29.05.2003 19:24
Die Entwaffnung Ottakrings
Ein
Wiener Künstler tauscht Waffen gegen Kunstwerke
Wien - "Haben Sie eine Waffe abzugeben?", fragt Patrick
Baumüller die junge Frau vor dem Schalter. "Ja", sagt sie: "eine Damenwaffe." -
"Herkunft, Typ?" - "Na ja - es ist vielmehr eine Spielzeugwaffe. Man kann
Knallpatronen hineintun. Aber sie sieht aus wie echt - passt auch in jede
Handtasche." Er schreibt alles auf, nimmt die Waffe entgegen, zeichnet ihre
Umrisse auf ein Blatt Papier, klebt sie fest: "Welches Kunstwerk möchten Sie
dafür haben?"
Baumüller ist nicht Waffensammler, sondern Künstler.
Ottakring "zu entwaffnen" ist sein Projekt. Bürgerinnen und Bürger sind gebeten,
Waffen oder das, was sie darunter verstehen, bei seiner "Waffen Einzugs- und
Transformations-Organisation" (W.E.T.O) am Yppenplatz abzugeben. Im Tausch gegen
den "gefährlichen Gegenstand" erhalten sie ein "sanftes" Kunstwerk - etwa eine
Zeichnung, einen Abdruck, ein Foto oder Ge- mälde.
Die Transformation von
Waffen in Kunst? Nicht ganz. Denn die Taschenmesser, Spielzeugpistolen,
Schwerter, Feuerzeuge oder was immer noch an gefährlichen Gegenständen im Laufe
des Festivals "Soho in Ottakring" dazukommt, bleiben erhalten: Die Waffen kommen
in ein Arsenal. "Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation, wo Entwaffnung,
Gewalt und Krieg von extremer Brisanz sind, möchte ich in einer Vitrine
sozusagen eine entrückte Welt der Waffen anlegen", sagt der in Tirol geborene
Künstler: Wer Wertgegenstand (Waffe) gegen Wertgegenstand (Kunstwerk) tauscht,
nimmt an einer künstlerischen Aktion teil. Die Begegnung von Kunst und Waffen
soll aber noch eine andere Frage aufwerfen. "Heute können die Mächtigen mit
Waffen sehr viel erreichen", meint Baumüller: "Sind Kunstwerke als Waffen gegen
vorherrschende Systeme zu verstehen?", und: "Was kann man mit Kunst erreichen?"
(Eva Stanzl/DER STANDARD, Printausgabe, 30.5.2003)