documenta XII 
27. Februar 2007
19:28 MEZ
Zur Person:
Roger Martin Buergel, geboren 1962 in Berlin, studierte in Wien und war zuerst als Sekretär und Assistent von Hermann Nitsch, später als Kurator tätig. 2003 wurde er als künstlerischer Leiter der documenta 12 berufen. Er lebt und arbeitet derzeit in Kassel zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der Kunsthistorikerin Ruth Noack. 
Foto: Andy Urban
Roger Buergel im Gespräch: "Für den Besuch der documenta wird die Lektüre von Theorieessays nicht nötig sein."

Der Motivforscher als Netzwerker
Ab 16. Juni ist Kassel wieder einmal der Nabel der internationalen Kunstwelt: Der Leiter der documenta 12, Roger M. Buergel, im STANDARD-Interview

STANDARD: Wie darf man sich das, was in Kassel auf uns zukommt, vorstellen? Programmatische Fragen wie "Ist die Moderne unsere Antike?" signalisieren eine gewisse Theorielastigkeit.

Roger M. Buergel: Da kann ich Sie beruhigen. Für den Besuch der documenta 12 wird die Lektüre hunderter Seiten und Theorieessays nicht notwendig sein. Wir setzen schon ganz stark auf Affektivität.

Das Problem einer solchen Ausstellung ist bekanntermaßen, dass man mit sehr viel heterogenem Zeug umgehen muss. Klar, es gibt eine europäische Moderne, mit der ich mich assoziiere und die ich kenne. Eine Moderne in Indonesien oder in Südafrika oder im Libanon sieht aber ganz anders aus. Soll man also Kunstrichtungen thematisch oder geopolitisch gliedern? Das will ich nicht.

Es gibt aber verwandte Formenmotive, Korrespondenzen, die man zueinander in Bezug setzen kann. Wir stellen also Sachen nebeneinander, die sich auf dieselben Ressourcen beziehen, aber zu unterschiedlichen Lesarten kommen.

STANDARD: Könnten Sie uns das mit einem konkreten Beispiel veranschaulichen?

Buergel: In Vorträgen bringe ich gerne das Motiv der Kordel ins Spiel. Bei uns gibt es die Figur der Justitia, die die Kordel, die Concordia, aushändigt, und die Bürgerschaft zieht dann sprichwörtlich an einem gemeinsamen Strang. Dagegen gäbe es zum Beispiel ein Bild einer niederländischen Fotografin, auf dem man marokkanische Jugendliche vor dem Rathaus in Amsterdam sieht, die von einer antiamerikanischen Demonstration ausgeschlossen sind, weil sie da die US-Fahne verbrennen wollten. Ihren Unmut dürfen sie nicht zum Ausdruck bringen, auf die Entscheidungsprozesse drinnen im Rathaus haben sie keinen Einfluss: eine typische fragmentierte Gemeinschaft, wie ich sie zum Beispiel auch bei den Jugendlichen in der Karlsplatzpassage vorfinde. Einerseits sind die aufgrund diverser Umstände "Gruppe", andererseits können sie aber kein gemeinsames Anliegen darlegen und umsetzen.

Hier die geschlossene Gemeinschaft, die an einem Strang zieht, dort eine Gruppe zwischen den Seilen: Es ist, glaube ich, ganz produktiv, solche Motive zu verfolgen. Man muss natürlich aufpassen, dass man dann nicht irgendwann schwarze Quadrate mit grünen Rechtecken vergleicht. Aber als Ausgangspunkt für eine Ausstellungskomposition finde ich die Methode tauglich.

STANDARD: Ist das für ein breites Publikum nachvollziehbar? Entsteht da nicht ein riesiger Erklärungsbedarf?

Buergel: Es reicht doch, wenn die Leute aufs Erste einmal nur hingucken. Sicher, manche kriegen dann die Panik und fragen: Wie soll das ein normaler Mensch verstehen? Und seit zwei Jahren erreichen uns vermehrt Anfragen, welche Vermittlungsangebote es bei der documenta geben wird. Warum soll man aber in Zwei- Stunden-Führungen jemandem die Welt erklären? Ich bin eher dafür, insgesamt eine Gesprächssituation zu schaffen, in der alle gemeinsam, die Künstler und das Publikum, die Verantwortung haben, Bedeutung zu erarbeiten.

STANDARD: Im ersten documenta-Magazin schreiben Sie: Es gebe Missverständnisse, die die Erfahrung mit Kunst behindern. Was wäre für Sie so ein Missverständnis?

Buergel: Zum Beispiel, dass ein Kunstwerk einen fixen Bedeutungskern hat, und dass man, wenn einem dieser Kern geliefert wird, alles verstehen und quasi mit nach Hause nehmen kann. Ich finde aber an Kunst gerade das so wunderbar, dass man in der ästhetischen Erfahrung die Integrität des eigenen Selbst nicht mehr aufrechterhalten kann.

