Unter dem Karlsplatz will die Stadt Wien ihrem Kunst- und
Kulturbetrieb zusätzliche 4000 Quadratmeter Ausstellungsfläche auftun. Das
kündigte Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny in einem Interview in der
"Presse" (Donnerstagausgabe) an. Die dort nach dem Ausbau einer
U-Bahn-Umkehrschleife plötzlich bekanntgewordene Raumreserve soll vom
Historischen Museum der Stadt Wien und vom Künstlerhaus-Verein "bespielt"
werden.
Die Pläne der Stadt Wien lösten erwartungsgemäß eine
Diskussion in der Ausstellungs- und Museumsszene aus. Konkurrenzneid?
Elisabeth Leopold, Mitdirektorin im neuen Leopold-Museum (der
Sammler Rudolf Leopold weilte am Donnerstag im Ausland), weist solche
Gedanken zurück: "Ich sehe darin überhaupt keine Konkurrenz. Mich stört
kein Quadratmeter mehr für die Kunst. Wenn das nicht ankommt, sind die
Betreiber selber schuld. Die Kunst soll den Leuten Spaß machen."
Künstlerhaus städtisch?
Fast uneingeschränkt wird das Vorhaben von Gerald
Matt, dem Geschäftsführer der städtischen Kunsthalle im
Museumsquartier, begrüßt; er ist neuerdings auch Mailath-Pokornys Berater
in Museumsfragen und behielt auf dem Karlsplatz eine Kunst-Dependance samt
einem gut frequentierten Terrassen-Café. Er hat jüngst ein neues Konzept
für das Historische Museum am Karlsplatz entwickelt, mit dem dort der Ära
von Direktor Günter Düriegl im nächsten Jahr ein Ende bereitet werden soll
- und kennt offenbar die magistratsinternen Kalküle genau.
Der "Presse" antwortete er: "Wenn das reine
Wechselausstellungsflächen wären, würde ich das sehr problematisch sehen.
Eine Erweiterung der musealen Flächen wäre positiv. Es hängt immer von der
Qualität ab, die man den Flächen gibt. Aus der Erfahrung kann man sagen:
Ein Mehr an Angebot hat auch ein Mehr an Nachfrage geschaffen. Der Plan,
den wir mit Historischem Museum und Künstlerhaus besprochen haben, war,
die beiden stärker miteinander zu verbinden. Ein Teil der Sammlung des
Historischen Museums könnte etwa im Künstlerhaus präsentiert werden, die
finanzielle Zukunft des Künstlerhauses wäre gesichert, und in den neuen
Räumen hätte man Platz für die zeitgenössische Kunst."
Diese faktische Eingliederung des bisher privaten
Künstlerhaus-Vereins in die städtische Museumspolitik ist Teil einer von
Mailath-Pokorny vorbereiteten Werbeaktion für alle dort ansässigen
Kunst-Institutionen - wie etwa für Musikverein und Secession. Matt, dem in
der Kunsthalle vier Millionen Euro Jahresbudget zur Verfügung stehen: "Das
Konzept Kunstplatz Karlsplatz ist toll! Es ist das genaue Gegenteil zum
Museumsquartier. Die Autos fahren durch - nicht vorbei. An einem Ort wäre
Kommunikation, Geschwindigkeit, urbane Verdichtung vereint. Alle zwei
Jahre könnte aus den Kapazitäten der beiden Häuser mit unterschiedlichen
Kompetenzen ein Thema besetzt und international gefeatured werden."
Skeptischer äußert sich Peter Noever, Direktor des
(Bundes)- Museums für angewandte Kunst - der kürzlich selber für den
Flakturm im Arenberg-Park unterm Titel "Contempory Art Tower" (CAT)
zusätzlichen Raumbedarf angemeldet hat: "Möglicherweise ist das eine
Reaktion auf CAT und das Museumsquartier. Das gibt sicher einen gesunden
Konkurrenzkampf. Die Idee selbst halte ich für positiv und naheliegend,
aber man muß überlegen, ob es hier nicht nur um eine Identitätssicherung
der Stadt Wien gegenüber dem Bund geht."