Man kommt einem Kunstwerk erst nahe, wenn man sich aufmacht. Viele Leute wollen aber immer die gleichen bleiben: möglichst das Unkontrollierbare an ästhetischer Erfahrung in den Griff kriegen! Der kunsttheoretische Akademismus und die Cultural-Studies-Lastigkeit der letzten Jahre hat dieser Haltung total zugearbeitet.

STANDARD: Aber ist nicht das documenta-Magazin mit Fragen wie "Ist die Moderne unsere Antike?" eine Fortführung dieses Akademismus?

Buergel: Gegen Information, Bildung und die Möglichkeit, Zusammenhänge aufzuzeigen, ist nichts einzuwenden. Dafür scheint mir unser Magazin-Netzwerk das richtige Medium zu sein. Wie das beim Publikum dann ankommt, steht auf einem anderen Blatt. Das, was ich bis jetzt im Magazin gelesen habe, scheint mir relativ Jargon-unabhängig zu sein.

STANDARD: In Ihrem Essay im Magazin befassen Sie sich mit der ersten documenta 1955 unter der Leitung von Arnold Bode, bei der es quasi um die Frage ging: Welche (auch historischen) Tendenzen der Gegenwartskunst sind vertrauenswürdig und gesellschaftspolitisch produktiv? Auch Catherine Davids "retroperspektivischer" documenta X können Sie unter diesem Aspekt einiges abgewinnen. Wie ist es für Sie, im Rahmen eines solchen Kolosses Position zu beziehen?

Buergel: Natürlich schmeichelt einem der ganze Kunstbetrieb und rollt die roten Teppiche aus. Mit ein bisschen Intelligenz kann man aber vorhersehen, was davon nach der documenta noch übrig ist.

Der Kurator als Über-Ich funktioniert für mich nicht. Akkumulation von Netzwerken, Macht und Information ist für ein Individuum tödlich. Ich persönlich tendiere immer dahin, Dinge an Leute zu delegieren, die davon auch wirklich etwas verstehen. So etwas wie das Magazin hätte ich nie selber gemacht. Die Filmschau macht Alexander Horwath. Und in der Ausstellung selber gebe ich den Künstlerinnen und Künstlern möglichst großen Spielraum: Sie sieht dann auch anders aus.

Man muss dem Kontrollwahn entsagen, aber präzise bleiben, kohärent argumentieren. Insofern stecken unsere drei Suchbegriffe "Moderne", "Leben", "Bildung" einen hilfreichen Raster ab. Innerhalb und mitunter auch ein wenig außerhalb dieses Bermudadreiecks formieren sich die Dinge.

STANDARD: Was bedeutet hier Recherche, vor allem in Kulturen, die sich dem westlichen Blick schwerer erschließen?

Buergel: Die Gefahr droht von zwei Seiten. Zum einen sind da die eigenen Limits, zum anderen: Es gibt kaum ein Land, das nicht einen eigenen Art Council hat, wo bestpräparierte Leute ganz genau wissen, was sie einem wie anpreisen können. Georg Schöllhammer hat einmal gesagt: "Egal, wo man hinkommt: Die erste Hand, die man schüttelt, ist mit Sicherheit die falsche."

Insofern war das Netzwerk von 90 internationalen Kunstmedien, das Schöllhammer mitorganisiert hat, auch hilfreich, weil es uns Kontakte mit Leuten ermöglicht, die zwar nicht unbedingt die großen Agenden verwalten, aber an konkreten Themen arbeiten - und mir halt auch oft persönlich sehr sympathisch sind.

STANDARD: Sie leben und arbeiten seit geraumer Zeit in Wien. Wenn man nun sieht, dass etwa Schöllhammer und Horwath in prominenten Funktionen mit Ihnen kollaborieren, könnte man vermuten, dass auch heimische Künstler bei dieser documenta besonders viel Raum bekommen werden.

Buergel: Ja, ich bin sehr stark durch Wien sozialisiert und sehe auch keine Veranlassung, aus mir so eine Art globales Subjekt zu machen. Drei, vier Jahre Vorbereitung für so eine Ausstellung, das ist nicht viel Zeit. Da verlasse ich mich halt auf Leute, die ich seit zehn bis fünfzehn Jahren kenne. Ob das dann bedeutet, dass statistisch mehr österreichische Künstler als sonst gezeigt werden, könnte ich jetzt gar nicht sagen. Wirklich wichtig ist mir, ausgehend auch vom Thema "Bildung", dass wir hier etwas schaffen, was die meisten Museen nicht leisten: gründliche Recherche und Raum für wesentliche Künstler, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren im normalen Betrieb keine Chance erhalten würden. Dafür muss man dann wohl mitunter auf etablierte, ohnehin öfter präsentierte Positionen verzichten.

STANDARD: Verspüren Sie so etwas wie Quotendruck?

Buergel: Nein, was die Besucherzahlen betrifft, hat man mir keine Auflagen gemacht. Publikumströme sind aber auch was Irrationales. Setzen sich die Leute wegen eines Logos in Bewegung, wegen Künstlernamen, wegen Zeitungskritiken? Keine Ahnung. (Markus Mittringer, Claus Philipp/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 2. 2007)


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