Konkreter äußert Edelbert Köb, der neue Direktor
des Bundesmuseums für moderne Kunst - Stiftung Ludwig im neugebauten
Museumsquartier seinen Einwand: "Es sollte keine getrennten
Museumsordnungen der Stadt und des Bundes geben, kein getrenntes rotes und
schwarzes Gesamtkonzept. Die Frage ist, wer zahlt den Betrieb, und was
findet dort überhaupt statt? Ein weiteres Parallelprogramm
zeitgenössischer Kunst, wie es etwa Noever und Matt schon machen?"
Noever kritisiert das Prozedere des Magistrats, der nach
Jahren des Planens und Bauens nun erstmals die Kunst als Zweckwidmung ins
Gespräch bringt: "Als Geschäftsmann baut man nicht vorher ein Gebäude und
überlegt erst dann, womit man es füllt. Die erfolgreichen Museen sind
dort, wo es einen Direktor mit Leidenschaft für Kunst gibt, nicht wo die
Politiker sind. Wenn man Strukturen schafft und erst dann schaut, was dort
gespielt wird - das ist der falsche Weg. Inhalte sind wichtiger als eine
ständige Aneinanderreihung von Solitären."
Konkurrenz zum CAT, meint Noever, sei die
Untertag-Ausstellung am Karlsplatz keine - sein CAT werde anders
positioniert.
Generaldirektor Wilfried Seipel ringt um seine
Publikumsrekorde im Kunsthistorischen Museum ohne eine eigene
Sonderausstellungshalle: "Wie und womit alle diese Flächen einmal
bespielt und damit auch finanziert werden können, erscheint mir
mehr als fraglich zu sein. Ganz abgesehen davon, bin ich mir nicht sicher,
ob dieses Überangebot an Ausstellungsflächen überhaupt wünschenswert und
zielführend ist - die Ökonomie der Aufmerksamkeit fordert ihr Recht!"
"Sinnvoller wäre es gewesen", so Seipel, "das bestehende
Künstlerhaus und seine rund 2500 Quadratmeter Ausstellungsfläche zu
sanieren, statt zusätzliche 4000 unterirdisch einzurichten. Die
Gigantomanie in der Schaffung neuer Ausstellungsflächen in Wien scheint im
Augenblick wenig zielführend - umso mehr als eine Reihe von bestehenden
Ausstellungsflächen, wie etwa im MAK oder im Schottenstift, nicht mehr
ausreichend finanziert werden können. Vielleicht sollte man Kassenhäuschen
an den Stadteinfahrten positionieren und ganz Wien zu einer
Sonderausstellungsfläche erklären."
Klaus Albrecht Schröder, Chef der Albertina, steht
vor der Neueröffnung zusätzlich neugebauter Ausstellungsräume im nächsten
März. Er meint, daß man alles vermeiden soll, was die Wiener
Ausstellungsflächen weiter vermehren würde. Denn: "Das Publikum wächst
nämlich nicht mit den Flächen im selben Ausmaß mit."
"Haben wir nicht genug?"
In der Österreichischen Galerie im Oberen Belvedere
reagiert Direktor Gerbert Frodl spontan mit der Gegenfrage: "Haben
wir nicht genug?" Frodl wird mit Köb den derzeit leeren Schwanzer-Pavillon
im Schweizergarten mit Programm füllen müssen. Er konzediert dem
Historischen Museum der Stadt Wien, daß es zu wenig Räume für
Wechselausstellungen hat. Doch 4000 Quadratmeter mehr scheint ihm "viel".
"Das Künstlerhaus", so Frodl, "hat schon Probleme genug, bei sich oben
Ausstellungen zu machen".
Ingried Brugger arrangiert im Kunstforum Bank
Austria attraktive Ausstellungen auf ihren 1000 Quadratmetern. Die
offizielle Wien-Tourismus-Statistik warne: "Der Kuchen schrumpft. Ich
glaube, daß bei den Ausstellungsflächen das Limit schon erreicht ist." Sie
will nicht gegen Strukturbereinigungen anreden und fürchtet um keine
Adresse, wo gute Inhalte geboten werden. Aber die bloße Flächenvermehrung
("Konzepte der achtziger und frühen neunziger Jahre") lehnt sie ab. Darin
weiß sie sich einer Meinung mit Leuten aus der internationalen Kunstszene,
die Wien kennen: "Rudi Fuchs, Direktor im Stedeleijk Museum Amsterdam,
schlägt die Hände überm Kopf zusammen über unsere
Ausstellungs-Quadratmeter".
Es sollen in Wien schon deren 80.000 sein!
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